Xenia Hausner: "Ich glaube, das Schwierigste im Leben ist das Sterben."

Foto: STANDARD/Regine Hendrich

Standard: Ihre Ausstellungen tragen recht martialische Titel, die jüngste hieß ÜberLeben, eine andere Kampfzone. Ist das Leben ein Kampf?

Hausner: Für mich ist es ein Kampf. Ich habe das Gefühl, ich müsse durch Widerstände durch, innere wie äußere. Ich fange immer wieder von vorn an; dieses Aufrollen und Infragestellen passiert in mir und in der Folge hier im Atelier. Das Ergebnis sehen Sie hier überall.

Standard: Hier sieht es ein wenig aus wie in einer Theaterrequisite. Etliches von dem, was auf Ihren Bildern vorkommt, ist da zu sehen. Der Bock da drüben, kommt er auch wo vor?

Hausner:  Ja. Um es mit Mahler zu sagen: "Alles schon wegkomponiert". Das sagte er, als er am Wörthersee Bruno Walther vom Boot abholte: "Sie brauchen gar nicht schauen. Alles schon wegkomponiert." Ja, hier stehen und hängen viele Bestandteile meiner Bilder, das sind meine sentimentalen Fixationen. Fetische.

Standard: Sie sammeln gern?

Hausner:  Ich kann mich ganz schwer verabschieden. Von Dingen wie von Menschen.

Standard: Beginnt der Abschied vom Bild genau genommen nicht schon beim ersten Strich?

Hausner:  So sind Künstler nicht strukturiert. Wenn ich den ersten Strich mache, will ich, dass aus dem Bild wird, was ich mir vorstelle. Dorthin ist die Energie gepolt, die Verabschiedung kommt später. Mir tut es ja auch nicht leid um jeden Strich. Ein Strich ist nur ein Strich, es kommt der nächste drüber. Dieses zerstörerische Moment ist Teil des Schaffens.

Standard: Und der Abschied beginnt wann?

Hausner:  Wenn das Bild fertig ist, geht es raus aus dem Atelier, und ich zerfließe nicht in Tränen. Wobei ich ganz frische Bilder gern noch ein bissl herumstehen lasse. Denn die Entscheidung, dass ein Bild fertig ist, ist meist nicht in einer Sekunde getroffen. Man stellt es weg, betrachtet es aus dem Augenwinkel und prüft, ob es standhält.

Standard: Ich finde, Abschiednehmen ist das Schwierigste im Leben.

Hausner:  Ich glaube, das Schwierigste im Leben ist das Sterben.

Standard: Manche sagen aber: Sterben kann jeder.

Hausner:  Es geht ums gefasst Sterben. Wie auch immer, ich bin jemand, der lang an Situationen, Dingen, Menschen festhält.

Standard: Haben Sie deshalb mit 41 mit der Bühnenbildnerei aufgehört? Bühnenausstattungen sind ja sehr kurzlebig.

Hausner:  Vielleicht. Wobei ich meine Bühnenbilder fotografiert habe, aus dem Gedanken heraus, dass sie nur Makulatur und aus Pappendeckel sind und irgendwann zerschnitten und recycelt werden. Aber das wohnt dem Theater inne: Es besteht aus Momentaufnahmen, Theater ist eine vergängliche Materie.

Standard: Sie sagten einmal, Sie seien gefangen, in dem was Sie tun. Heißt das, dass Sie malen müssen?

Hausner:  Ich habe aus meiner Perspektive keine Wahl, könnte nichts anderes tun. Malen: Das ist es.

Standard: Keine Wahl zu haben: Ist das nicht beängstigend?

Hausner:  Nein, es ist gut. Wobei die Umstände manchmal nicht so einfach sind. Als Bühnenbildner ist man in einem Kollektiv  aufgehoben: Gelang etwas nicht, war man mit seiner Unfähigkeit und Verzweiflung nie allein. Hier ist das anders, aber das war meine Lebensentscheidung. Ich mache die Tür hinter mir zu, es ist still, ich bin allein – und befreit. Es ist die ultimative Freiheit, sich mit sich selbst herumzuschlagen.

Standard: Sie haben als Kind gern gezeichnet und heimlich an den Bildern Ihres Vaters, Rudolf Hausner, weiter gemalt?

Hausner:  Wenn meine Eltern im Kino waren bin ich manchmal ins Atelier gegangen und habe kleine Striche angebracht und gewartet, ob mein Vater das bemerkt. Tat er nicht, ich hab es ihm aber gesagt. Es waren ja nur diskrete, kleine Zeichen, die ich da gesetzt habe.

Standard: Sie haben, bis zwei Semester vor dem Doktorat und Ihrem Wechsel an die Angewandte, Jus studiert. ..

Hausner:  Nur zwei Semester Öffentliches Recht haben mir noch gefehlt, durchs ganzer Bürgerliche Recht hatte ich mich durchgekämpft: Ist das Wahnsinn? Meine Eltern waren komplett verzweifelt..

