Wien - Als Margret Lynch Suckley, genannt "Daisy", 1991 im Alter von 99 Jahren starb, fand man unter ihrem Bett einen Schatz - zumindest für Historiker. In einem Koffer lagen neben ihren Tagebüchern auch mehr als 30 Briefe, die Franklin D. Roosevelt während seiner Präsidentschaft an seine Cousine sechsten Grades geschrieben hatte. Darin berichtete er über Alltagsereignisse, aber auch über die Invasion in der Normandie, seine gesundheitlichen Probleme und seine Amtsmüdigkeit. Daisy war offensichtlich eine enge Vertraute Roosevelts, aber wie weit ging ihre Beziehung? Mehr als einmal schreibt er: "Ich wünschte, du wärst hier." Auch aus ihren Briefen lässt sich ihre tiefe Zuneigung ablesen.
Hyde Park on Hudson lässt für Spekulationen über die Art der Beziehung zwischen den beiden entfernten Verwandten keinen Raum. Der Film des Notting Hill-Regisseurs Roger Michell beginnt damit, dass Daisy eines Tages überraschend zum Familienanwesen der Roosevelts gerufen wird, um den Präsidenten etwas von seiner Arbeit abzulenken. Seine stolz vorgezeigte Briefmarkensammlung scheint sie nicht sonderlich zu beeindrucken, dennoch freunden sich die beiden an und unternehmen künftig zusammen Ausfahrten im Cabriolet. Eines Tages parken sie auf dem Gipfel eines mit blühendem Klee übersäten Hügels. Die Inszenierung lässt in diesem romantischen Moment einen ersten Kuss erwarten. Stattdessen nimmt Roosevelt die Hand seiner Cousine und führt sie langsam in seinen Schoß. Die nächste Einstellung zeigt das Auto in einer Totalen. Langsam wippt der Kopf des Präsidenten von oben nach unten. Der Beginn einer handfesten Affäre.
Dieser unromantische Übergriff überrascht bei einem Film, der bis dahin harmlos in hübschen Bildern und prachtvoller Ausstattung schwelgte. Bis zum Ende ist schwer zu entscheiden, ob Regisseur Michell Form und Inhalt seines Films absichtlich immer wieder in Kontrast zueinander setzt, um die Erwartungshaltung der Zuschauer humorvoll zu unterwandern, oder ob er einfach nie den richtigen Ton für seine Geschichte trifft.
Ähnliche Momente finden sich auch im zweiten Erzählstrang des Filmes, der vom Besuch des britischen Königs George VI, bekannt aus The King's Speech, und von Königin Elizabeth auf dem Anwesen der Roosevelts handelt. Es war das erste Mal, dass ein britischer Monarch seinen Fuß auf den Boden der ehemaligen Kolonien setzte. Der stotternde König kam zum im Rollstuhl sitzenden Präsidenten mit einer Überlebensfrage: Die Briten brauchten die Unterstützung der USA im Kampf gegen Nazideutschland.
Die private Unterredung zwischen den beiden Staatsoberhäuptern ist die vielleicht stärkste Sequenz im Film - auch weil Bill Murray hier nach längerer Zeit mal wieder zeigt, dass er auch in anderen Rollen brillieren kann als jener des traurigen Clowns mit ausdruckslosem Gesicht. Sein Roosevelt ist im Amt souverän und im Privatleben überfordert, zugleich gerissen und liebenswürdig, glaubwürdig und doch zu unterhaltsam, um wahr zu sein. (Sven von Reden, DER STANDARD, 28.2.2013)