Dass Indie-Games inzwischen auch in der Welt der Industriegrößen durchaus Gewicht haben, zeigte sich bei der Präsentation der PlayStation 4 vergangene Woche: Niemand Geringerer als Indie-Superstar Jonathan Blow verkündete dort Seite an Seite mit Triple-A-Größen das Erscheinen seines kommenden Puzzlespiels "The Witness" vorerst exklusiv für Sonys kommende Konsole. Diese Meldung täuscht aber ein wenig: Die Exklusivität bezieht sich nur auf den Konsolenmarkt zum Start der PS4 - im Unterschied zu PS3-exklusiven Indie-Titeln wie etwa "Journey" wird der "Braid"-Macher selbstverständlich auch auf den anderen, größeren Indie-Plattformen vertreten sein. Diese sind, darüber kann auch Sonys so demonstrativ gezeigter Goodwill nichts ändern, zuallererst der PC und in weiterer Folge mit Abstrichen Apples iOS, auf dem unzählige Independent-Entwickler ihr Glück versuchen.

(Bild: "Anodyne")

Und vor allem auf PCs experimentiert die Indie-Community munter mit originellen und frischen FInanzierungsmodellen, die die klassische, Publisher-basierende Welt des (Konsolen-) Mainstreams alt aussehen lassen. Neben dem Erfolg von Kickstarter und den immer populärer werdenden Pay-what-you-want-Modellen à la Humble Bundle erfreut sich besonders das von "Minecraft" mit Erfolg vorgeführte Modell des Alpha-Fundings größter Beliebtheit. Nicht nur das diesen Monat weiter unten vorgestellt "Prison Architect", sondern auch die bereits letztes Jahr vorgestellten Spiele  "Don't Starve" und "Proteus" finanzierten sich so durch Fans, die bereit waren, schon vor dem Release Geld in die Hand zu nehmen.  "Proteus",  Gewinner des letztjährigen Berliner Indie-Games-Events A MAZE,  ist übrigens inzwischen fertiggestellt und für Freunde des Besonderen noch immer eine wärmste Empfehlung wert.

Dass es in Sachen Finanzierung noch origineller geht, bewies kürzlich übrigens "Anodyne" (siehe GIF): Die Macher des an "Zelda" erinnernden Retro-Rollenspiels umarmten die ansonsten so gefürchteten Piraten und schalteten 72 Stunden lang eine Promotion auf The Pirate Bay, wo das Spiel längst als Raubkopie zum Download bereit stand. Das Resultat waren nicht nur gesteigerte Verkäufe, sondern auch ein gehöriger Schub für die Greenlight-Kampagne des Spiels auf Steam.

Hier die bemerkenswertesten Indie-Games im Februar:

Prison Architect (Windows, Mac; ca. 23 Euro)

Das britische Studio Introversion ist ein Urgestein der Independent-Szene, und sein aktuelles Spiel sorgt schon lange vor Release für Freude und reichlich Cashflow: Die Gefängnismanagement-Simulation "Prison Architect" ist noch in Alpha, dem "Minecraft"-Modell folgend können sich Interessierte aber schon seit September den Zugang erkaufen. Es spricht sowohl für die Entwickler als auch das noch unfertige Spiel, dass bislang durch diesen Vorverkauf bereits eine Million Dollar eingenommen werden konnte - ein regelrechtes Gegenmodell zur klassischen Vorfinanzierung, aber auch zu Kickstarter. Unabhängig davon präsentiert sich "Prison Architect" in der bislang siebten Auflage der Alpha als schon gut spielbare und einzigartige Sandbox-Simulation, in der die Spieler die knifflige Aufgabe haben, ein perfekt funktionierendes Gefängnis zu errichten und zu managen. Was nüchtern und trocken klingt, erweist sich als herausfordernder Drahtseilakt zwischen Finanz, Aufbaustrategie und Echtzeitmanagement eines rabiaten Ameisenhaufens - "Dwarf Fortress" und "Rollercoaster Tycoon" lassen grüßen. Trotz Cartoongrafik geht "Prison Architect" mit seinem heiklen Thema durchaus erwachsen und differenziert um. Indie-Freunde mit Lust auf Außergewöhnliches und Toleranz für natürlich noch zeitweise merkbare Alpha-Kinderkrankheiten  sollten zuschlagen oder das Projekt zumindest genau im Ende behalten.

