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"Jetzt ist eine neue Stufe da, und sie wurde von so vielen erklommen, dass sie jetzt Realität ist."

Foto: AP/Dmitry Lovetsky

Ich frage mich nun doch langsam, was diese Dinger, die wir da dauernd benutzen, mit uns machen. Eigentlich war mir immer klar, dass ich mir diese Frage nie stellen würde. Aber vielleicht ist es auch so, dass ich sie mir bislang nie stellen musste. Das ganze Medienproblem habe ich immer so gesehen: 1. Interessieren musst du dich nicht dafür (einreden lassen musst du dir diese Medien auch nicht). 2. Früher hast du auf der Schreibmaschine geschrieben, heute schreibst du mit dem Computer. Das geht auch tatsächlich einfacher, und man kann auch gleich Dateien vermailen. Also sozusagen: Schreibmaschine und Postweg in einem. Fernseher: habe ich nicht (auch wenn ich ihn jetzt bezahlen muss). IPhone oder etwas ähnliches habe ich nicht. Facebook kenne ich nicht. Ich bin übrigens fünfundvierzig Jahre alt und nicht fünfundneunzig, aber das nur am Rand.

So einfach war das bislang. Aber jetzt ist etwas geschehen. Es fällt mir schwer zu beschreiben, was geschehen ist. Es ist so, wie wenn eine kritische Masse erreicht ist. Es hängt hauptsächlich mit diesen iPhones zusammen. Auch mit den sozialen Netzwerken und mit den ständig neuen (Informations-)Angeboten und Konsummöglichkeiten im Netz. Alles das kriege ich neuerdings mit, denn es schwappt nun alles in die Gespräche um mich hinein. Mehr noch, es strukturiert sie inzwischen.

Wo anfangen? Ich versuche mal, einen Aufenthalt in einem österreichischen Gasthof vor eineinhalb Jahren zu beschreiben. Der Gasthof sei hier nur beispielhaft genannt, ich könnte auch jedes Frankfurter Café meinen. Die Leute kamen teils mit ihren Notebooks zum Frühstück. Sie lasen Spiegel Online, Perlentaucher. Vielleicht las der eine dem anderen vor, was er gerade las. Vielleicht saßen sie auch gleichzeitig mit ihren Laptops am Frühstück, er und sie, Mails, Bestellungen, Postverkehr, irgend so etwas. Abends wurde Party gemacht, der eine hat das, der andere das auf seinem iPhone oder iPod, das steckten sie in einen Schlitz, und dann wurde Musik gespielt.

Da es sich um Leute handelte, die zum größten Teil in die Salzburger Festspiele involviert waren, war die Musik meist interessant, abseitig, gut. So wurde sie hörbar und dadurch ausgetauscht. Die Anzahl der iPhones damals kann ich nicht bemessen. Mehr bekam ich von all dem nicht mit - man sieht aber, es war schon eine ganze Menge.

Eineinhalb Jahre später hat sich, glaube ich, alles geändert oder zumindest eine neue Stufe erreicht. Wenn ich heute in meinen Gasthof komme, werde ich freudig empfangen, und der Großteil der Geschichten, die mir schon bei der Begrüßung von den Gästen erzählt werden, wird sofort vom iPhone bebildert. Ein Theaterabend in Paris. Ein neuer Hund. Eine Wanderung, Bilder dazu. Ich wische über das fremde Phone, auch wenn mir das etwas befremdlich ist. Ich sitze am Tisch, und von acht Leuten beschäftigen sich stets etwa die Hälfte mit den iPhones (alle haben inzwischen welche). Das machen sie aber nicht wie früher isoliert vor sich hin, sondern sie integrieren das iPhone ins Gespräch und die Kommunikation mit den Nachbarn, auch mit mir. Sie zeigen Fotos oder führen Filme vor oder schauen etwas nach etc. Meistens bekommen sie auch gerade Nachrichten (Mails, SMS?).

Die, die ihr Telefon gerade nicht benutzen, haben es dennoch vor sich auf dem Tisch liegen, sind sozusagen selbst im Standby-Modus, und nehmen das Telefon alsbald ebenfalls zur Hand, entweder um nach draußen zu kommunizieren, oder weil das Gespräch mit dem Nachbar sie dazu gebracht hat, ihm Fotos oder einen Film zu zeigen oder irgendetwas nachzuschauen, kleinste Informationen werden sofort nachgeschaut, Informationslücken werden, ich sage es mal so, seelisch eigentlich gar nicht mehr ausgehalten.

Am Tisch herrscht ein völliger Konsens darüber, dass diese Form von Kommunikation einfach so ist, wie sie ist, sie ist erwünscht, und alle haben sich daran gewöhnt, was natürlich in erster Linie daran liegt, daß inzwischen jeder so ein Gerät hat.

