Überall in der Natur findet man Täuschungen durch Nachahmung. Doch das geschieht nicht zum Spaß. Tiere und Pflanzen tarnen sich, um unerkannt zu bleiben oder als gefährlich zu gelten. Im Vordergrund steht dabei immer das Überleben. Dabei ist zwischen Mimikry und Mimese zu unterscheiden. Bei der Mimikry imitieren harmlose Lebewesen andere Arten in Aussehen und Verhalten, die wehrhaft oder giftig sind, um sich vor Feinden zu schützen. 

Anders ist das bei der Mimese: Hier wird eine Art nachgeahmt, die für den potenziellen Feind uninteressant ist. Somit ist sie nicht wie die Mimikry eine Warn-, sondern eine Tarntracht.

Um das Fortbestehen der eigenen Population zu sichern, bedienen sich Individuen und Pflanzen unterschiedlicher Strategien der Angriffsvermeidung. Denn es können sich nur jene fortpflanzen, die bis zum Erreichen des fortpflanzungsfähigen Alters überleben. Beispiele dafür sind Tarnung durch Anpassung an den Hintergrund, Warnung durch auffällige Signale in Kombination mit Giftigkeit, ungewöhnliches Aussehen oder die Imitation von warnfarbenen Lebewesen.

Die rote Färbung des Fliegenpilzes beispielsweise warnt Pflanzenfresser vor dessen Ungenießbarkeit.

Foto: Klaus Lunau

Durch die konturauflösende Gefiederfärbung seines Sommerkleids ist das Schneehuhn, ein potenzielles Beutetier, auf der Almwiese gut getarnt.

Foto: Klaus Lunau

Um sich vor Angreifern zu schützen, bedienen sich Tiere auch unterschiedlicher Ablenkmanöver: Das Männchen des Gelbkopf-Geckos lenkt durch seine zuckende weiße Schwanzspitze die Aufmerksamkeit auf seinen entbehrlichsten Körperteil.

Foto: Klaus Lunau

Kontraproduktiv für die perfekte Tarnung ist der zumeist spiegelsymmetrische Körperbau der sich tarnenden Tiere. Denn anders als diese sind die Hintergründe, vor denen sie sich verbergen müssen, meist unregelmäßig gestaltet. Da rechte und linke Körperhälfte mit dem gleichen Farbmuster ausgestattet sind, besteht für Schmetterlinge mit ausgebreiteten Flügeln ein besonders hohes Entdeckungsrisiko.

Um dieses zu verringern, unterscheidet sich bei tropischen Totes-Blatt-Motten (wie dem abgebildeten Nachtfalter),die Vorderseite farblich von der Hinterseite. So entsteht der Eindruck eines asymmetrischen Blattes. Beine und Fühler sind unter dem Körper versteckt.

Foto: Klaus Lunau

Charakteristisch für mehrere wehrhafte Insektenarten ist eine schwarz-gelbe Ringelung des Körpers. Bei Bienen und Wespen haben die Weibchen einen Giftstachel (im Bild: Gallische Feldwespe). Ihre Wehrhaftigkeit signalisieren sie durch das oben genannte Zeichnungsmuster.

Die Männchen sind wehrlos, profitieren aber durch die optische Ähnlichkeit mit ihren Weibchen und der Wirkung ihrer Schutztracht.

Foto: Klaus Lunau

Zahlreiche ungiftige und nicht wehrhafte Tierarten (wie hier im Bild die Gebänderte Waldschwebfliege) ahmen die schwarz-gelbe Ringelung der Wespentracht nach. Sie als Nachamer sollten im Vergleich zu ihren Vorbildern seltern vorkommen. Das hat den Grund, dass somit die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass ein Räuber zunächst dem wehrhaften Vorbild begegnet und mit diesem schlechte Erfahrungen sammelt.

Gemeinsam bilden die wehrhaften Tiere, die harmlosen und ihre Räuber ein Schutzmimikrysystem. Damit wird eine Mimikry bezeichnet, in der das Vorbild für den Signalempfänger ungenießbar oder gefährlich und der Nachahmer genießbar oder ungefährlich ist.