Foto: Screenshot

Year Walk (iOS; 3,49 Euro)

Ein wahres Kleinod für Games-Gourmets ist das ungewöhnliche Adventure der schwedischen Entwickler Simogo, das nicht nur außergewöhnliche Optik, sondern auch ein höchst raffiniertes Konzept verfolgt, das sich dem aufmerksamen Spieler auf originelle Weise beim Durchspielen erschließt. In atmosphärischen Illustrationen durchwandert man die mysteriöse, unheimliche Welt der altschwedischen Volksmythologien, löst Rätsel durch aufmerksames Beobachten und Kombinieren und mit Hilfe des gratis verfügbaren "Companions", einer App, die nur vordergründig als reines Nachschlagewerk zum Spiel dient. Mehr zu verraten wäre gespoilert, nur so viel: Durchspielen zahlt sich auf jeden Fall aus. Licht aus, Kopfhörer an - zwei Stunden bemerkenswerter Atmosphäre, wie man sie selten zuvor so erlebt hat.

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Retrovirus (Windows; 15 Euro)

Spieler mit nervösen Mägen, Vorsicht: Seit dem Klassiker "Descent" bzw. "Forsaken" hat kaum ein Spiel so zur Desorientierung und spontanem Schwindel geführt wie das knallbunte und optisch höchst gelungene "Retrovirus" der Kalifornier Cadenza. Im stylisch-abstrakten Inneren eines Computers sind wir als Programm auf der Jagd nach einem bösen Virus, und dabei geht's nicht nur, wie im First-Person-Shooter sonst üblich, flach dahin, sondern in alle sechs Richtungen - Sturzflüge und Überkopfrennen inklusive. Das originelle Setting erinnert an "Tron", der Kampf gegen den fiesen Virus erfordert Reaktionsschnelligkeit, aber auch ein bisschen Strategie und eine Story gibt's auch: Wer auch in der Achterbahn noch lacht, wird sich in "Retrovirus" sofort wohl fühlen. "Descent"-Nostalgiker, aufgepasst: Wer's weniger bunt mag, aber dafür auf Open-World-Asteroidenbergbau steht, sei als Alternative auf das ebenfalls kürzlich erschienene  "Miner Wars 2081" verwiesen.

Foto: Screenshot

The Bridge (Windows; ca. 10 Euro)

Wer sich von den Anstrengungen des letzten Monat empfohlenen "Antichamber" bereits etwas erholt hat, kann seine grauen Zellen nun in einem weiteren Festival-Liebling erneut auf die Probe stellen: Das originelle "The Bridge" nimmt sich die unmöglichen geometrischen Grafiken des Niederländers M.C. Escher ebenso zur Inspiration wie Jonathan Blows Indie-Klassiker "Braid" und Broken Rules "And Yet It Moves" und stellt seine Spieler vor knifflige, aber jederzeit faszinierende Probleme. Der unnachahmliche Grafikstil in edlem Schwarzweiß täuscht aber nicht darüber hinweg, dass auch hier Grübeln angesagt ist - die Manipulation von Zeit, Schwerkraft und anderer Dimensionen ist kein Kinderspiel, erfüllt aber, wenn der Aha-Effekt einsetzt, mit gehörig Entdeckerstolz.

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The Banner Saga: Factions (Windows, Mac; F2P)

Erst im Sommer erscheint das Wikinger-Epos "The Banner Saga" in Comic-Grafik für alle Plattformen, mit "Factions" hat Stoic bereits jetzt den Multiplayerteil des fantastisch aussehenden Strategierollenspiels als Free-to-Play-Titel für Windows-Spieler veröffentlicht. Im komplexen Zusammenspiel von 16 verschiedenen Einheitentypen führt man sein individuell zusammengestelltes kleines Team von bärbeißigen Wikingerkriegern in taktisch herausfordernde rundenbasierte Kämpfe, in denen ein Timer für das nötige Adrenalin und clever zusammenspielende Einheiten für strategische Tiefe sorgen. Schach trifft "Heroes of Might & Magic" trifft "Magic the Gathering" - Freunde des gepflegten Strategiespiels, die auch vor dem ein oder anderen Brettspiel nicht zurückschrecken, finden in "Factions" schon jetzt ein lohnendes Schlachtfeld - man darf auf das im Sommer erscheinende Rollenspiel gespannt sein.

Zum Abschluss noch eine gute Nachricht für Rollenspielfreunde: Der Retro-Indiehit "Legend of Grimrock" bekommt eine Fortsetzung.  Und von wegen Nischenprodukt: Der Oldschool-Dungeoncrawler des finnischen Indie-Teams hat sich 2012 unglaubliche 600.000 Mal verkauft. Man sieht: Auch im Indie-Bereich lässt sich richtig viel Geld verdienen. (Rainer Sigl, derStandard.at, 27.2.2013)

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