Ich falle höchstens dadurch auf, daß ich kein Smartphone habe. Ins Gespräch integriert werde ich dennoch, also in diese seltsam multimediale Mischung aus Mensch-Maschinen-insgesamt-Veranstaltung. Richtig auffallen würde ich allerdings dann, wenn ich laut äußern würde, dass ich während einer Unterhaltung a) keine Fotos auf iPhones sehen und auch nicht wischen möchte, b) keine Filme sehen möchte, c) nicht möchte, dass jemand sein Phone benutzt, wenn er mit mir spricht, d) dass ich auch keine Geräusche oder anderweitige Sachen von dem Gerät hören möchte. Aber auf jeden Fall wäre ich es damit, der das Spiel verließe. Die anderen würden zwar höflicherweise noch eine Weile mit mir weitersprechen, aber mich für einen ziemlich komischen Typen halten, und bald würden sie sich von mir abwenden.

Das meinte ich mit kritischer Masse: Dieses iPhone-Verhalten ist inzwischen so allgemein geworden, dass es in einer Situation die Regeln vorgibt. Es wäre ein erheblicher Aufwand und auch nicht sehr höflich, wenn man den Leuten sagte, sie sollten das bitte sein lassen. Ich kann die Situation nur (passiv) mitmachen oder sie verlassen. Letzteres wäre wiederum möglicherweise unhöflich und erklärungsbedürftig. Und Ersteres ist nun ja auch nicht mehr passiv: denn wenn mir jemand sein Phone hinhält und mich wischen heißt, weil er mir Fotos der Bergwanderung zeigt, dann wäre es bereits sehr auffällig, wenn ich nicht wischen würde. Es wäre bereits erklärungsbedürftig.

So, ich mag alle diese Leute, die da am Tisch sitzen, mit einigen bin ich gut befreundet, und es wird mir auch keiner unsympathisch dadurch, daß er mit seinem Gerät beschäftigt ist bzw. ich eigentlich mit ihm UND seinem Gerät beschäftigt sein muss, während ich mit ihm beschäftigt bin. (In meinen Frankfurter Apfelweinkneipen geht das immerhin noch nicht so zu, das liegt natürlich auch am Altersdurchschnitt dort.) Da ich die Leute in jenem (beispielhaften) Gasthof mag, werde ich also einen Teufel tun, ihnen zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Im Umkehrschluss bin ich dadurch in solchen Situationen jetzt natürlich zum unfreiwilligen Fremdhörer und Fremdwischer und Fremdgucker geworden. Ewig überspielen kann man das auch nicht.

Auch die Unterhaltung der Leute, also ihre Worte, die sie konkret sprechen, wird sehr stark von dem beeinflusst, was sie gerade mit ihren Phones machen. Das heißt, sie reden sehr intensiv von Facebook und solchen Dingen, wer da was macht oder nicht macht, und warum. Wer sich bei Facebook abgemeldet hat oder seinen Account nur zu dem oder dem nutzt, und wer ihn viel nutzt, und wer gerade was dort gepostet hat usw. Oder sie erzählen sich von Angeboten, einem gerade getätigten Kauf oder einer neuen Entwicklung der Geräte etc.

So, wie früher das Fernsehprogramm und, früher noch, die Tageszeitung das Gespräch beeinflusst und teils strukturiert haben, was Nichtfernsehzuschauern bzw. Nichtzeitungslesern auch schon immer Probleme bereitet haben dürfte, im Sinne von: Von was reden die da eigentlich gerade?

Im Gasthof sitzen an jedem Tisch solche piepsenden und tönenden Kommunikations-Atolle. Man sieht immer mehrere Leute zusammen, und sie halten sich stets das Telefon hin, schauen, hören sich etwas an und verbringen so gemeinsam ihre Zeit. Vielleicht ist das das für mich Neue: Sie verbringen ihre Zeit gemeinsam, gemeinsam mit Mensch und Maschine, in Kommunikationssymbiose. Die Zeitung und der Fernseher waren früher ja nicht zeitgleich anwesend. Der Kontakt nach "draußen" und der betreffende Informationsfluss war zeitlich vorgängig. Morgens las man Zeitung, abends redete man in der Kneipe darüber. Diese Zeitdistanz ist jetzt aufgehoben. Aber ich begreife langsam, daß meine "Kommunikation" zwar alt und gewöhnt, aber vielleicht auch nie natürlich, sondern eine Art von Zeitprodukt war. Selbst das uralte Stammtischgespräch basierte oft auf "Informationen" von außen, nämlich auf Zeitung und Fernsehen. Jetzt ist eine neue Stufe da, und sie wurde gemeinsam erklommen, von so vielen Leuten, dass das jetzt Realität ist. So rennt einem die Zeit davon. Und ich bekomme, wenn auch nicht zum ersten Mal in meinem Leben, eine Vorstellung davon, wie viel sich wirklich andauernd wandelt und dass es darauf keinerlei Reaktionsmöglichkeiten gibt, es sei denn die einfachste: den Schritt mitzugehen. Aber es werden auch immer Leute, wohl meistens Mittel-Alte wie ich, abgehängt, und dann dümpeln die bis zu ihrem Lebensende in so einer Art Waldschrat-Existenz mitten unter den Menschen vor sich hin. Schaut da, der Einsiedler. Sitzt in seiner Hotelecke, allein, und starrt vor sich hin. Der fremde Mensch da. Wie er uns anschaut ... (Andreas Maier, Album, DER STANDARD, 23./24.2.2013)