Das Entrée zu Frank Stronachs Reich in Oberwaltersdorf liegt gleich hinter der Ortseinfahrt. Kreisverkehr, erste Ausfahrt rechts. Links lacht Erwin Pröll von einem Wahlplakat. Wer zur Magna-Zentrale, zum Golfklub oder zum Villenpark Fontana will, muss zuerst die Idee von einem Burggraben passieren. Das sanft geschwungene Pflastersteinbrückchen war ursprünglich steiler. Den Maseratis und Ferraris zuliebe musste es tiefer gelegt werden.

Foto: Die Brücke nach Fontana
Foto: derStandard.at/rasch

1994 war Stronach zufällig in der Gegend. Er war vom Schloss Oberwaltersdorf, das rund 30 Kilometer südlich von Wien gelegen ist, so angetan, dass er das dazugehörige 170 Hektar große Areal gleich mitkaufte. Der Vorbesitzer war mit seiner Idee eines Golfplatzes mit Hotel am Widerstand der Politik gescheitert. Magna-Magnat Stronach erhielt für seine Vision grünes Licht. "Was mache ich, wenn die Präsidenten von Chrysler zu Besuch sind und nach einem Meeting Golf spielen wollen?", soll er gefragt haben. Die Antwort war ein 18-Loch-Platz der Spitzenklasse. Klubhaus, Tennisklub, ein zehn Hektar großer See, Sandstrand inklusive. Damit neben ihm auch andere Menschen an diesem Luxus teilhaben können, erbaute und verkaufte er gleich mehrere Nobelvillen im Fertigteilschick. Ein funktionierendes Konzept. Ein Blick auf den Lageplan zeigt, in "Fontana" wird noch ordentlich ausgebaut.

Planierte Vorgärten und aufeinander abgestimmte Fassaden in diversen Pastellfarben stellen den einheitlichen Südstaatenstil sicher. Ein Fontana-Sicherheitsdienst bewacht das Areal rund um die Uhr. Individuell verwirklichen können sich die Bewohner dafür bei der Inneneinrichtung. Statuen von Frauen mit entblößten Busen in Marmorhallen, ein Harry-Potter-Fresko und goldene Schwanenköpfe, die Wasser in den Whirlpool speien, lassen sich etwa in einem Immobilieninserat erblicken, mit dem eine "prachtvolle Oligarchenvilla" angepriesen wird. Kostenpunkt: knapp fünf Millionen Euro für 800 Quadratmeter Wohnfläche. Ein Schnäppchen im Vergleich zu den Preisen in Wiens Nobelbezirken. Karl-Heinz Grasser, Ex-Fontana-Bewohner, verlangte kürzlich für sein Wiener 400-Quadratmeter-Penthouse elf Millionen Euro Ablöse – exklusive Miete. Im Fontana gibt es Luxus zum Diskontpreis. Des Superreichen Golfhäuschen ist die Traumvilla für Neureiche. Auch der Oberwaltersdorfer SPÖ-Vorsitzende Fritz Schmid leistet sich hier eine Villa.

An seinem Wohlstand lässt Stronach auch die Oberwaltersdorfer ein wenig teilhaben. Im Dorf erinnert man sich: Vor 15 Jahren hat er der Freiwilligen Feuerwehr 50 Helme gespendet. In seiner Tennishalle durften sie den Feuerwehrball abhalten. Einmal im Jahr motzt Stronach seinen Schlosspark auf und lädt die Kinder des Ortes zum Weihnachtsmarkt. Berichtet wird von Weihnachtsständen, an denen alles gratis ist, Geschenken für die Kinder und pompöser Weihnachtsbeleuchtung, die "sehr amerikanisch ist".

Foto: Die Magna-Zentrale
Fotos: derStandard.at/rasch

Von der Magna-Europa-Zentrale fließen jährlich 600.000 bis 700.000 Euro Kommunalabgaben an die Gemeinde Oberwaltersdorf. Damit ist Ende 2013 Schluss. Dann wird die Konzernzentrale von hier – voraussichtlich in Richtung Wien – abziehen. Nur 80 von 230 Mitarbeitern werden in Fontana bleiben, das komplette Management und die Forschung gehen weg, nur der Bereich Sport wird bleiben. Da die Kommunalsteuern vom Einkommen der Mitarbeiter abhängig sind, ein empfindlicher Verlust.

Die Magna-Zentrale wird derzeit von der "MID Liegenschaftsverwaltungsgesellschaft" an die Magna vermietet. Laut einem Bericht der "NÖN" hat die Firma "20008 AustCO", bei der Stronachs Tochter Belinda in der Geschäftsführung sitzt, ein Vorkaufsrecht. Sowohl MID als auch AustCO haben ihren Firmensitz in der Zentrale: Magna-Straße 1. Stronach wollte im Interview mit Puls 4 allerdings nicht wissen, an wen die Zentrale verkauft wurde, er sei jedenfalls nicht involviert gewesen. Immobiliendeals von Frank Stronach mit "seinem" früheren Autozulieferkonzern sind jedenfalls keine Seltenheit, wie DER STANDARD berichtete. Alle Transaktionen, auch jene um das Schloss Reifnitz in Kärnten, wurden laut Magna-Konzernbericht von einem Komitee für Corporate Governance sowie von "unabhängigen" Direktoren des Vorstands inspiziert. Stronach selbst kritisierte im Rahmen des Magna-Abzugs gegenüber dem "Kurier" die Höhe der Kosten, die in Niederösterreich zu zahlen seien.

