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Mariacarla Boscono, geboren 1980 in Rom, auf allen Laufstegen und Magazincovers präsent, von der Vogue in die Reihe der 30 einflussreichsten Models des neuen Jahrtausends gestellt, arbeitet nach der Geburt von ihrer Tochter Marialucas vor fünf Monaten intensiv mit einem der derzeit renommiertesten und innovativsten Designer, mit Riccardo Tisci, Chefdesigner von Givenchy zusammen.

Im Bild: Mariacarla Boscono  im Jahr 2009 bei einem Mode-Event in Acapulco.

Foto: apa/epa/espinosa

DER STANDARD: Wie lernt man Modeln?

Mariacarla Boscono: Mit 15 hatte ich meinen ersten Job. Comme des Garçons, das japanische Avantgarde-Label, buchte mich für den Laufsteg. Ich hatte keine Ahnung, was Comme des Garçons überhaupt war. Sie haben mich exklusiv gebucht, und ich habe richtig viel Geld dafür gekriegt. Also bin ich buchstäblich mutterseelenallein nach Paris gefahren. Meine Mutter hatte keine Zeit, mein Agent auch nicht. Und weil die mir so viel gezahlt haben, dachte ich, das wird jetzt richtig glamourös, ich werde leben wie Claudia Schiffer.

Mit 15 hat man keine Ahnung, und ich dachte, dass die Modewelt ein Zauberstab ist, mit dem ich mir alle Wünsche erfüllen kann. Dann komme ich da also an, ich sehe die Kollektion und treffe den tollen Laufsteg-Stylisten Julien d'Ys, den ich bis heute verehre, und die Visagistin Pat McGrath, die mir gleich mal das Gesicht kalkweiß und eine schwarze Banane über die Augen gemalt hat. Julien hat mir die Haare zurückgelackt und oben zu einer Welle geformt. Ich habe meine Mamma angerufen und gesagt: Du hast keine Ahnung, wofür die mich hier bezahlen. Ich habe dann viele Jahre für Comme des Garçons gearbeitet, war in Tokio. Und es war die beste Schule, die man als junge Frau im Modelgeschäft haben kann. Es ist nicht leicht, eine positive Haltung zum eigenen Körper zu bekommen. Als junges Mädchen sieht man sich auf eine bestimmte Art so mit Jeans, Pferdeschwanz etc.

DER STANDARD:  Und die Mode zerstört das?

Boscono: Total. Und wenn man mit Avantgardisten wie Comme des Garçons arbeitet, erst recht. Die haben eine vollkommen andere Idee von Schönheit. Nachdem ich da durch war, war ich offen für alles. Mich konnte nichts mehr schockieren. Man konnte mir die Augenbrauen grün färben und die Haare zum Afro aufplustern, alles kein Thema. Und daraus habe ich letztlich meine Kraft geschöpft. Ich war nie die Schönste und bin es nicht, aber ich bin mir ganz sicher, wer ich bin, und kann mit allen Ideen von Schönheit spielen, ohne jemals verunsichert zu sein. Man sollte sich nicht von der eigenen Idee von sich blenden lassen. Da kommen junge Frauen und sagen, ich will Smokey Eyes, und damit basta. Wie langweilig ist das denn. Ich sage, wenn du blond willst, mach mich blond, wenn du grüne Augenbrauen willst, mach's! Das ist toll. Weil die Mode ein Business der Träume ist, und das muss sie auch sein.

DER STANDARD: Sie arbeiten ja auch aktiv im Business der Träume mit.

Boscono: Für Givenchy habe ich am neuen Make-up gemeinsam mit dem Chefkreativen Nicolas Degennes gearbeitet. Wir sind geschmacklich sehr kompatibel. Er ist sehr präzise und will, dass jeder Schritt sitzt. Und er arbeitet auch mit dem Chefdesigner Riccardo Tisci eng zusammen. Bei Givenchy ist es nicht wie in anderen Maisons, in denen jede Sparte von jemand anderem verantwortet wird und einer vom anderen nichts weiß. Make-up und Parfum und Mode schöpfen bei Givenchy alle aus demselben Quell, aus der kreativen Kraft von Riccardo Tisci.

DER STANDARD: Sie fungieren da ja als Muse, wie das so heißt. Was hat man als Muse eigentlich zu tun?

Boscono:Er ist auch meine Muse. Außerdem hat er mehr als eine. Er hat acht Schwestern und eine Mutter. So viele Frauen. Er hat einen ganzen Haufen Musen. Und das Erstaunliche an ihm ist, dass er die Frauen so gut kennt. Er weiß, dass mehr als eine Rolle in uns steckt. Wir sind Mütter, Frauen im Beruf, Geliebte etc. Und Tisci schaut in viele Richtungen. Die Künstlerin Marina Abramovic etwa fasziniert ihn, die Schauspielerin Liv Tyler und viele andere. Ich bin quasi eine Teilzeitmuse.

DER STANDARD: Und die Teilzeitmuse muss tragen, was er möchte?

Boscono: Niemals! Ich habe meinen eigenen Kopf. Ich bewundere ihn natürlich, er mich aber auch. Wir reden nie über Mode, wir fahren miteinander auf Urlaub, wir haben viele Stunden in Bibliotheken verbracht, wir inspirieren einander. Seit wir uns kennen, also seit 13 Jahren, ist das so. Er war damals noch Student an der renommierten Modeschule St. Martin's, und er hat mich gefragt, ob ich für ein Bild auf der Einladungskarte zu seiner Modeschau modeln würde. Ich brauchte ein Foto von mir, und von da an waren wir gemeinsam unterwegs. Eine Nacht schlief er bei mir, die nächste ich bei ihm. Wir waren unzertrennlich. Heute geht das nicht mehr. Wir schlafen auch nicht mehr im selben Bett. Wir sind ja jetzt erwachsen. Aber wir hören uns jeden Tag. Er ist Familie.

DER STANDARD: Geht Ihnen Make-up auf die Nerven?

Boscono: Gar nicht. Es ist ein schönes Spielzeug. Bei Pflege komme ich mit ganz wenig aus. Ich reise sehr viel, meine Tochter ist sehr klein, und da habe ich schon genug Gepäck zu schleppen. Mein Alltags-Make-up ist auch eher bescheiden. Bisschen brauner Lidstrich, rote Lippen, fertig. Jede Frau sollte rote Lippen haben.

DER STANDARD: Sie sind in Asien, Europa und den USA gleichermaßen als Model beliebt. Kann man zum Beispiel in Asien mit Ihrer hellen Haut und den dunklen Augen eher was anfangen als mit den blonden Blauäugigen?

Boscono: Ich denke nicht, dass es daran liegt. Ich bin einfach sehr speziell. Ein seltenes Geschöpf, so wie Kate Moss eines ist. Es kann keiner wirklich erklären, aber irgendetwas funktioniert bei uns. Und mit den Jahren haben sich die Leute an uns gewöhnt. Und es gibt niemanden, der so aussieht wie ich.

DER STANDARD: Schönheit ist ein Markt, in dem man möglichst vielen Leuten die eigene Version davon verkaufen will. Wie speziell kann man da sein?

Boscono: Ich bin die Einzige, die über mich urteilt. Ich hab mich nie schön gefühlt. Das ist ein Riesenproblem, wenn man ein Model sein will. Man hat mich oft als schön bezeichnet. Bis ich mir irgendwann gesagt habe, wenn so viele dieser Meinung sind, dann muss es wohl stimmen. Und ab da war ich schön. (Bettina Stimeder, RONDO, Der Standard, 1.3.2013)