Standard: Wollten Ihre Eltern, dass Sie Jus studieren?

Hausner:  Ich wusste auch selbst nicht, was ich anfangen soll. Jus kann nicht schaden, hieß es damals. Und meine Eltern wollten schon, dass eine nette Biographie für ihre Tochter zustande kommt, nicht so ein Schmutzgeschäft. Aber: Fragen Sie andere Maler auch, wie Sie zum Malen kamen? Warum fragt man das immer mich?

Standard: Ich frage jeden, wie er wurde, was er ist. Wieso stört Sie die Frage?

Hausner:  Weil ich solche Fragen immer nur bei mir lese. Ich glaube, da wird immer eine kleine sensationelle Lüsternheit verpackt: Ihr Vater war Rudolf Hausner, und sie hat erst mit 40 zu malen begonnen... Jedenfalls interessiert mich das Recht immer noch. Ich liebe es, juristische Auseinandersetzungen zu lesen, liebe rechtliches Argumentieren.

Standard: Sie schreiben Ihre Verträge also selbst?

Hausner:  Nein, aber ich kann sie gut lesen. (lacht)

Standard: Braucht man für einen Bilderverkauf große Verträge?

Hausner:  Gar nicht. Ich schreibe eigentlich nur Rechnungen.

Standard: Ideal. Sie verdienen viel Geld – was ist Ihr Luxus?

Hausner:  Ich verdiene nicht so viel, wie behauptet wird. Mein Luxus? Mein großes Spielzeug, mein Garten in Traunkirchen. Umgraben, etwas anlegen, umbauen, vier Jahre alten Kompost verteilen, Bäume pflanzen: Das ist wahrer Luxus.

Standard: Das Haus hat früher Sergius Pauser gehört, auch er hat Porträts gemalt...

Hausner:  Ja, das Haus hat ein gutes Karma. Ich kannte es schon als Kind, wir haben Pauser ja besucht. 1990 habe ich das Haus von Sohn und Witwe gekauft.

Standard: Auch Thomas Bernhard hat ihn dort getroffen.

Hausner:  Ja, Bernhard habe ich dort auch kennengelernt.

Standard: Wie war er?

Hausner:  Spröd, aber originell. Er hatte einen kauzigen Humor und Charme, wenn auch einen verkappten.

Standard: Jemand sagte über Sie, sie malten Porträts, obwohl das unmodern sei. Ist es unmodern?

Hausner:  In der Kunst ist der Mensch als Thema unschlagbar. Das heißt nicht, dass man klassische Porträts malen muss, die einen Menschen in seinem Lebensumfeld oder ganz allein zeigen. Solche Porträts male ich selten, meistens sind die Protagonisten auf meinen Bildern Menschen in fremden Rollen, da ist eine Inszenierungskomponente dabei. Aber natürlich versuche ich, die innere Wahrhaftigkeit dieser Menschen zu erwischen, ihre inneren Aspekte zu ergründen. Insofern geht es um Porträts.

Standard: Soll anstrengend sein, bei Ihnen Porträt zu sitzen. Ein Modell erzählt, man werde am Tisch eingezwängt, andere hängen Sie an Seile oder legen sie auf Autowracks...

Hausner:  Aber nein. Wir unterhalten uns, gehen aufs Klo und versüßen uns das Leben im Atelier so gut es geht. Es ist nicht starr hier, das Einfrieren der Person ist nicht die Zielsetzung meiner Arbeit.

Standard: Sie wollen "hinter die Oberfläche" der von Ihnen Porträtierten kommen. Was haben Sie denn da bisher gefunden?

Hausner:  Die ganze Palette der menschlichen Abgründe. Ich komme drauf, wie jemand ist, und je länger ich hinsehe, desto mehr Aspekte finde ich. Ich schaue mich zu Tode.

Standard: Nehmen die Porträtierten denn auch was vom Maler mit?

Hausner:  Absolut. Auch ich werde aufgeblattelt in meinen Abgründen. Aufgeblattelt sind wir dann alle. Nur setzen die Leute das, was sie dann von mir wissen, nicht künstlerisch um. Außer vielleicht Schauspieler. Wobei die das, was sie erleben auch nicht eins zu eins wiedergeben, sondern durch ihr Gemüt geknetet. Was ich sehe, kommt ja auch nicht eins zu eins ausgespuckt aus mir raus, sondern durch mich durchgefiltert. Ich liefere keinen objektivierten Abklatsch der Wirklichkeit, sondern die subjektive Interpretation einer Realität. Meine Weltsicht ist immer dabei im Paket.

Standard: Apropos Schauspieler. Claus Peymann forderte Sie auf: "Mal einmal einen alten Mann". Hat er sich selbst gemeint? Sie haben ihn inzwischen für die Direktorengalerie der Burg gemalt.

Hausner:  Als ich ihn gemalt habe, hat er sich nicht als alter Mann empfunden. Er ist ja geistig frisch und ein rabiater Kerl, immer noch.

Standard: Hat Peymann als Burgtheater-Chef Wien verändert?

