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O Austríaco no Rio: Andreas Wielend vor seinem Gästehaus Alto Vidigal

Foto: Felipe Dana/AP/dapd

Der Strand von Ipanema und im Hintergrund die markanten Spitzen des Morro Dois Irmãos mit Vidigal an seinem Küstenhang.

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Trotz des anhaltenden Aufschwungs sind viele Favelas von Provisorien geprägt, es gibt Aufholbedarf bei öffentlicher Gesundheit und Bildung.

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Backpacker im von lokalen Graffiti-Künstlern gestalteten Alto Vidigal.

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Es ist nicht lange her, da war Vidigal für Touristen tabu. Die Favela in der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro galt als unumstrittenes Territorium von Drogenlords, als Nährboden für Armut und organisiertes Verbrechen.

Die Warnungen sind in den vergangenen Jahren immer leiser geworden. Seit die Polizei im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2014 in den kargen Siedlungen rigide durchgreift, steigen mit der Sicherheit auch die Mieten. Vidigal erlebt einen Aufschwung, und ein Österreicher ist mittendrin.

Oberösterreichs Provinz gegen Brasiliens Metropole

Andreas Wielend stammt aus der oberösterreichischen Gemeinde Frankenmarkt. 2009 blieb der heute 35-Jährige in Rio hängen, nachdem sein Arbeitgeber Siemens die Sparte, in der er tätig war, verkleinert und abgestoßen hatte.

Der Projektmanager kaufte einem deutschen Geschäftsmann ein verlassenes Haus vor Morro Dois Irmãos, dem Zwei-Brüder-Hügel, um nicht einmal 10.000 Euro ab. Das Gebäude hatte zwar einen atemberaubenden Ausblick auf den Strand von Ipanema, aber kein Bad, keine Küche und keine Türen. Es mangelte an der nötigsten Infrastruktur.


Die Favela Vidigal (Foto: Jeff Belmonte - CC-Lizenz)

Wielend dachte über sein Vorhaben gründlich nach. Schwer bewaffnete Gangmitglieder patrouillierten zu dieser Zeit noch regelmäßig in Vidigal, und trotzdem entschied er sich für dieses neue Leben. "Dort zu investieren war ein Glücksspiel", sagte Wielend zur Nachrichtenagentur AP. Das Risiko machte sich bezahlt

Er restaurierte das Haus von Grund auf, richtete erst mehrere Gästezimmer ein und dann eine Bar. Das Hostel Casa Alto Vidigal zog zunächst nur abenteuerlustige Rucksacktouristen an.

Die Mission der Rückeroberung erfüllt

Dann begann die brasilianische Polizei mit einem groß angelegten Befriedungsprogramm. Die organisierte Kriminalität sollte rechtzeitig vor der Fußballweltmeisterschaft 2014 aus den Favelas getilgt sein - die Regierung in Brasilia hatte kein Interesse, den Imagegewinn durch die Großveranstaltung in der Weltöffentlichkeit gleich wieder zu verspielen.

Hunderte Polizisten und Soldaten stürmten durch die Siedlungen. Pinheiro Neto, einer der Einsatzleiter, erklärte den Medien im November 2011 mit dem Ausdruck eines siegreichen Feldherren: "Um sechs Uhr war die Mission der Rückeroberung von Rocinha, Vidigal und Chácara do Céu erfüllt, ohne dass ein einziger Schuss abgefeuert wurde." Bei ähnlichen Operationen in anderen Stadtvierteln waren zuvor dutzende Menschen gestorben.


Die brasilianische Navy mit schwerem Gerät in Vidigal (Foto: Reuters/Ricardo Moraes)

Die Maßnahmen hatten erhebliche Auswirkungen. Die Mordraten sanken in den befreiten Vierteln um zweistellige Prozentwerte, die Mieten vervielfachten sich. Erste Luxushotels wurden in Vidigal hochgezogen und mit den Immobilienspekulanten gelangten Gerüchte über Film- und Musikstars, die sich hier ein Feriendomizil anschaffen wollten, in die Siedlung.

In diesem Sog gedieh Casa Alto Vidigal vom Geheimtipp zu einer der angesagteren Adressen Rios. Neben Durchschnittstouristen kamen immer mehr Brasilianer, die Vidigal zuvor gemieden hatten, um im Club durchzumachen und vom faszinierenden Sonnenaufgang über dem Atlantik zu erzählen.


Imagevideo von Andreas Wielends Club Alto Vidigal

Wielends deutschem Geschäftspartner war der Hype nicht entgangen. Als der Österreicher im vorigen Herbst aus dem Urlaub nach Hause kam, passte sein Schlüssel nicht mehr. Der Vorbesitzer hatte die Schlösser einfach wechseln lassen und den Kaufvertrag bestritten. Inzwischen haben die Behörden die Rechtmäßigkeit bestätigt und Wielend erhielt sein Eigentum zurück.

Mehr als die Szenebar dürfte den ehemaligen Grundstückseigner aber die Wertsteigerung der Immobilie getrieben haben. Nach eigener Aussage hat Wielend bereits Angebote über das 30-Fache des Kaufpreises erhalten.

Kritik an der Hochkonjunktur

Die Transformation von Armenvierteln in gefragte Wohngegenden bleibt aber nicht ohne Kritik. In einigen von Rios rund tausend Favelas geschieht gerade das, was Soziologen Gentrifizierung nennen: Finanzkräftige Neo-Eigentümer verdienen an der ungebrochenen Hochkonjunktur, während die bisherigen Bewohner aus den informellen Siedlungen in noch prekärere Lebensbedingungen gedrängt werden.

"Rio ist so teuer geworden, man befürchtet, dass sich die Leute das bald nicht mehr leisten können", sagt Wielend zu derStandard.at. Wer schon vor dem Boom Grund in Vidigal besaß, profitiert. "Die anderen werden es aber schwer haben", meint Wielend.


Der Ausblick von Alto Vidigal auf die Stadtteile Ipanema und Leblon (Foto: Felipe Dana/AP/dapd)

Bei allem Wandel ist Vidigal aber noch weit entfernt von einer beschaulichen Wohngegend. Das lokale Bildungs- und Gesundheitswesen in der 13.000-Einwohner-Siedlung ist nach wie vor nur notdürftig ausgebaut und auch die Gewalt ist nicht ganz verschwunden. Wielend musste sie bisher zwar noch nicht am eigenen Leib spüren. "Man sollte sich jedoch im Klaren sein, dass Gefahren lauern. Man muss immer die nächsten Schritte durchdenken", sagt der 35-Jährige.

In Vidigal wie in anderen Favelas ist die Präsenz der Unidades de Polícia Pacificadora (Einheiten der Befriedungspolizei) weiterhin aufrecht. Rund 250 Polizisten und Soldaten der 19. Unidade sind in Vidigal stationiert. In vielen anderen Siedlungen der Metropole steht die Pazifikation noch bevor.

Andreas Wielend verfolgt den Umbruch mit Gelassenheit. Vielleicht lebt er schon bald nicht mehr in Vidigal. Wenn ihm jemand 1,5 Millionen Real, umgerechnet 560.000 Euro, für Alto Vidigal böte, würde er schwach, sagt der Oberösterreicher. "Denn nur in Rio zu bleiben, ist auch nicht die Welt." (Michael Matzenberger, derStandard.at, 21.2.2013)