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Lehrerproteste in Beirut zu Wochenmitte. Die nationale Einheit ist im Libanon an mehreren Fronten gefährdet.

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Beirut/Wien - Der Libanon hat eine Krise mehr zu bewältigen: Am Dienstag hat eine parlamentarische Ausschuss-Mehrheit einem Wahlgesetz zugestimmt, das, wenn es umgesetzt wird, die Gesellschaft und die politische Landschaft noch tiefer spalten würde. Es handelt sich um einen Vorschlag, der ursprünglich von den Griechisch-Orthodoxen kam und später von fast allen anderen Christen, auch der größten Gruppe, den Maroniten, unterstützt wurde. Allerdings ist bezeichnenderweise Staatspräsident Michel Sleiman, selbst ein Maronite, strikt dagegen, er nennt den Entwurf verfassungswidrig.

Dem orthodoxen Wahlgesetzentwurf zufolge würde der gesamte Libanon einen Wahlbezirk darstellen, in dem die Wähler und Wählerinnen nur Abgeordnete ihrer eigenen religiösen Gruppe wählen könnten: eine Absage an die Idee von überkonfessionellen politischen Parteien, die der Libanon für eine demokratische Entwicklung bräuchte. Das Gesetz würde das Land - dessen System oft als Konkordanzdemokratie bezeichnet wird - noch weiter von einem normalen repräsentativen politischen System entfernen. Kritiker sprechen von der Einführung von "religiöser Apartheid".

Schiiten mit den Christen

Für das Gesetz sind die meisten Christen und die schiitischen Parteien, dagegen sind die Sunniten, etwa auch der Hisbollah-gestützte Premier Najib Mikati, sowie Drusenführer Walid Jumblat mit seinen Progressiven Sozialisten. Er ist zwischen den Blöcken oft das Zünglein an der Waage, politisch ein unsicherer Partner.

Aus der Spaltung ergibt sich erst einmal eine Stärkung der "Allianz des 8. März" von Hisbollah und dem Christen Michel Aoun: Denn dieser Block ist sich einig, während christliche Teile des Oppositionsbündnisses von Saad al-Hariri, "Allianz des 14. März", das Gesetz unterstützen. Hariri, Sohn des 2005 ermordeten Expremiers Rafik al-Hariri, bezeichnete den Dienstag hingegen als "schwarzen Tag in der Geschichte des libanesischen Parlaments".

Die Gegner des Gesetzes schlossen am Mittwoch aus, dass die für den Juni geplanten Parlamentswahlen unter diesen Umständen abgehalten werden. Auch der schiitische Parlamentspräsident Nabih Berri machte klar, dass das Gesetz im Parlament nicht so schnell zur Abstimmung gebracht werden wird - und auch wenn es dort eine Mehrheit bekommt, würde es Präsident Sleiman wohl nicht unterschreiben.

Rückgriff auf 1960

Aber alle anderen Versuche, sich auf ein moderneres Wahlrecht zu einigen, sind bisher gescheitert. 2009 wurde aus den gleichen Gründen nach dem Gesetz von 1960 gewählt (ein Mehrheitswahlrecht in kleinen Wahlbezirken, Qada genannt). Angestrebt wird ein gemischtes Wahlrecht in größeren Bezirken. Jedenfalls sollte es die konfessionellen Grenzen aufweichen - der christliche Vorschlag tut das Gegenteil.

Die neue politische Belastungsprobe kommt zu einer äußerst prekären Zeit: Der Bürgerkrieg in Syrien hat nicht nur ein kaum bewältigbares Flüchtlingsproblem gebracht, es kommt auch immer wieder zu Auseinandersetzung zwischen libanesischen Alawiten und Sunniten, sowie zu einer Verschärfung der Fronten zwischen der vom Iran gestützten schiitischen Hisbollah und radikalen Sunniten. Die Hisbollah ist nicht nur durch den sich abzeichnenden Sturz des Assad-Regimes unter Druck, sondern auch durch den nahenden Prozessbeginn des Uno-Sondergerichts, das im Mordfall Hariri vier Hisbollah-Mitglieder anklagen wird. Dazu droht eine Entscheidung der EU, zumindest den militärischen Arm der Hisbollah auf die Terrorismusliste zu setzen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 21.2.2013)