Graz - Über die genaue Zahl der sexuellen Übergriffe in Österreich gibt es keine genauen Zahlen, Schätzungen gehen jedoch von 20.000 Fällen pro Jahr aus. 90 bis 95 Prozent aller Taten werden von Männern begangen und häufigster Tatort ist die eigene Familie.

Nur ein geringer Prozentsatz aller Übergriffe wird aufgedeckt. Die Zahl der Verurteilten schwankt zwischen 450 bis 500 Tätern – 2/3 von ihnen werden wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern belangt. Rund 100 Männer werden jährlich von der Exekutive als Rückfalltäter erfasst.

Gewalt und Männlichkeit

"Gewalt und Männlichkeit sind in unserer Gesellschaft eng miteinander verknüpft", betonte Tatjana Kaltenbeck-Michl, Frauen- und Sozialstadträtin der Stadt Graz im Rahmen eines Pressegespräch der Männerberatungsstelle Graz vergangene Woche. Gewalt entstehe im Kopf. Sie forderte Männer dazu auf, "sich mit ihrem Bild von Männlichkeit auseinander zu setzen und bei Konflikten und Krisen Beratungs-Angebote in Anspruch zu nehmen".

"Die soziale Realität von Männern ist von Einzelkämpfertum und Konkurrenz geprägt. In einer Einrichtung wie der Männerberatung Graz erfahren – gerade auch gewalttätige Männer – die not-wendige professionelle Hilfe".

Mehr finanzielle Mittel

Voraussetzung dafür sind ausreichende finanzielle Mittel. Die Männerberatung Graz ist einer der wenigen Vereine, die heuer mehr Förderungen erhalten: Euro 16.700.- aus dem Sozialamt und Euro 17.800.- aus dem Jugendamt.

"Korrekturarbeiten" im Sinne professioneller Täterarbeit mit einzelnen Männern seien notwendig aber zu wenig, meldeten die Verantwortlichen in den Räumlichkeiten der Männerberatung. Die Frauen- und Sozialstadträtin tritt für Forschungs- und Aktionsprogramme ein, mit dem Ziel, Ursachen von Männergewalt zu erforschen und Rahmenbedingungen für Veränderungen in Richtung einer gelebten Geschlechterdemokratie zu schaffen.

Statistik der Männerberatung Graz

Insgesamt 388 Männer haben im Zeitraum von Jänner bis Juni 2003 mit der Grazer Männerberatung Kontakt aufgenommen. Häufigstes Motiv sind Konflikte im Bereich Familie/Partnerschaft oder Trennung/Scheidung.

43 jugendliche und erwachsene Männer sind nicht freiwillig gekommen. Sie erhielten von Jugendamt, Landesgericht oder Staatsanwaltschaft eine Weisung, sich einer Therapie zu unterziehen. Der Grund: Straftaten im Zusammenhang mit verübter sexueller Gewalt. Das Tatspektrum reicht von "Hands-off-Delikten" (Exhibitionsmus, obszönen Anrufen, Voyeurismus und Konsum von Kinderpornos) bis zu "Hands-on-Delikten" (Vergewaltigung, Missbrauch).

Seit Herbst 1996 werden diesen Männern in der Männerberatung Graz gezielte und langfristige Therapieangebote im "Druckzugang" angeboten.

Die Täter unterzeichnen einen Therapievertrag - in der Regel für 3 Jahre. Er regelt unter anderem die Frequenz der Therapiebesuche, aber auch die Konsequenzen bei Abbruch oder unentschuldigtem Fernbleiben (z. B. Umwandlung einer bedingten Haftstrafe in eine unbedingte). Eine intensive Zusammenarbeit mit allen involvierten (Opferschutz)Einrichtungen und zuweisenden (Straf)Behörden ist für den Erfolg unabdingbar.

Um die Rahmenbedingungen für eine psychotherapeutische Intervention zu gewährleisten, wird dem Klienten ein "Begleiter" beigestellt. Er übernimmt sozialarbeiterische Aufgaben gegenüber dem Klienten und sorgt für den notwendigen Informationsaustausch mit kooperierenden Einrichtungen und Behörden.

Eine psychologische Diagnostik wird am Beginn, begleitend zur Therapie und an deren Ende durchgeführt.

Ziele der Therapie

Wichtige Ziele im therapeutischen Prozess mit dem Klienten sind unter anderem das Überwinden der Verleugnung und verzerrten Wahrnehmung der Tat, das Annehmen der Verantwortung für die Tat, die Entwicklung von Einfühlung dem Opfer gegenüber, sowie das Erarbeiten eines Rückfallvermeidungsplans.

Finanziert wird die Täterarbeit der Männerberatung Graz derzeit von der Stadt Graz (Büro Stadträtin Kaltenbeck-Michl), Land Steiermark (Abteilung f. Soziales und Abteilung f. Gesundheit) und dem Bundesministerium für Soziale Sicherheit und Generationen.

Unauffällige Täter

"Männer, die sexualisierte Gewalt ausüben, bilden psychologisch gesehen keine einheitliche Gruppe", berichtete der Psychotherapeut Joachim Voitle (Leitung Männerberatung Graz). Die Täter stammen aus allen sozialen Schichten und unterscheiden sich häufig nach außen hin kaum von Normalbürgern.

Merkmale wie geringes Selbstwertgefühl, geringe Impulskontrolle, Beziehungsunfähigkeit, aber auch eine hohe Fähigkeit, Opfer und Umwelt zu manipulieren, können häufig beobachtet werden. "Viele dieser Männer haben selbst als Kinder Traumata erlitten und stehen unter einem enormen Druck, ihre Männlichkeit zu beweisen – was sie nach außen hin oft als echte Machos erscheinen lässt", wußte Joachim Voitle zu berichten.

Andere Klienten zeigen massive Symptome, wie klinisch diagnostizierbare Persönlichkeitsstörungen.

Rückfall-Risiko geringer als angenommen

"Ziel unserer Täterarbeit ist, gemeinsam mit den Klienten Verhaltensänderungen zu erarbeiten, um die Wahrscheinlichkeit von Wiederholungstaten zu senken", erläuterte Joachim Voitle seine Arbeit.

Die kanadischen Psychologen Karl Hanson und Monika Bussiere führten 1996 eine Analyse von 61 Rückfallstudien aus 6 Ländern durch, um Risikofaktoren für den Rückfall von Sexualstraftätern zu identifizieren. Die Ergebnisse der Untersuchung widerlegen die weit verbreitete Annahme einer extrem hohen Rückfallsgefahr.

Die kriminalstatistisch erfasste Rückfallsrate für Sexualdelikte liegt bei 13,4 Prozent, d. h. ca. 80 Prozent der Sexualstraftäter scheinen in der Kriminalstatistik nicht mehr auf.

Im Vergleich zu den oben genannten Zahlen beträgt die generelle Rückfallsrate aller in Österreich in den Jahren 1994 und 1995 rechtskräftig verurteilten Personen laut Statistischem Jahrbuch 2002 30,5 Prozent.

"Die Behandlung von Männern, die sexualisierte Gewalt ausüben, ist trotz allem eine Gratwanderung", betonte Joachim Voitle. Bei schwerwiegenden Persönlichkeitsstörungen sinken beispielsweise die Chancen auf einen Therapieerfolg. Realistisches Ziel einer Tätertherapie ist die Reduktion der Rückfälle um 10 Prozent. (red)