Foto: Klaus Lunau

Vielfach begegnen einem im Tierreich Augenflecken. Eine der detailgenauesten Augenzeichnungen befindet sich auf der Flügelunterseite der Caligo-Arten (siehe Bild), die eine detailgenaue Nachbildung des Auges einer Eule ist. Dieses ist umgeben von einem scheckigen Muster, das die Federn des Eulenkopfs nachahmt. Aufgrund dieser präzisen Nachahmung wird dieser Schmetterling auch Eulenfalter genannt.

Vor wem sich dieser schützen will, ist unbekannt, jedoch wird vermutet, dass sich die Täuschung an kleine insektenfressende Vögel oder Säuger richtet, die in das Beutespektrum von kleinen Eulen fallen könnten.

Foto: Werner Kunz

Da der Falter sein "Eulengesicht" nur selten durch Flügelaufklappen zeigt, wurde die Hypothese formuliert, dass der Schmetterling mit seiner Tarnung den Kopf einer Anolis-Echse imitiert. Diese sind dafür bekannt, ihr Territorium gegen andere Tiere der gleichen Art zu verteidigen und gegen deren Territorien abzugrenzen.

Somit imitiert der Schmetterling durch die Nachahmung der Echse einen Reviernachbarn und hält damit Angreifer auf Distanz.

Foto: Werner Kunz

Wie bereits an mehreren Beispielen gezeigt, können Individuen Räubern ihre Giftigkeit oder Ungenießbarkeit durch Farbsignale demonstrieren. Wie sich diese Warnsignale entwickelt haben, ist bis heute ein evolutionsbiologisches Rätsel.

Dass die Populationsdichte einen Effekt auf die Ausbildung von Warnfarben hat, zeigt sich bei der Wüstenheuschrecke Schistcerca gregaria. In geringerer Dichte sind die Tiere grün gefärbt (siehe Bild).

Foto: Hans Wilps

Bei größerer Populationsdichte wird diese Form der Heuschrecke jedoch immer seltener und durch eine auffällig gelb-schwarz gestreifte Version (siehe Bild) ersetzt. In Versuchen konnte festgestellt werden, dass die Tiere erst durch das Fressen von giftigen Futterpflanzen ungenießbar werden.

Unerfahrene Eidechsen, denen man die Heuschrecken zum Fraß vorsetzte, spien diese sofort wieder aus. Nach dem Erlebnis zeigte sich, dass die Eidechsen die gelb-schwarze Form stärker mieden als deren grüne Variante. Fazit des Experiments war, dass die grünen Heuschrecken in geringer Populationsdichte durch ihre Tarnfärbung vor möglichen Angreifern geschützt sind. Bei steigender Populationsdichte lohnt es sich für die Heuschrecken jedoch, Ungenießbarkeit zu erwerben und diese mit einer auffälligen Farbgebung zu koppeln.

Foto: Hans Wilps

Zum Schutz vor räuberischen Tieren, die sich nicht für Blätter als Nahrung interessieren, gibt es eine große Anzahl von Tieren, die Äste, Blätter oder Teile davon imitieren (wie hier im Bild eine Schmetterlingsraupe neben einem Samen). Tiere, die sich für Blätter als Nahrung interessieren, werden hingegen das verkleidete Tier nicht angreifen. Man nennt diesen Vorgang Blattmimese.

Foto: Klaus Lunau

Aber auch Pflanzen nutzen die Mimese. Dickstängelige Blätter von Aronstabgewächsen (wie hier im Bild der Drachenwurz) täuschen eine Festigkeit vor, in dem sie  einen Flechtenbewuchs wie an Baumstämmen imitieren. Es wird angenommen, dass die Täuschung vor blattfressenden Tieren schützen soll.

Foto: Klaus Lunau

Das Buch ist seit Februar 2011 in einer überarbeiteten Neuausgabe erhältlich. (Elisabeth Mittendorfer, derStandard.at, 25.2.2013)

Details

Klaus Lunau: "Warnen, Tarnen, Täuschen. Mimikry und Nachahmung bei Pflanze, Tier und Mensch"

Primus Verlag, 160 Seiten, Preis: 29,90 Euro

 

Cover: Jutta Schneider