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Morgenstern kann bei der WM positiv überraschen, er beginnt bei null.

Foto: APA/FEICHTER

Predazzo - Wolfgang Loitzl hat als Skispringer schon viel gesehen, ja der Steirer hat sich selbst sehr viel anschauen lassen in diesem Metier - von völliger Formlosigkeit bis hin zu märchenhaften Erfolgen. Es ist also kein Wunder, dass dem 33-Jährigen am Donnerstag die vermutlich vernünftigste Einschätzung dessen entschlüpfte, was insgesamt von der österreichischen Skispringerei anlässlich der WM auf den beiden Schanzen der Anlage Trampolino dal Ben zu erwarten sei: "Bis auf Gregor Schlierenzauer können wir alle nur positiv überraschen."

Vor Loitzl, der seine siebente WM bestreitet, hatte Alexander Pointner ziemlich lange so ziemlich das Gegenteil behauptet. Ja, der erfolgreichste Skisprung-Chefcoach aller bisherigen Zeiten, verstieg sich sogar zum Satz "Oslo ist möglich". Das wäre dann nicht weniger als Gold in allen einschlägigen Bewerben wie 2011, als Österreichs Herren am Holmenkollen viermal triumphierten.

Natürlich schränkte der 42-jährige Tiroler ein, dass Derartiges sehr schwer sei, vor allem in Zeiten, in denen das Material keine Fehler mehr erlaube und selbst ausgewiesene Weltklassespringer nicht davor gefeit seien, einen Finaldurchgang zu verpassen. "Vielleicht wird es Jahrzehnte dauern, bis einer Mannschaft wieder so etwas gelingt wie uns in Oslo."

Aber Pointner zählte eben auch auf, was die Ergebnislisten schwarz auf weiß zeigen: dass Österreich "die Big Points der Saison" gemacht hat, die Vierschanzentournee gewann, im Einzel- und Flugweltcup sowie im Nationencup führt.

Dass das meiste davon auf Gregor Schlierenzauers Konto ging und geht, musste man sich dazudenken. Und dass Österreich in dieser Saison noch kein Mannschaftsspringen gewonnen hat auch. Außer Schlierenzauer gebe es derzeit eben keinen Athleten, der konstant auf hohem Level springe, sagte Pointner.

Konstant unter seinem Level blieb Thomas Morgenstern, ehe er nach einem 27. Platz in Zakopane (Polen) Mitte Jänner die Notbremse zog und aus dem Weltcup ausstieg. "Die Vierschanzentournee war ja vorbei und meine Weltcup-Chance auch."

Seither hat der 27-jährige Kärntner zusammen mit seinem Vertrauenstrainer Heinz Kuttin, dem Doppelweltmeister von Val di Fiemme 1991, an der Rückkehr gearbeitet. Es seien intensive Wochen gewesen, auf den Schanzen in Kranj und Planica, im Fitnesscenter. "Die eineinhalb Monate haben mir etwas gebracht."

Als Titelverteidiger auf der Normalschanze konnte sich Morgenstern die Zeit getrost nehmen, "ich habe mir ja meinen Startplatz erarbeitet. Jetzt, bei der WM, ist es gefühlsmäßig wie bei einem Weltcupauftakt. Man weiß nicht, wo man selbst genau steht und wie die anderen beieinander sind."

Den Absturz des Sprungsystems Morgenstern kann sich der dreimalige Olympionike und siebenmalige Weltmeister nur mit einer unfreiwilligen emotionalen Kneipp-Kur erklären. Da seien einerseits die privaten Glücksgefühle nach der Geburt seiner Tochter am 26. Dezember ("Lilly zaubert mir jeden Tag ein Lächeln ins Gesicht") und andererseits die sportlichen Watschen gewesen. "Und dann hat es mich auch noch körperlich zusammengedreht."

Ganz gesund ist Morgenstern auch aktuell nicht. Den Schnupfen hofft er bis zum Springen auf der Normalschanze am Samstag wegzubringen. Sein Ziel ist da eine Medaille, "aber ich weiß, dass ich nicht zu den Favoriten zähle, dass nichts mit links geht."

"Mit links" ist eher Schlierenzauers Metier. Er müsse schmunzeln, wenn er das Wörtchen Druck auf seine Person bezogen vernehme, sagte der Weltrekordweltcupsieger, der noch bei jedem seiner bisher sieben Großereignisse - WM, Skiflug-WM, Olympische Spiele - zumindest eine Goldmedaille gewonnen hatte. Der 23-jährige Stubaier kann also gemäß Loitzls Diktum in Predazzo nur negativ überraschen. (Sigi Lützow aus Predazzo, DER STANDARD, 22.2.2013)