Bild nicht mehr verfügbar.

Regisseur David Bösch "dirigiert" ab Samstag die "Crème" der Wiener Nestroy-Spieler, darunter Johannes Krisch und Maria Happel.

foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Wien - Großen Regieansagen ist David Bösch abhold. Der Regisseur, dessen Talisman-Inszenierung am Samstag Premiere im Wiener Akademietheater hat, beschreibt sein Arbeitsprinzip als "Energieübertragung". Auf der Probe versuche er, die Erfahrungsschätze seiner Schauspieler zu heben.

STANDARD: Mit Blick auf die rote Haarfarbe des armen Titus Feuerfuchs fällt in Nestroys Talisman der Satz: "Das Vorurteil is eine Mauer, von der sich noch alle Köpf', die gegen sie ang'rennt sind, mit blutige Köpf' zurückgezogen haben." Wie blutig schlägt man sich als Deutscher den Kopf, wenn man gegen Nestroys anrennt?

Bösch: Das habe ich mich im Vorfeld natürlich auch gefragt. Man hört ja immer, dass man mit Horváth, Raimund oder Nestroy als Regisseur in Österreich eine große Gefahr eingeht. Nun habe ich viel über Nestroy gelesen und mich auch mit ihm als Person so ausführlich beschäftigt, um sagen zu können: Ich halte das viel zu sehr für Weltliteratur, als dass ich ihn an das Wienerische verlorengeben würde. Nestroy ist nicht nur ein Theatermacher, sondern ein Literat von höchstem Rang.

STANDARD: Haben Sie eines Sprachkompasses bedurft?

Bösch: Nein, von ein paar dramaturgischen Handreichungen abgesehen, weil einige Wörter und Wendungen nicht mehr gebräuchlich sind. Was ein "Stellwagen" ist, das wusste dann aber auch Regina Fritsch. Nun ist es so, dass es in Deutschland niemanden gibt, der so wie Nestroy geschrieben hätte. Womit hängt das zusammen? Damit, dass er Schauspieler war. Er hat, wie Molière oder Shakespeare, aus dem Publikumsbezug heraus gearbeitet. Goethe hat zwar ein Hoftheater geleitet, war aber kein Mann der Praxis.

STANDARD: Hat Nestroy mit seinen Possen nicht Schindluder getrieben? 81 Stück hat er geschrieben, die meisten wurden gleich nach der Uraufführung wieder ad acta gelegt. Das ist doch in Wahrheit Barbarei gegen die Literatur.

Bösch: Er nahm diese bekannten Vaudeville-Stoffe zur Hand, die der Allgemeinheit bekannt waren. Diese Stoffe waren von überschaubarer Qualität. Er schrieb den Figuren eine sagenhafte Brüchigkeit ein. Nestroy stellt lauter "Zerrissene" auf die Bühne. Einmal sagt Titus: Jetzt steh' ich einer Literatin gegenüber, da muss ich meiner Sprache ein "Festgewandl" anziehen. Der virtuose Sprachumgang mag zum Teil mit der Zensur zu tun gehabt haben ...

STANDARD: Er stellt ein Einvernehmen mit dem Publikum her?

Bösch: Eine wechselseitige Verständigung, wie es sie auch in der DDR-Literatur gab. Dadurch schafft er eine Sprachkunst, die es in meiner deutschen Heimat nicht gibt. Der Talisman bietet für mich die einmalige Gelegenheit, mit einem Weltliteraten in Berührung zu kommen, um ihn auch in Deutschland herauszustreichen. Ich glaube, den Zerrissenen könnte man dort machen.

STANDARD: Werden Sie das Stück in Bochum, wo Sie Hausregisseur sind, demnächst vorschlagen?

Bösch: Vielleicht nicht in Bochum. Eher im Süden.

STANDARD: Man darf Nestroy nicht allein den Österreichern überlassen?

Bösch: Finde ich schon. Man ist als Regisseur ja immer geschützt durch die Liebe zu einem Autor. Und man genießt Schutz durch eine Konstellation, in der Branko Samarovski und Bettina Fritsch mit einem arbeiten, Johannes Krisch und Maria Happel, die ja eine halbe Hiesige ist. Das sind alles Leute, die ihren Nestroy kennen und trotzdem die Offenheit haben zu sagen: Lasst uns die Anarchie in dem Text aufspüren. Nestroy ist ja der deutlich Modernere als Ferdinand Raimund. Raimund soll ihm einmal verboten haben, den Rappelkopf zu spielen. Nestroy muss nach Raimunds Geschmack zu viel extemporiert haben - eben ein Anarchist, der das Biedermeier in die Moderne hinüberkutschiert hat. Er macht sich über die Figuren, denen er aufs Maul schaut, auch nie lustig. Er hat den Mut zu Sentimentalität und Kitsch. Das macht ihn shakespearehaft.

STANDARD: Woher rührt Ihr Bienenfleiß? Sie liefern oft drei, vier Inszenierungen pro Spielzeit ab.

Bösch: Ich trinke nicht und rauche nicht. Ich schlafe wenig, und ich habe für keine Familie zu sorgen.

STANDARD: Seit einiger Zeit inszenieren Sie auch Opern, etwa Mozarts "Mitridate". Besaßen Sie musikalische Vorkenntnisse?

Bösch: Eher wenige. Darum war ich auch so verwundert, als mich Nikolaus Bachler vor ein paar Jahren ansprach, ob ich bei ihm inszenieren würde. Da wusste ich bereits, dass er nach München an die Oper gehen würde. An die Oper! Ich hielt das für einen Irrtum. Aber er sagte: "Nein, ich meine Sie als Opernregisseur!" Und siehe da, seitdem liebe ich die Arbeit an der Oper. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 27.2.2013)