Anne Hathaway als gefallenes Mädchen Fantine in dem für acht Oscars nominierten Musical "Les Misérables".

Foto: Universal Pictures

Wien - Anfang des 19. Jahrhunderts kommt in Toulon ein Häftling frei. Ehrliche Arbeit ist für Jean Valjean angesichts von Stigmatisierung und allgemeiner Armut nicht zu bekommen. Die selbstlose Geste eines Fremden erlaubt ihm dennoch die Gründung einer bürgerlichen Existenz. Später wird der Held von Victor Hugos großem Roman Les Misérables selbst Gelegenheit bekommen, sich als Wohltäter zu erweisen. Nur der Gendarm Javert hält daran fest, dass kein vom rechten Weg Abgekommener jemals geläutert werden kann. Die alte Ordnung, für die er mit äußerster Härte einsteht, wird jedoch bald darauf von jungen Republikanern bekämpft, die sich mit den Elenden von Paris solidarisieren.

Ende der 1970er-Jahre, als vor allem die Werke eines gewissen Andrew Lloyd Webber die Musicalbühnen dominierten, gingen der Komponist Claude-Michel Schönberg und sein Librettist André Boublil daran, Hugos Roman zu vertonen. Les Misérables hatte im Herbst 1980 in Paris Premiere. Die deutschsprachige Version wurde acht Jahre später in Wien uraufgeführt. Das trikolore Corporate Design der Misérables war lange auch im Wiener Stadtbild präsent.

Illustre Miserable

Mehr als dreißig Jahre nach der ersten Bühnenversion kommt das populäre Musical jetzt auf die Kinoleinwände. Inszeniert hat der Brite Tom Hooper, der sich zuvor mit The King's Speech als Spezialist für den gehobenen Kassenschlager empfohlen hat. Das Ensemble ist illuster: Hugh Jackman und Russell Crowe stehen einander als ewige Kontrahenten Valjean und Javert gegenüber, Anne Hathaway spielt die unglückliche Fantine, Helena Bonham Carter und Sacha Baron Cohen geben das geldgierige Wirtsehepaar, bei dem Fantine ihre kleine Tochter Cosette unterbringt. Amanda Seyfried hat den Part des Mädchens als junge Frau übernommen, Eddie Redmayne den des Aufständischen Marius, der sich in die ihm unbekannte Schöne verliebt.

Als Besonderheit der Verfilmung wurde schon im Vorfeld herausgestrichen, dass diese Schauspieler ihre Parts auch selbst vor der Kamera singen. Im Fall von Anne Hathaway sorgt dies für die herausragendste Szene des ganzen Films: In einer durchgängigen Großaufnahme mimt, singt und moduliert die Schauspielerin intensivste Gefühlslagen - eine Performance, die handwerklich beeindruckt, ohne angestrengt zu wirken, und gerade in ihrer Zurückgenommenheit für Gänsehaut sorgt (I Dreamed a Dream).

Auch die herrlich schmierenkomödiantisch angelegten, turbulenten Nummern von Bonham Carter/ Baron Cohen funktionieren gut. Abgesehen von etlichen anderen Gesangsdarbietungen - Russell Crowe knödelt arg vor sich hin - will aber auch das Regiekonzept nicht so recht überzeugen. Generell hat man sich für (digital unterstützen) Naturalismus entschieden und gewinnt dem Stoff in dieser Hinsicht nichts Neues ab. Im Fall von Hathaways großer melodramatischer Szene sorgt die Konzentration auf ihr Gesicht für die passende Zuspitzung. Im weiteren Verlauf wirkt die Häufung von Close-ups - alternierend mit Panoramen und Heeren von sorgfältig eingeschmutzten Statisten - dann eher einfallslos und die Montage oft holprig. Letztlich muss doch die Musik den Zusammenhalt stiften. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 19.2.2013)