Wien – "Warum haben Sie nicht das Kind genommen und sind gegangen?" Diese Frage stellen Verteidiger in Prozessen um Gewalt in der Familie den Opfern gern. Ungewöhnlich ist am Donnerstag im Wiener Straflandesgericht der Adressat der Frage: Der 31-jährige Michael F., der seine Noch-Frau Natalia F. wegen Nötigung und gefährlicher Drohung angezeigt hat.

"Wir haben hier einen Mann, der das Opfer, und eine Frau, die die Täterin ist", fasst Staatsanwältin Tatiana Spitzer zusammen. Im Juli 2011 haben sich Michael und Natalia F. kennengelernt, im November wurde sie schwanger, im Februar heiratete das Paar. Im September 2012 zeigte der 31-Jährige seine Frau an – zeitgleich beantragte er die alleinige Obsorge für die gemeinsame Tochter.

Richter Christian Gneist "quält" den Zeugen, wie er bei seiner Urteilsbegründung sagt. Er lässt sich penibel schildern, wie die Gewalt in die Beziehung kam und will wissen, ob es einen Konnex zwischen Anzeige und Sorgerechtsstreit gibt.

Auf verbale Konflikte folgten laut dem Zeugen Faustschläge auf den Rücken, bis die Angeklagte schließlich einmal mit einem Küchenmesser auf eine Tür einstach und ein andermal per SMS drohte, die gemeinsame Tochter zu töten, falls er nicht zurück in die Wohnung käme. Denn: "Meistens bin ich geflüchtet", schildert der Mann.

Natalia F. leugnet alles – es habe sich maximal um Missverständnisse gehandelt. Da sie aber auch von Polizisten belastet wird, fällt Gneist ein, nicht rechtskräftiges, Urteil ohne Zweifel: sechs Monate bedingt. Und er glaubt Michael F. auch dessen Begründung, warum er nicht einfach gegangen ist: Er habe bis zuletzt auf "eine funktionierende Familie gehofft". (Michael Möseneder/DER STANDARD, 22.2.2013)