Auch der Optometrist und Augenoptiker Adi Walter Schuster wohnt in Fontana. Sein Haus steht in der zweiten Reihe, nicht direkt am See, "weil das wegen dem Feng Shui nicht so gut ist". Schlüsselfertig habe sein Domizil sieben Millionen Schilling gekostet.

Stronach streut er Rosen: "Er ist ein ganz ein lieber, reizender Mensch. Er ist immer gerne bereit, guten Tag zu sagen. Er geht oft schwimmen und Tennis spielen. Die Kinder haben gesagt, sie würden gerne Fußball spielen, und er hat gleich zwei Tore hingestellt."

Insgesamt würde hier jeder jeden grüßen, ganz egal, "ob man Millionen hat oder Milliarden". Und wieso Stronach diese Villen-Siedlung im Südstaatenstil gebaut hat? "Er hatte vielleicht den Drang dazu, uns ein bisschen zu helfen. Damit wir sagen, wir müssen nicht nach Amerika gehen, es ist auch hier schön." Schuster ist mit seiner Frau hierher gezogen, weil "wir in der Stadt keinen Auslauf mehr haben".

Foto: Magna auf der Gemeindetafel
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Aibler Fleisch- und Wurstwaren, Blumen & Geschenke Roschmann, Adeg-Kaufhaus Karl Jedlicka, Magna-Europa-Zentrale – die Historientafel im Wartesaal des Gemeindeamts Oberwaltersdorf spiegelt trotz ihrer Vergilbtheit noch den Stolz wider, den man einst hatte, weil sich Stronach hier einkaufte. Im Büro des ÖVP-Bürgermeisters Markus Gogollok spürt man davon nichts mehr. Trachtenjacke, Jeans und eine gehörige Portion Jovialität – so lehnt er sich hinter seinem Schreibtisch in den Ledersessel zurück.

Der bedauerliche Abzug sei eine Entscheidung von Magna gewesen, sagt Gogollok. Die Version Stronachs, dass die Miete für die Magna-Zentrale zu hoch gewesen sei, hält er für "lächerlich". Vielmehr glaubt er an Differenzen zwischen Stronach und Magna. Vielleicht habe es der Konzernführung nicht gefallen, dass Stronach im Zuge seines Wahlkampfes die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als "dumm" bezeichnet hat, mutmaßt der ebenso wahlkämpfende ÖVP-Politiker. Hinter ihm an der Wand: mehrere Fotos von sich in amikaler Pose mit "Landeshauptmann Doktor Erwin Pröll", den er "vor einigen Jahren kennenlernen durfte".

Bei Stronach habe er bereits vorgesprochen, um Magna vielleicht doch im Ort halten zu können. "Er hat gesagt, das sei eine Management-Geschichte, das gehe ihn nichts an", erklärt der Bürgermeister. Als den "Big Spender" von Oberwaltersdorf sieht Gogollok Stronach nicht. Mit Fontana habe dieser ein Vielfaches dessen lukriert, was der Mehrwert für Oberwaltersdorf gewesen sei. Natürlich hätten aber die einen oder anderen davon profitiert – etwa die Nahversorger. "Aber das ist nicht Frank Stronach zu verdanken, sondern dem guten Fleisch des Fleischers."

Im Gegensatz zu ihm seien viele Oberwaltersdorfer schon beeindruckt vom Milliardär aus Kanada. "Geld macht geil. Egal, wo er hinkommt, hängen sie an ihm wie eine Traube", sagt der Bürgermeister. Die Zahl der Unterstützungserklärungen für das Team Stronach sei dennoch überschaubar gewesen. 25 Oberwaltersdorfer hätten am Gemeindeamt dafür unterschrieben, dass Stronach in Niederösterreich kandidieren kann.

Foto: Die Bettfedernfabrik
Fotos: derStandard.at/rasch

Die bislang guten Steuereinnahmen über die Magna-Zentrale hatte die Gemeinde bitter nötig, denn die Oberwaltersdorfer haben eine große finanzielle Bürde zu tragen. Der Grund: der Skandal um die Bettfedernfabrik. Um das Jahr 2000 hatten die ehemalige Gemeindesekretärin und ihr damaliger Ehemann das alte Fabriksgebäude um 500.000 Euro aus der Konkursmasse gekauft, wenige Jahre später kaufte es ihr die Gemeinde um 1,4 Millionen Euro ab, obwohl es keine Aufwertung gab. Wer von der Differenz profitierte, ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft. Seither besitzt die Gemeinde eine riesige Liegenschaft, die als Veranstaltungshalle jährlich 600.000 bis 700.000 Euro verschlingt.

