Würde man in einer Oberstufenklasse eines Gymnasiums eine Statistik, wonach das österreichische Schulsystem noch immer stark selektiv sei und nur ein geringer Anteil der Kinder von Eltern, die keine höhere schulische Qualifikation als einen Pflichtschulabschluss besitzen, einen akademischen Grad erreichen, aber dafür der größte Teil der sogenannten Akademikerkinder, wäre nicht allgemeine Empörung über offensichtliche Chancenungleichheit das Resultat, sondern vielmehr laues Interesse an einer Statistik, die man sich vielleicht in seine Geschichte- oder Deutschmappe schreibt, oder – schlimmer noch – ein Gefühl der Selbstbestätigung. Es stimmt also wirklich, wir, Bildungskinder der Bildungsschicht, sind also tatsächlich gebildeter, klar, da kann nicht jeder mithalten.

Bildung als abgrenzendes, käufliches Gut

Das soll nun kein Plädoyer für die Gesamtschule werden. Mit diesen Begriffen schreckt man momentan doch (noch) zu viel ab. Viel eher sei hiermit ein dezenter Hinweis auf mögliche langfristig verheerende gesellschaftliche Folgen dieses Bildes, dass die Gymnasien von Bildung und Leben vermitteln, intendiert. Ein Bild, in dem Bildung ein käufliches Gut ist, um sich abzugrenzen, kein Allgemeingut, das Unterdrückung, Ausgrenzung oder sozialen Benachteiligungen etwas entgegenzusetzen hat.

Was dem Gymnasium offensichtlich abhandengekommen zu sein scheint, ist das Übertragen von Gelernt- beziehungsweise –lehrtem in sozial-, tagespolitische oder gesellschaftlich relevante Kontexte, plump formuliert, ins reale Leben – was dann unweigerlich in einer sanften, unaggressiven, aber umso arroganteren Halbbildung mündet.

Sozialkritik als ästhetisches Mittel

Konkret: Wissen über Errungenschaften und Ereignisse in Wissenschaft, Geschichte und Kunst werden ungeachtet ihres kritischen und revolutionären Potenzials weitergegeben. Wenn dieses dann doch erkannt wird, wird es verästhetisiert oder als Eigenschaft, die den Autor eben zum unerreichten Genie macht, (v)erkannt. Gegebenenfalls noch aus der Ferne glorifiziert, archiviert und isoliert im Buch eingesperrt, um ja nicht dahinter zu kommen, dass die schön formulierte Kritik in diesem Text, jenem Gemälde oder dem speziellen Musikstück außer einer ästhetischen auch noch eine weitere Funktion gehabt haben könnte.

Eben dieses passiert auch mit besonders kritischen Schülern. Deren Meinungen werden entweder gleich verniedlicht, oder voller Bewunderung zu einer Ware der eigenen Bildungskulturkonsumsucht degradiert, also nur dem einen Schüler zugestanden. Gut, er hat das Talent dazu, er darf das, ihr anderen Schüler, mit weniger kraftvoller Stimme, ihr bleibt lieber ruhig und setzt euch damit nicht auseinander, eure Stärken liegen woanders.

Socializing statt Toleranz

Was nützt es, wenn wir im Gymnasium lernen, wie man perfekte Zeitungsartikel, Kommentare, Kolumnen oder Glossen schreibt, wenn man zuhause "Die Presse" von den Eltern doch nur liest, um die Banknachbarin, die die "Kronen Zeitung" verteidigt, zu degradieren. Ein Paradebeispiel für gymnasiale Arroganz: eine Schande, die "Kronen Zeitung" zu lesen, das ist eine Zeitung für vier Millionen bildungs- und spracharme Österreicher, die dürfen sowas lesen.

Die Ursache für die Misere sind natürlich nicht die faden, überangepassten Jugendlichen an sich, aus dessen eiskalten, anti-empathischen Welt nur mehr der Alkohol eine bunte macht, sondern dieselbe, die eben auch die oben Angesprochenen selbst entstehen ließ: eine von Marktinteressen dominierte Welt, in der kein Platz und keine Zeit mehr ist für einmal nicht marktkonformes Querdenken, Empathie, Verständnis, Toleranz, sondern für Jungakademiker nichts anderes bleibt als zu socializen. Kein Wunder, das im Denken der gymnasialen und Bildungsjugend kein Neuron mehr reserviert ist für Sozialkritik oder reale Wahrnehmung der Umstände außerhalb der eigenen paar (sich abwechselnden) Wände – sind doch Vorzeichen für das JungakademikerInnenprekariat wie unbezahlte Kettenpraktika längst Realität.

Nicht vergessen werden darf allerdings, dass die Bildungsschicht auch in Zukunft noch die "Zeichenmacht" gegenüber der unterpriviligierten Schicht haben wird, und somit als einzige Einfluss nehmen kann. Auch zu ihren Gunsten: Wäre die gymnasiale Jugend innerhalb der letzten dreißig Jahre nicht ihres revolutionären Potenzials beraubt worden, könnte sie sich nun gegen die eigenen nicht allzu rosigen zukünftigen Umstände besser zur Wehr setzen.

So aber werden weiterhin arrogant-hohle GymnasiastInnen erzogen, in weitere Folge ebensolche JuristInnen, BankenmanagerInnen, LehrerInnen, ja, sogar KünstlerInnen und LeserkommentarschreiberInnen. (Leserkommentar, Paul Schuberth, derStandard.at, 22. 02. 2013)