Er beginnt zu lesen. Die Lektüre macht ihn, den Abteilungsleiter der Statistik, der von der Konzernspitze für eine Entlassung vorgemerkt ist, glücklich und zu einem anderen Menschen.

Glück. Fragt man dieser Tage bei Buchhandlungen nach Glücksbüchern nach, lassen sich mit diesem Stichwort aus dem Verzeichnis lieferbarer Bücher im Handumdrehen beeindruckende 4323 Einträge herausfischen. Geht man einen Schritt weiter und lässt nach "happiness" global suchen, dann meldet die führende Suchmaschine dieser Welt 300 Millionen Einträge (ein Jahr vorher waren es noch 322 Millionen). Einige fliegengewichtige Sachbuchautoren und viele Seminarflüsterer sind durch den in der Verfassung der USA verankerten "pursuit of happiness", wohl am besten mit: Anpeilen eines Glückszustandes zu übersetzen, mehr als glücklich, da wohlhabend geworden.

Aber selbst die seriöse Psychologie hat das Glück schon seit längerem als Thema für sich entdeckt. An der Spitze dieser "Positiven Psychologie" , wie sich diese Forschungsrichtung nennt, steht der Psychologieprofessor Martin Seligman von der University of Pennsylvania in Philadelphia. Hat er 2002 das Buch Der Glücksfaktor veröffentlicht, so vergangenes Jahr mit Flourish eine eminente "Positive Psychologie des gelingenden Lebens".

Ist eines von beiden in dem Bücherstapel, den Sebastian Dimsch, der Held in Thomas Sautners jüngstem Roman Der Glücksmacher, kauft? Dimschs Karriere in einer großen Versicherungsgesellschaft scheint an ihr Ende gekommen zu sein, abgeschoben wurde er mitsamt seinen zwei Mitarbeitern in drei winzige abgelegene Büros, die vorher als eine Art Besenkammer dienten. Das Glück hat ausgedient, da hilft auch nicht die Familie - stattdessen, so denkt Dimsch, Psychologen, Esoteriker, Glücksgurus, Religionsgründer, Dichter und Philosophen, von Heraklit über Hermann Hesse bis zu Wittgenstein und Jaspers.

Er beginnt zu lesen. Die Lektüre macht ihn, den Abteilungsleiter der Meinungsforschung und Statistik, der intern von der Konzernspitze für eine Entlassung vorgemerkt ist, glücklich und zu einem anderen Menschen. Er blendet während der Arbeitszeit die Arbeit aus, stattdessen gibt er philosophische Sentenzen und Weisheiten in der Unternehmensbinnenkommunikation zum Besten und wird deshalb immer wichtiger für die geknechteten Sacharbeiter: als sozialer Nothelfer für Herz, Seele und Selbstbewusstsein.

Zudem nimmt eine externe Organisationsberaterin ihre Arbeit auf, für die sich Sebastian Dimsch als "Glücksmacher" herauskristallisiert, wenn auch nicht emotional. Denn Sebastian verliebt sich zwar in diese Eva Fischer, sie allerdings in den ebenso gerissenen wie selbstverliebten, selbstsicher bis arrogant auftretenden Vertriebschef und Penthouse-Casanova Rainer Torberg (eine Namenswahl, die sich gegen Ende als treffender Spott entpuppt, als Rainer Torberg nämlich einen Text Dimschs umschreibt, sodass er nicht mehr wiederzuerkennen ist, eine Insider-Hommage an den gleichnamigen Zeitschrifteneditor und Wiener Großkritiker Friedrich Torberg, der Mitarbeiterbeiträge fundamental umzuarbeiten pflegte).

Von Fischer in ihrer Untersuchung als sozial geradezu unverzichtbar herausgehoben, wird der "Glücksmacher" Dimsch gleich eine Stufe höher getragen. Und damit hebt dann der 1970 geborene Thomas Sautner, zwischen Wien und dem Waldviertel pendelnd, das Milieu des Versicherungs- und Büroromans in Stromberg'sche Höhen.

Ohne allerdings die ätzende Boshaftigkeit der TV-Sendung mit und um Bernd ("Ich bin der Chef, und wenn bei mir alles ruhig läuft, dann scheint bei denen auch die Sonne") Stromberg zu meiden. Sautner verpackt seine beißende Kritik stattdessen weich ein. Denn Dimschs unübersehbare Glücksexistenz wird von der Versicherungsspitze umgehend überführt in eine neue Policenofferte, eine "Glücksversicherung". Welche nun Dimsch entwickeln soll, was selbstverständlich lebensweltliche wie philosophische Tücken aufwirft; und ihn wieder zum Alkohol treibt.

Am Ende steht dann nicht nur ein unerwarteter Publikumsandrang, ist doch, siehe oben, Glück heute massiv nachgefragt. Sautner jedoch lässt das Ganze nicht als klirrend böse Satire ausklingen, sondern wartet stattdessen mit dramaturgischen Elementen auf, die etwas unnötig arg ins Flache abgleiten, wie auch einige Charaktere von vornherein absichtlich eindimensional als Karikaturen angelegt sind, die vom Managen wie von einem unerfüllten Kinderwunsch überforderte Direktorin Irene Großburg beispielsweise.

So kehrt der seit 30 Jahren in der Firma tätige Bürobote Peng zurück in sein Heimatland (Nordkorea!), wo er das größte, einst in Familienbesitz befindliche Stahlwerk übereignet bekommt, ist aber nach sechs Monaten so unglücklich, dass er darum bittet, wieder als Bürobote zurückzukehren. Was ihm Großburg höhnisch verweigert, woraufhin er die Versicherung durch eine feindliche Übernahme aufkaufen will. Kurze Zeit später geht dann der Verwaltungssitz in Flammen auf, damit auch sämtliche abgeschlossenen Verträge, mit der Kunden für ihr Glück vorsorgten. Dass Sautner Sebastian Dimsch final in einer neobiedermeierlich saturierten Wohlfühlatmosphäre der Kleinfamilie verharren lässt, ist dann fast einen Tick zu sanft. Dafür ist er glücklich. Und wir mit ihm. (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 23./24.2.2013)