"Hätten wir die Bettfedernfabrik nicht, könnten wir heute ausgeglichen bilanzieren", rechnet Vizebürgermeister Manfred Schärfinger von den Mutbürgern vor. Ihre glanzvollste Zeit erlebte die Location im Jahr 2010. Damals spielte Christl Stürmer im ausverkauften Haus. Doch Stürmer war gestern. Heute gibt es in der Riesenhalle Maskenball, Feuerwehrfest und Kindertanzfeste. Die Hoffnung, dass ein zahlungskräftiger Gastronomiebetrieb einen Großteil der Miete übernimmt und Leute anlockt, schwindet dahin. Bereits zwei Restaurantbetreiber, die sich eingemietet hatten, mussten Konkurs anmelden.

Foto: Der Bücherflohmarkt
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Nicht alle Büroräumlichkeiten in der Bettfedernfabrik stehen leer. Marianne Edendorfer hat sich in den Geschäftsräumen zum Betriebskostenpreis eingemietet. Auf 200 Quadratmetern hat sie mit anderen Pensionistinnen einen gut sortierten Bücherflohmarkt aufgezogen.

Bücher, Platten und Spiele, die gespendet wurden, werden um 2,50 Euro das Kilo verkauft. Der Erlös geht an Menschen und Organisationen, die das Geld dringend brauchen. Erst kürzlich, erzählt Edendorfer, konnten sie der Familie eines an Leukämie erkrankten Kindes 500 Euro spenden. Mehr als 1.000 Euro flossen an eine alleinstehende ältere Frau. Und der Kindergarten hat einen Flachbildfernseher bekommen.

Von Frank Stronachs politischem Engagement zeigt sich die Oberwaltersdorferin wenig beeindruckt. "Er schaltet in der 'Krone' riesige Inserate, aber an der Diskussionsrunde mit allen Spitzenkandidaten hat er nicht teilgenommen. Das ist nicht richtig." Ihr sei Stronach egal. Über den Villenpark Fontana sagt sie: "Das ist eine eigene Clique da draußen." Diese Leute würden auch selten beim Bücherflohmarkt vorbeischauen. Und nein, Frank Stronach war noch nie hier.

Foto: Walter Spreitzenbarth, Oberwaltersdorfer Original
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Auch im Café-Restaurant Kristall wurde Stronach noch nie gesichtet. Das Lokal mit Hotel liegt direkt an der Bundesstraße im Zentrum von Oberwaltersdorf, keine Autominute von Fontana entfernt. Lokalchef Walter Spreitzenbarth fasst die Stimmung unter seinen Gästen zusammen: Als Stronach seine Kandidatur bekanntgab, sei nicht die große Euphorie ausgebrochen. Insgesamt würden die Oberwaltersdorfer bei Stronach Volksnähe vermissen.

Vor gut 15 Jahren, als der Austro-Kandadier nach Oberwaltersdorf kam, sah das noch anders aus. So habe er zum Beispiel auch die versprochenen Arbeitsplätze für alle arbeitslosen Oberwaltersdorfer geschaffen. Heute würde er aber in erster Linie "bei den Golfspielern" Volksnähe demonstrieren. Ob die Oberwaltersdorfer den Fontana-Bewohnern ihren Besitz neiden? "Nein. Diese Leute sind eher zu bedauern. Sie fahren am Abend von Wien herein, gehen mit ihren Laptops schlafen und fahren dann in der Früh mit ihren Laptops wieder in die Arbeit."

Dass Magna hier war, habe der Gemeinde viel Geld gebracht und sei für Oberwaltersdorf ein guter Werbeträger gewesen. Das und die Gratis-Weihnachtsfeiern für die Kinder werde aber für Stronach nicht reichen. "Aber vielleicht kauft Stronach ja die Bettfedernfabrik, dann bekäme er sofort 4.000 Stimmen."

Statistik Austria: Binnenwanderung 2011 nach Herkunfts- und Zielgemeinde
Foto: Statistik Austria

In Oberwaltersdorf Oberwaltersdorfer zu finden ist einigermaßen schwierig. Selbst der Bürgermeister des Straßendorfes ist ein "Zuagraster" und verweist auf einen Zuzug von fast 60 Prozent. Gastwirt Spreitzenbarth zählt sich nach 34 Jahren zu den "originalen" Oberwaltersdorfern. Bei den Leuten von Fontana unterscheidet er zwischen den Pendlern und denen, "die mit ihren Golfwagerln zum Billa einkaufen fahren". Letztere würden sich integrieren, Erstere nicht.

Die Elite des Ortes ist Mitglied der "Herrengilde", einem "überparteilichen Gesellschaftsverein, der altes Brauchtum und Kulturgut im Ort aufrechterhalten will". Dazu zählt die jährliche Faschingssitzung. Heuer wurde die Einlage "Team Stronach" in der Bettfedernfabrik aufgeführt. Auch Frank Stronach war dabei und soll laut Herrengilde Spaß dabei gehabt haben.

(Katrin Burgstaller/Rainer Schüller, derStandard.at, 27.2.2013)