Familientherapeut, Autor und derStandard.at-Kolumnist Jesper Juul.

Foto: Family Lab

Diese Serie entsteht in Kooperation mit Family Lab Österreich.

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Eine Leserin fragt:
Ich schreibe Ihnen, weil ich mir Sorgen um meinen 14-jährigen Sohn mache. Ich weiß nicht, ob ich richtig mit ihm umgehe. Er ist der Nachzügler in unserer Familie. Seine beiden Brüder sind bereits erwachsen und leben nicht mehr zu Hause. Wir haben schon mehrmals bemerkt, dass er geraucht hat. Er selbst leugnet es. Dass wir nicht damit einverstanden sind, dass er mit 14 raucht oder Alkohol trinkt, haben wir klar dargelegt, was zur Folge hatte, dass er seine Freunde nicht mehr traf und sie mit ihm nichts mehr zu tun haben wollten.

Unglücklicherweise hat er seit kurzem einen neuen gleichaltrigen Freund aus seiner Parallelklasse, der raucht und Alkohol trinkt. Was uns Sorgen macht, ist dessen Umfeld. Angeblich verkauft dieser Freund illegal Drogen. Wir haben unserem Sohn zu verstehen gegeben, dass dieser Junge nicht der beste Umgang für ihn ist, weil wir Angst haben, dass er durch ihn mit Drogen in Kontakt kommt. Immer, wenn wir unseren Sohn darauf ansprechen, wird er wütend und verteidigt seinen Freund.

In der Schule ist er gemeinsam mit einem Klassenkollegen sehr beliebt und ist gerne der "Coole". Sport mag er gar nicht, was auch bedeutet, dass er außerhalb der Schule kaum Freunde hat, weil er keine außerschulischen Kurse besucht. Wir sind ganz das Gegenteil, betreiben viel Sport und versuchen ihn immer wieder zu animieren. In der Schule hat er gute Noten, aber er ist manchmal auch faul und macht nur das, was unbedingt erledigt werden muss. Was sollen wir machen? Wir haben schon überlegt, ob es vielleicht eine gute Idee sei, ihn aus seiner Schule zu nehmen, um so den schlechten Umgang zu vermeiden.

Was seinen Freund betrifft, so haben wir beschlossen, dass er ihn nicht mehr treffen darf, wenn wir das Gefühl haben, dass für notwendige Grenzen nicht gesorgt ist. Was wir erlauben, ist, dass sein Freund zu uns kommen darf, so oft er möchte. Unser Sohn ist sehr verärgert und will nicht, dass wir ständig dabei sind. Er glaubt, dadurch sein cooles Image zu verlieren. Er meint, Rauchen sei cool, will aber damit warten, bis er 18 ist.

Vor kurzem ist uns über Freunde zu Ohren gekommen, dass er in seinem Freundeskreis gesagt habe, Marihuana ausprobieren zu wollen. Wenn wir zu Hause darüber sprechen, versichert er mir, dass es keinen Grund für ihn gibt, Drogen zu nehmen. Wir unterhalten uns oft darüber, wie unser Tag verlaufen ist, was uns gut gefallen hat und was nicht. Dabei sprechen wir auch über unsere Erfahrungen. Trotzdem habe ich ein Gefühl, als ob wir feststecken würden.

Jesper Juul antwortet:
Auch wenn ich Ihre Bedenken gut verstehe und Ihren Versuch, Ihren Sohn zu "erziehen", muss ich Sie dennoch warnen, sich damit nicht in einen Teufelskreis zu begeben wie so viele Eltern anderer Teenager auch. Sie laufen Gefahr, sehr heftige kurzfristige Reaktionen zu provozieren, die im schlimmsten Fall auch lang andauernde Folgen nach sich ziehen können.

Wenn Kinder in die Pubertät kommen, ist es zu spät, sie zu erziehen. Dennoch ist es möglich, sie als Erwachsene zu begleiten und eine konstruktive Einflussnahme auf ihr Verhalten und ihre Entwicklung auszuüben. Das verlangt jedoch, dass Sie damit Ihr gut gemeintes schlechtes Gewissen über die letzten "Erziehungs"-Jahre ablegen, das Ihr Sohn auch zu genießen scheint. Von nun an müssen Sie ein "Sparringpartner" sein. Geben Sie Ihrem Sohn Rückmeldungen zu dem, was er tut, und sagen Sie ihm, wie Sie ihn wahrnehmen. Vertreten Sie dabei wie bisher auch Ihre Werte. Ein Sparringpartner ist ein Trainingspartner (zum Beispiel im Boxsport), der maximalen Widerstand leistet und geringsten Schaden zufügt. Sagen Sie, was Ihnen gefällt oder was nicht und was vielleicht helfen könnte - aber nur ein einziges Mal. Glauben Sie mir, das hinterlässt mehr Eindruck als viele Wiederholungen und besorgte Gesichtsausdrücke. So behält er seine Privatsphäre und wird das zu schätzen wissen.

Was er jetzt und für die Zukunft braucht, ist ein Sicherheitsnetz - einen Ort der Unterstützung, Hilfe und Fürsorge, wenn er mit den großen und kleinen Problemen des Lebens zu kämpfen hat. Er wird diese Beziehung mit ziemlicher Sicherheit mit Drogen, Alkohol, Pornografie und "schlechten" Freunden und allem anderen, das Erwachsene in Angstzustände versetzt, testen. Das Ergebnis seines Experiments hängt zu 75 Prozent von der Basis ab, die Sie mit ihm während der ersten zehn Jahres seines Lebens geschaffen haben, und zu 25 Prozent davon, wie Sie ihm jetzt und die nächsten fünf Jahre begegnen. Er braucht vor allem drei Dinge: Vertrauen, Vertrauen und Vertrauen.

Vertrauen Sie darauf, dass er sein Bestes gibt, mit dem, was er von Ihnen bis jetzt bekommen hat. Lieben Sie ihn und vertrauen Sie ihm, auch wenn es unmöglich erscheint. Je mehr Sie sich Sorgen machen und versuchen, ihn zu kontrollieren, desto mehr wird er sich verschließen und Sie belügen. Setzen Sie Ihre Grenzen, so wie Sie dies in der Situation mit seinem Freund getan haben. Versuchen Sie nicht, über ihn und seine Wahl zu entscheiden. Viele Eltern erzählen, dass Sie das Gleiche wie Sie versucht haben. Wenn Sie sie fragen, werden Sie feststellen, dass ihre Bemühungen meist kläglich scheiterten. (Jesper Juul, derStandard.at, 4.3.2013)