"Big Chance für Europa, die Goldgrube Big Data datenschutzfreundlich zu heben." Jan Philipp Albrecht, Berichterstatter für das EU-Parlament.

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Das "Recht auf Vergessen" sollte zumindest rechtlich vorhanden sein, auch wenn die technische Umsetzung nur bedingt machbar ist, meint Albrecht.

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STANDARD: Sie haben vor kurzem die Liste der Lobbyisten veröffentlicht, die bei Ihnen als Berichterstatter für das Parlament in Sachen EU-Datenschutzverordnung vorstellig geworden sind. Was für Reaktionen hatten Sie darauf?

Albrecht: Sehr positive. Vielfach wurde der Wunsch ausgesprochen, dass auch andere Berichterstatter und Abgeordnete das zur Regel machen. Denn Lobbying ist ja nicht nur ein Problem für die, die es betreiben, sondern auch für die Abgeordneten.

STANDARD: Das Internet gilt gern als Raum, dessen Freiheit es zu schützen gilt. Widerspricht dem eine Verschärfung von Datenschutz nicht?

Albrecht: Es stimmt ja nicht, dass das Internet ein rechtsloser Raum ist, es gibt hier hunderte verschiedene Rechtsordnungen. Wenn ich zum Beispiel hier in Wien auf zehn verschiedenen Websites surfe, kann es sein, dass ich dabei zehn verschiedenen Rechtsordnungen unterliege, die ich nicht alle kenne. Größte Herausforderung ist es, den Datenschutz zumindest in der EU stärker zu vereinheitlichen, da wir derzeit international nicht in der Lage sind. Das zeigen allein schon die Verhandlungen in der ITU, der internationalen Fernmeldeunion der UN, wo repressive Länder wie etwa China mehr nationale Kontrolle über das Internet durchsetzen wollen.

STANDARD: In den USA wird ein lockererer Umgang mit Daten gepflegt. Nicht von ungefähr kommt Analysten zufolge das Internet und ein Großteil dessen Ökonomie von dort. Besteht die Gefahr, dass durch schärfere Datenschutzgesetze sich Europa weiter in Isolation begibt?

Albrecht: Viele europäische Internetfirmen fühlen sich US-Unternehmen gegenüber benachteiligt. Doch sind sie weniger interessiert daran, diese durch Deregulierung loszuwerden, sondern hoffen darauf, die Konkurrenz aus Übersee abhängen zu können, indem sich diese an gleiche Regeln halten müssen wie sie. Man sollte dabei mehr in Richtung einheitlicher Wettbewerbsraum denken. In einer globalisierten und digitalisierten Welt darf es nicht um einen Wettlauf für die niedrigsten Regeln gehen. Wie sich das etwa bei Umweltstandards zeigt, bei denen kein nachhaltiger Erfolg auszumachen ist.

STANDARD: Teile der IT-Wirtschaft haben ja schon unmissverständlich damit gedroht, dass ein Zuviel an Datenschutz in der EU zu teureren Produkten oder gar Jobabbau führen könnte. 

Albrecht: Da steckt eine Fehlkalkulation dahinter. Die EU-Datenschutzverordnung ist ein riesiger Gewinn für Unternehmen. Etwa dadurch, dass wir 27 nationale Verordnungen in ein einheitliches System zusammenführen. Das schlägt sich auch auf die Wettbewerbsfähigkeit nieder. Ein einheitlicher Markt sorgt dafür, dass Innovationen stattfinden. Das wird viel zu wenig beachtet. Ein starker Datenschutz bietet auch einen Vorteil in Ländern wie den USA, wo sich die Bürger zunehmend über Plattformen wie Facebook und andere Internetunternehmen ärgern, die ihre Rechte ignorieren. Unternehmen, die hier die Latte hochhängen, haben mehr Chancen.

STANDARD: Viele von uns nutzen fleißig allerlei Internetdienste. Die Anbieter argumentieren, sie bräuchten die Nutzerdaten für deren Verbesserung. Das klingt zunächst einmal doch nachvollziehbar.

Albrecht: Wir wissen aber auch, dass Big Data, also die Analyse der wachsenden Datenmengen im Internet, auch etwas bringen kann, ohne dass zwangsläufig personenbezogene Daten erhoben werden müssen.  Wenn ich zum Beispiel auf meinen Smartphone nachschaue, wie ich am besten von Punkt A nach B komme, können die Infos über mich auch anonym verarbeitet werden. Allerdings hat sich die Anonymisierung von Informationen leider noch nicht durchgesetzt. Für europäische Unternehmen wäre es eine Big Chance, damit die Goldgrube Big Data datenschutzfreundlich zu heben und somit das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewinnen.

STANDARD: Wenn man sich aber so das Verhalten vieler Nutzer anschaut, gewinnt man den Eindruck, dass ihnen Datenschutz nur peripher ein Anliegen ist.

Albrecht: Viele der Bürgerinnen und Bürger haben den Blick verloren, was mit ihren Daten passiert. Sie sind zum Teil zu einem fremdbestimmten Produkt geworden. 80 bis 90 Prozent der Daten werden mittlerweile nicht mehr auf Grundlage des Nutzer-Einverständnisses verarbeitet, sondern aufgrund von Ausnahmeregeln. Gelten sollte aber der Grundsatz: Will jemand meine Daten verarbeiten, muss es wieder Regel werden, dass ich dem vorher zustimmen muss.

STANDARD: Ein Punkt, bei dem es sich in Sachen EU-Datenschutzverordnung besonders spießt, ist die Frage von Sanktionen und ihrer Höhe.

Albrecht: Ja, diesbezüglich wird viel gejammert. Doch will man starke Datenschutzregeln glaubhaft durchsetzen, braucht es auch Sanktionen.

STANDARD: Datenschutz personenbezogener Daten sollte sich aber nicht nur auf Unternehmen, sondern auch auf staatliche Behörden erstrecken.

Albrecht: Natürlich gehört zu einer Datenschutzverordnung auch die Frage, gibt es eine unabhängige Aufsichtsbehörde, Parlamente, die die Möglichkeit der Exekutive beschränken. Das sind alles Punkte, die ebenfalls diskutiert werden müssen.

STANDARD: Das "Recht auf Vergessen" im Internet ist schön und gut, doch im riesigen Cyberall nicht durchgängig möglich. Wie stellen Sie sich das vor?

Albrecht: Das Recht auf Vergessen präzisiert die Recht auf Löschen. Wenn jemand meine Daten im Internet an Dritte weitergibt, muss er sich auch um den Folgenbeseitigungsanspruch kümmern. Das ist technisch zwar nur bedingt machbar, soll aber dennoch rechtlich vorhanden sein.

STANDARD: Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie optimistisch sind Sie, dass die geplante EU-Datenschutzverordnung ohne allzu gravierende Einschnitte durch alle EU-Gremien geht?

Albrecht: Sagen wir einmal: leicht optimistisch. 7 auf der Skala. Wir hoffen, dass wir in den kommenden Monaten noch viel Aufmerksamkeit dafür bei den Bürgerinnen und Bürgern gewinnen können, damit ihre Rechte in ihrem Sinne entschieden werden. Für eine objektive und vielseitige Meinung hoffen wir, die richtigen Informationen bieten zu können. (Karin Tzschentke, DER STANDARD, 27.2.2013)