KHM-Direktorin Sabine Haag: "Wir haben es als Verpflichtung gesehen, die Kunstkammer wieder ins kollektive Gedächtnis zu bringen."

Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

Nunmehr prominent platzierte Objekte: die Krumauer Madonna ...

Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

... oder die Büste von Kaiser Rudolf II. von Adriaen de Vries.

Foto: Kunsthistorisches Museum Wien

STANDARD: Die Wiedereröffnung der Kunstkammer wurde als Event inszeniert. Ist die Kunstkammer aber nicht eher etwas für Liebhaber denn für die breite Masse?

Haag:  Nein. Die Kunstkammer war elf Jahre geschlossen - und sie zählte davor nicht zu den häufig besuchten Sammlungen. Eine ganze Generation ist aufgewachsen, ohne sie je gesehen zu haben. Sie ist aber nicht nur für ein elitäres Publikum attraktiv. Wir haben es als Verpflichtung gesehen, sie wieder ins kollektive Gedächtnis zu bringen. Wir wussten, dass es schon im Vorfeld der Eröffnung eines Kraftaktes bedarf. Aber nur die Eröffnung ist ein Event. Das, was der Besucher zu sehen bekommt, ist eine ins beste Licht gerückte Sammlung. Es gibt keine billige Vordergründigkeit.

STANDARD:  Zu sehen ist ein Viertel des Bestandes, 2.200 Objekte. Spielen Sie mit der Macht der Masse?

Haag:  Auch. Wir arbeiten mit Einzelobjekten, den sogenannten "Saalregenten" - aber wir zeigen auch die Fülle der Sammlung. Manche bezeichnen sie als Fluch, ich aber als Glück. Wir haben eben aus jeder Bestandsgruppe nicht nur ein oder zwei Hauptwerke, sondern 50, 100 oder noch mehr.

STANDARD:  Kann man so viele Exponate überhaupt verkraften?

Haag:  Bei einem einzigen Durchgang nicht. Mit 2.700 Quadratmetern Grundfläche ist die Kunstkammer ja ein Museum im Museum. Wir haben versucht, den Rundgang zu portionieren. Es gibt verschiedene Erzählstränge - für Besucher mit unterschiedlichen Zeitkontingenten und Interessen. Wir hoffen daher, dass die Besucher nicht nur einmal kommen und den Rundgang als ein Objekte-verkraften-Müssen empfinden, sondern dass sie sich die Sammlung vielfach, lustvoll erobern.

STANDARD:  Die Wunderkammern waren ja ein Durcheinander. Auf Schloss Ambras gab es ausgestopfte Krokodile, Mineralien, Artefakte, Messinstrumente, Folterwerkzeuge, den Strick, mit dem sich Judas erhängt haben soll, und so weiter. Die Kunstkammer des KHM ist vergleichsweise steril. Warum?

Haag:  Die ideale Kunstkammer folgt von ihrer Anlage her enzyklopädischen Kriterien. Sie versammelt das Wissen der Welt. Die Aufteilung auf verschiedene Museen und Bibliotheken passierte im späten 19. Jahrhundert. Das können wir nicht mehr rückgängig machen. Sie entspricht durchaus dem Wunsch nach Ordnung - und damit einer vermeintlich besseren Bewältigbarkeit dieses unendlich komplexen Wissens.

STANDARD:  Hätte man sich nicht vom Museum für Völkerkunde Federschmuck und vom Naturhistorischen Museum Präparate und Meteoriten ausborgen können?

Haag:  Wir haben uns dagegen ausgesprochen, Objekte auszuleihen. Auch deshalb, weil wir keine Verfügungsgewalt über sie hätten. Die Museen könnten die Objekte jederzeit zurückfordern - und in der ständigen Schausammlung würden immer wieder Lücken entstehen. Unsere Sammlung ist dennoch sehr, sehr attraktiv.

STANDARD:  Die Saliera ist weltberühmt - auch aufgrund des Diebstahls 2003. Was ist eigentlich das zweitwichtigste Objekt?

Haag:  Wir haben uns entschieden, die Saliera als Leitobjekt zu nehmen, weil sie das bekannteste Objekt ist. Es gibt aber viele andere Objekte, die mindestens genauso wichtig sind: die Krumauer Madonna, das venezianische Bergkristallgefäß, der Straußenei-Pokal - oder die Büste von Kaiser Rudolf II. von Adriaen de Vries, weil er der wichtigste Sammler von Kunstkammer-Objekten war.

STANDARD:  Als Elfenbeinspezialistin setzen Sie auf Gold. Warum?

Haag:  Die Kunstkammern sind ja aus den Schatzkammern erwachsen. Daher spielen Edelmetalle eine ganz wesentliche Rolle.

STANDARD:  Ausgestellt ist u. a. das goldene Nachtzeug der Maria Theresia, darunter ein Zungenschaber. Stimmt es, dass er bisher für einen Tortenheber gehalten wurde - und neben dem Mehlspeisenteller lag?

Haag:  Ja, der Zungenschaber ist eine neue Erkenntnis.

STANDARD:  Gibt es weitere unbekannte Flugobjekte?

Haag:  Die Kunstkammer ist noch immer nicht in allen ihren Geheimnissen ergründet. Das Museum ist eben ein lebendiger Ort der Forschung.

STANDARD:  Sie haben den Eintrittspreis um zwei Euro auf deren 14 angehoben. Können Sie mit den Mehreinnahmen die Betriebskosten für die zusätzlichen 2.700 Quadratmeter finanzieren?

Haag:  Heuer müssen wir mit der Basisabgeltung, die nicht angehoben wurde, auskommen. Aber wir brauchen mehr Geld. Wir hoffen auf zwei Millionen Euro mehr.

STANDARD:  Ihr nächstes Projekt? Die Modernisierung der Schatzkammer, die zuletzt vor 25 Jahren neu aufgestellt wurde?

Haag: Sie steht auf der Prioritätenliste ganz oben. Wie die Kunstkammer ist auch die Schatzkammer - mit dem Schwerpunkt auf das Heilige Römische Reich - die bedeutendste ihrer Art. 

(Thomas Trenkler, DER STANDARD, 28.2.2013)