Hausner:  Und wie. Er hat alles umgegraben: den Blick auf die Dinge, aufs Theater und auf die Kunst.

Standard: Und wie war er beim Porträt-Sitzen?

Hausner:  Kooperativ. Künstler sind immer kooperativ. Sie tragen das Unterfangen des Malers anders mit: wissend solidarisch. Ich liebe es. Künstler zu malen, auch die vielen unbekannten Kunststudenten, die mir Modell sitzen. Um es gleich zu sagen: Die Prominentenquote bei mir ist ganz klein.

Standard: Warum betonen Sie das so?

Hausner:  Weil sich die Leute gern darin festbeißen: "Sie haben ja die Jelinek, den Peymann, die VALIE EXPORT, Heinz Fischer gemalt."

Standard: Stimmt doch.

Hausner:  Ja, aber es geht um die Statistik. Aber egal. Künstler jedenfalls verstehen meine Auseinandersetzung, weil sie die von ihrer eigenen Arbeit kennen. Es geschieht ja auch, dass das Bild zwischendurch in den Arsch geht. Und das kriegen die Leute auch mit: Jeder, der weggeht, wirft einen Abschiedsblick auf das Tagespensum, und das ist nicht immer ermutigend, es ist ja nicht jeder Tag ein Gewinn. (lacht) Künstler können das einordnen; die wissen, dass es ein Tag des Probierens und Erforschens war und nicht des Gelingens. Es ist kein steter Weg in den Erfolg.

Standard: Fehlt Ihnen das Theater, wo Sie an die zwanzig Jahre gearbeitet haben, eigentlich  gar nicht?

Hausner:  Nicht als Arbeitsplatz. Privat gehe ich oft hin. Ich liebe das Theater.

Standard: Warum?

Hausner:  Warum liebe ich die Literatur?

Standard: Warum?

Hausner:  Weil mich der erweiterte Blick in die Weltzusammenhänge berührt. Darum geht es in der Kunst: Sie soll im Betrachter etwas in Gang setzen. Ein Kunstwerk muss Sie erwischen, an Ihrem  Gehirn oder Ihrem Gemüt.

Standard: Sie sagen, ein Bild muss gut, nicht schön sein. Wenn ein Bild einen packt, ist es dann gut?

Hausner:  Unbeantwortbar. Schauen Sie, für mich gibt es einen Punkt, an dem ich sage: Mehr ist nicht drin. Die Außenwirkung ist eine andere Sache, und nicht die meine. Ich schicke keine Botschaften in die Welt.

Standard: Ist es Ihnen egal, wie die Leute Ihre Bilder interpretieren?

Hausner:  Der Betrachter ist der Interpret – was er sieht, wird sicher stimmen. Meine Bilder sind so widersprüchlich wie das Leben, es gibt daher widersprüchliche Lesarten dafür. Der Betrachter muss dieses Rätsel mit den Vokabeln seiner Biografie lösen. Ich liefere keine Auflösung mit.

Standard: Die Auflösung kennen Sie selbst nicht, sagen Sie oft, Sie seien sich selbst ein Rätsel.

Hausner: Genau. Und ich will das Rätsel auch gar nicht knacken, mein Tun ist eine Chronik der fortlaufenden Rätsel.

Standard: Wollen Sie mit Ihren Bildern nicht auch etwas bewirken?

Hausner:  Das wäre der sichere Weg in den Untergang. Wenn jemand an die Staffelei geht und sagt: "Ich möchte etwas Bedeutendes erschaffen", kann er es schon in den nächsten Mistkübel werfen. Das ist die Wahrheit. Die Auseinandersetzung mit dem Anliegen, das ich umsetzen will, die findet in mir ganz allein statt.

Standard: Darf Kunst auch schön sein?

Hausner:  Klar. Aber wahrscheinlich nicht nur schön. Doch man darf die Schönheit nicht gegen die Kunst verwenden. Wenn ein Bild schön ist, kann es trotzdem gut sein. Sonst ist es, als sagte man, eine langbeinige Blondine hat nichts im Schädel. Eine langbeinige Blondine kann aber auch etwas im Schädel haben. Mich allerdings interessiert mehr die Wahrhaftigkeit als die Schönheit.

Standard: Malen Sie deswegen die Schattenseite der Leute, wie Sie von sich sagen?

Hausner:  Ich wühle nicht nur in ihren Schattenseiten, sondern in ihrer Gesamtbeschaffenheit, weil ich verstehen will. Ich selbst bin schon ein wenig umschattet.

Standard: Merkt man gar nicht.

Hausner:  Doch, ich verfüge nicht über Leichtlebigkeit, es gibt peppigere Figuren als mich. Ich bin nicht gerade ein Champagnerkorken. (lacht)

Standard: Sie nehmen's nicht so leicht?

Hausner:  Gar nichts nehm ich leicht, leider.

Standard: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Hausner:  Um Gottes willen! (Renate Graber, DER STANDARD; 2.3.2013)