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Erdnüsse lösen bei Allergikern einen anaphylaktischen Schock aus, der in schweren Fällen tödlich sein kann.

Für die 13-Jährige kam jede Hilfe zu spät. Noch bevor man das Notfallmedikament spritzen konnte, hörte ihr Herz auf zu schlagen. Die Ursache für den tragischen Todesfall: eine Allergie gegen Erdnüsse, das Mädchen hatte in der Schulkantine versehentlich welche gegessen. Als Laurie Harada, Direktorin der Patientenvereinigung "Anaphylaxis Canada", diese Geschichte kürzlich auf dem Europäischen Kongress für Nahrungsmittelallergien (FAAM) in Nizza erzählte, breitete sich Schweigen im Publikum aus. "Wir wollen keine Panik verbreiten", sagte Harada, "aber Betroffene müssen sich besser schützen können."

Nahrungsmittelallergien seien inzwischen wie eine Epidemie, sagte Cezmi Akdis, Präsident der Europäischen Akademie für Allergologie und Klinische Immunologie (EAACI). Mehr als 17 Millionen Menschen in Europa sind betroffen, Tendenz steigend. Allergische Reaktionen durch Nahrungsmittelallergien sind die häufigste Ursache für Notfalleinweisungen ins Spital. Sieben von zehn schweren allergischen Reaktionen passieren, wenn Betroffene auswärts essen. "Leider wissen wir noch nicht, wie wir Nahrungsmittelallergien langfristig heilen können", sagte Akdis in Nizza. "Wichtiger ist im Moment, dass die Politiker handeln."

EU-Verordnung

Dem Allergologen geht es um eine neue Verordnung der Europäischen Union (EU). Bereits heute müssen Hersteller auf verpackten Lebensmitteln alle Stoffe nennen, die Allergien auslösen können. Ab Dezember 2014 müssen die Substanzen zusätzlich grafisch hervorgehoben werden, etwa fett oder farbig. Auch unverpackte Lebensmittel wie Brot oder Pralinen müssen in Zukunft gekennzeichnet werden. Ob die Verkäuferin das mündlich erklärt, oder ob es schriftliche Informationen gibt, entscheidet jedes EU-Land für sich. "Das ist ein guter Ansatz, aber wir brauchen eine einheitliche Regel", sagt Akdis, "sonst müssen sich die Betroffenen in jedem Land neu orientieren."

Der Einfluss der Lebensmittelindustrie-Lobby in Brüssel sei zu groß gewesen, erzählt der EU-Parlamentarier Franz Obermayr. Sein Kollege Richard Seeber nimmt die EU in Schutz. "Einerseits wird der EU vorgeworfen, sie überreguliere und mache Vorschriften für Gurkenkrümmung oder Duschköpfe, kommt es aber zu Skandalen wie kürzlich dem mit Fleisch, rufen viele nach strengeren Regeln." Zurzeit diskutieren Politiker, Konsumentenschützer und Lebensmittelindustrie, wie hierzulande lose Ware gekennzeichnet werden soll.

Die Allergie loszuwerden ist viel schwieriger als bei einer Allergie gegen Bienen, Wespen oder Pollen. Denn dabei kann man dem Körper erfolgreich "beibringen", weniger überempfindlich zu reagieren. Der Patient bekommt über einen längeren Zeitraum den die Allergie auslösenden Stoff (Allergen) gespritzt (SCIT). "Bei Nahrungsmitteln ist das aber viel schwieriger", sagt Philippe Eigenmann, leitender Allergologe an der Uni-Kinderklinik in Genf, "denn der Körper ist so überzeugt davon, die Nahrungsmittel seien Feinde, dass er davon schwer abzubringen ist."

Therapeutische Optionen

Die ersten Studien mit Erdnuss-SCIT waren erfolgreich: Die Patienten vertrugen danach mehr Erdnüsse. Allerdings kam es häufig zu schweren allergischen Nebenwirkungen wie Atemnot oder Kreislaufproblemen. Forscher von der Uni Amsterdam versuchen die SCIT bei Fisch- und Pfirsichallergie deshalb mit gentechnisch hergestellten Allergenen, sie sollen weniger Nebenwirkungen verursachen. "Die Idee ist gut", sagt Karin Hoffmann-Sommergruber, Allergieforscherin an der Med-Uni Wien. "Aber es ist eine Gratwanderung." Denn die künstlichen Allergene müssen stark genug sein, um das Immunsystem zu aktivieren und so zu manipulieren, dass es das Allergen nicht mehr als gefährlich ansieht.

Andere Forscher geben die Allergene lieber über den Mund als orale Immuntherapie (OIT). Kinder mit Allergie gegen Erdnüsse, Milch oder Eier konnten nach der OIT zwar etwas mehr davon vertragen, allerdings wurden Nebenwirkungen beobachtet, und einige vertrugen trotz Therapie keine größeren Mengen der Nahrungsmittel. Man wisse noch nicht genau, woran das liege, sagt Katharina Blümchen von der Uni-Klinik Charité in Berlin. Sie sucht bei Erdnussallergikern nach Markern im Blut, die ihr vor der Therapie eine Aussage über den Therapieerfolg geben. "Damit könnten wir gezielt die Patienten auswählen, bei denen eine Therapie Sinn hat", hofft Blümchen.

Eine Alternative ist die sublinguale Immuntherapie (SLIT). Dabei legt man das Allergen unter die Zunge, behält es einige Minuten und schluckt es dann. Die Patienten konnten damit mehr Erdnuss, Milch, Haselnuss oder Pfirsich vertragen - allerdings nicht so viel wie nach OIT. "Wir vermuten, OIT ist besser, weil man dem Körper mehr Allergene anbietet", sagt Blümchen. "So kann sich das Immunsystem damit besser auseinandersetzen und lernen, die Allergene zu tolerieren." Doch dafür macht die OIT mehr Nebenwirkungen.

Epikutane Immuntherapie

Deshalb versuchen andere Forscher, die Allergene mithilfe eines Pflasters durch die Haut zu applizieren, als epikutane Immuntherapie (EPIT) - ähnlich wie bei einem Hormonpflaster gegen Wechseljahrebeschwerden. Durch diese sollen die Allergene stark genug sein, um das Immunsystem "umzutrainieren", aber sie sollen es nicht zu heftig mit Nebenwirkungen reagieren lassen. Die Strategie scheint aufzugehen: In den ersten Studien vertrugen die Patienten mehr Milch oder Erdnüsse, wenn auch nicht ganz so viel wie bei der OIT. Nebenwirkungen hatten viele, aber nur milde, zum Beispiel Hautausschläge.

Allergologin Hoffmann-Sommergruber empfiehlt ausgewählten Patienten mit schwerer Allergie eine OIT - unter strenger Aufsicht in der Klinik. "Wegen der Nebenwirkungen kann man das noch nicht routinemäßig anwenden. Außerdem wissen wir noch nicht, wie lange wir die Therapien machen müssen." Hört man nämlich auf mit der täglichen Allergen-Erhaltungs-Dosis, verlieren die meisten den Schutz wieder. "Das Beste ist immer noch: Das Nahrungsmittel meiden", sagt Hoffmann-Sommergruber. (Felicitas Witte, DER STANDARD, 4.3.2013)