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Judith Wiesner während ihrer letzten Partie in Wimbledon. Im Juni 1997 unterlag die damals 31-Jährige der Französin Nathalie Tauziat in der dritten Runde.

Foto: EPA/Penny

Mattsee - "Manchmal", sagt Judith Wiesner, und sie wundert sich darüber sehr, träumt sie vom Tennis. "Es sind merkwürdige Träume. Der Bespanner ist verschwunden, die Schläger haben keine Saiten, ich verlaufe mich auf der Anlage und finde den Platz nicht. Schrecklich." Im Wachzustand lacht sie dann über diesen Blödsinn, ihr Ehemann Roland Floimair hört die alten Geschichte übrigens sehr gerne.

Judith Wiesner heißt seit 2001 Wiesner-Floimair, geboren wurde sie am 2. März 1966 in Hallein als Pölzl. Die junge Frau Pölzl hat im Alter von 21 Jahren Herrn Heinz Wiesner geheiratet. Heinz, er war und ist immer noch um 19 Jahre älter, hat ihre Karriere begleitet, er saß praktisch bei jedem Match auf der Tribüne. Abgeschottet in einem Eck, denn Heinz hat sich während der Partien Zigaretten in der Kette reingezogen. "Der war nervöser als ich." Dass die Ehe irgendwann in die Brüche gegangen ist, kann, muss aber nicht dem Tennis umgehängt werden. "Beziehungen scheitern eben."

Judith Wiesner führt "ein glückliches, ruhiges Leben". Roland und sie wohnen in einem Haus über dem Mattsee, der Blick ist wunderbar, zuletzt wurde ihnen eine märchenhafte Winterlandschaft hingemalt. Stundenlang könnte sie aufs zugefrorene Wasser schauen. Man genießt die Zweisamkeit, Roland war Pressesprecher der Salzburger Landesregierung, er ist nun 64 und Pensionist.

Ausflug in die Politik

Eigentlich wollte Judith Wiesner nach ihrer Karriere nie wieder in ein Flugzeug steigen, das hat sie selbstverständlich nicht durchgehalten. Unlängst waren die beiden in Südafrika. Und dorthin kommt man sicher nicht mit dem Fahrrad. Kiloweise Bücher nehmen sie auf die Reisen mit. " Unser Übergepäck besteht aus Lesestoff." Sie kann noch Spektakuläres wie " Bekannte und Freunde treffen, regelmäßige Theaterbesuche und Kochen" anbieten.

Durch Roland ist sie in die Politik geraten. Von 1999 bis 2004 diente sie der ÖVP als Klubobfrau im Salzburger Gemeinderat. "Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Man wird geerdet, lernt die Probleme der Leute kennen." Prinzipiell sei die Politik aber schon frustrierender als der Spitzensport. "Weil nicht immer der Bessere gewinnt." Der Salzburger Finanzskandal sei "ein Wahnsinn, eine Katastrophe. Da wird ein Land in den Abgrund geführt." Im Wahlkampf wird sie für Wilfried Haslauer aktiv sein.

Tennis statt Mauer

Judith Wiesner ist als Kind eine passable Skifahrerin gewesen. "Ich war leider eine Bruchpilotin, keine Hausmauer ist vor mir sicher gewesen." Also doch Tennis, nicht zuletzt der Baupolizei zuliebe. Ihr Talent wurde früh erkannt und sogar gefördert. Der Vater arbeitete als Dreher, die Mutter als Verkäuferin, das Einkommen reichte allemal für die eine oder andere Unterrichtsstunde im Salzburger Tennisklub. 1983 startete sie ihre Profikarriere, die sollte bis 1997 dauern und fünf Turniersiege beinhalten. Neun Jahre hat sich Wiesner in den Top 20 gehalten, 1997 war sie die Nummer zwölf.

Zweimal schmückte sie das Masters, in Wimbledon und bei den US Open stand sie im Viertelfinale. Siebenmal kam sie bei Grand-Slam-Turnieren ins Achtelfinale, vornehmlich in Wimbledon. 1,8 Millionen Dollar Preisgeld hat sie schlussendlich eingespielt. "Das klingt viel, man muss aber die Steuern und Spesen abziehen."

Ihre Karriere hat sich mit jener von Thomas Muster überschnitten. " Einerseits hat man schon vom Boom profitiert, andererseits stand man im Schatten. Habe ich ein Match gewonnen, war es bei dem Kerl gleich ein ganzes Turnier. Er hatte die Schlagzeilen, ich die Ruhe." Judith Wiesner sagt, "dass ich ein Egoist war, krankhaft ehrgeizig. Bevor ich verliere, wäre ich lieber gestorben." Sie hat trotz Niederlagen überlebt.

Nett

Ein richtiger Ungustl dürfte sie freilich nie gewesen sein. 1991 wurde sie von den Kolleginnen zur nettesten und fairsten Spielerin auf der Tour gewählt. Elfmal hat sie gegen die legendäre Steffi Graf verloren, gegen Jennifer Capriati, Jana Novotna oder Arantxa Sanchez-Vicario tat sie sich etwas leichter. 1990 ist sie im Finale von Key Biscayne hinter Monica Seles Zweite geworden.

"Wimbledon", sagt Wiesner, "ist die schönste Erinnerung. Der Center Court erfüllt dich mit Demut. Bevor du rausgehst, liest du einen Spruch. Egal ob du gewinnst oder verlierst, es ändert dein Leben nicht, heißt es sinngemäß." Das Ende war relativ abrupt, aber doch absehbar. "Ich war dauernd krank, litt am Pfeiffer'schen Drüsenfieber, war psychisch und physisch nicht mehr in der Lage, Spitzensport zu betreiben. Der Pensionsschock blieb mir erspart, ich habe Golf als Ersatz gefunden."

Judith Wiesner hat die Langsamkeit entdeckt. "Früher hattest du nie Zeit. Sogar nach einem Turniersieg bist du gleich duschen gegangen, hast schnell die Sachen gepackt, um den Flieger noch zu erwischen. Das Genießen blieb auf der Strecke. Aber es war trotzdem schön."

Ästhetischer Federer, stöhnende Asarenka

Hin und wieder schaut sie im Fernsehen Tennis. "Es muss etwas Besonderes sein." Den Roger Federer mag sie sehr ("Ein Ästhet"), den Andy Murray hält sie hingegen überhaupt nicht aus. Murray wird darüber hinwegkommen. Die Victoria Asarenka sei eine hervorragende Spielerin. " Allerdings muss man den Ton abdrehen, ihr Gestöhne ist nicht auszuhalten. Das gilt auch für Maria Scharapowa. Im Vergleich dazu war die Monica Seles stumm." Wiesner unterstützt das Turnier in Bad Gastein als Botschafterin, das war's mit dem Tennis. Barbara Schett ist eine gute Freundin geworden, eine weniger nette Erinnerung sind chronisch gereizte Achillessehnen. "Es gibt schlimmere Schicksale. Hochspringerin will ich eh keine mehr werden."

Judith Wiesner sitzt im Wohnzimmer und schaut runter auf den zugefrorenen Mattsee. "Ich kann kaum erwarten, dass es Sommer wird und ich ins Wasser springen kann." Ein bisserl Ungeduld ist geblieben. Und der Traum von Schlägern ohne Saiten. (Christian Hackl, DER STANDARD, 25.02.2013)