Der Pferdeleberkäs gehöre zu Wien wie die Sachertorte, hat mir die Frau Gumprecht vor einigen Tagen erklärt. Und überhaupt seien die Wiener, im Gegensatz zu den Westösterreichern, große Pferdefresser: Auch der klassische Krapfen wurde in der Stadt traditionell im Pferdefett frittiert, bis künstlich gehärtete Pflanzenöle in Mode gekommen sind. Als Wiener bin auch ich mit Pferdeleberkäse aufgewachsen. Pferd im Reinzustand, also nicht mit Schweinefett und weiß der Fleischer was sonst noch gestreckt, habe ich allerdings bisher nicht genossen. Aus aktuellem Anlass habe ich das nun nachgeholt.

Jetzt gibt es zahlreiche Arten, Pferd zuzubereiten – vom simplen Fohlensteak bis hin zum kirgisischen Beschbarmak, der nur für furchtlose Esser geeignet ist (hier unter "Suppen" zu finden). Ich habe mich aber für eine Variante entschieden, die ursprünglich angeblich für das Pferd ersonnen wurde: das Steak Tatar.

Puristen würden darauf bestehen, dass ihr Tatar vom Pferd stammt, vermerkt der "Große Larousse" dazu. Die beliebte Geschichte, dass das Rezept auf die Tataren zurückgeht, die Pferdefleisch unter ihrem Sattel weich geritten und abends roh verzehrt haben, scheint leider eine Lüge zu sein. Glaubt man der "New York Times", waren es die Deutschen, die auf die Idee gekommen sind, Pferd roh zu essen – weil sie es für gesund gehalten haben und es kaum Parasiten hat.

Schlechtes Image bis in die 1980er-Jahre

Noch heute gibt es in Deutschland mehr als 100 Pferdefleischer, in Österreich sind es gerade einmal zwei – und die verkaufen ihre Produkte hauptsächlich in Ostösterreich. Nach der Erfindung des Motors und des Autos, als die Pferdedichte drastisch abnahm, ist auch der Pferdefleischkonsum stark gesunken, hat mir die Frau Gumprecht erklärt. Nach dem Krieg galt es dann als Arme-Leute-Essen, für eine Lebensmittelmarke bekam man entweder ein Kilo Rind oder zwei Kilo Pferd. Das schlechte Image ist es bis in die 1980er nicht mehr losgeworden – erst dann hat es aufgrund seiner Fettarmut ein bescheidenes Comeback als Health Food gefeiert.

Heute hätte es sich aus einem ganz anderen Grund ein Revival verdient: Pferde werden, im Gegensatz zu Kühen, nicht in Massentierhaltung gehalten, weil sich das aufgrund des hohen Schlachtalters nicht rechnet. Was die Gumprechts in Oberösterreich schlachten, sind überzählige Pferde aus der Landwirtschaft, vor allem Haflinger und die etwas fetteren Noriker. Pferde haben einen großen Vorteil gegenüber Kühen: Sie werden mit dem Alter nicht zäh. Während also die alte Milchkuh ohne lange Reifezeit nur faschiert werden kann, ist das Pferd auch nach Jahren noch als Steak geeignet.

Wie das Pferdefleisch ist auch das Pferdefett ein wenig in Vergessenheit geraten. Wie Rindernierenfett riecht es zwar, nun ja, etwas streng, hat aber einen sehr hohen Rauchpunkt und außerdem die Eigenschaft, dem darin Frittierten einen besonders guten Geschmack zu verleihen. (Wen es interessiert: Hier findet sich dafür ein Erklärungsansatz.) Die ersten Pommes wurden in Paris wohl in Pferdefett gebraten. Die Frau Gumprecht benutzt Pferdefett beim Kochen so, wie andere Menschen Öl verwenden. Wer es probieren will: Sie verkauft es schon ausgelassen in 100- und 400-Gramm-Packungen.

Für das Tatar habe ich bei ihr ein Stück sehr frischen Pferderostbraten erstanden. Pferd ist generell zarter als Rind und wird bereits wenige Tage nach der Schlachtung gegessen. Weil es viel weniger Fett hat, ist es zum Reifen außerdem schlechter geeignet.

Foto: Tobias Müller

Um die geschmacklichen Qualitäten des Pferdes besser einschätzen zu können, haben meine Mitkoster und ich neben dem Horse auch ein klassisches Beef Tatar verkostet – aus dem Filet, weil der Rostbraten, der zur Auswahl stand, mir fürs Tatar zu durchzogen war. Gewürzt wurden beide gleich, ich habe die Zugaben aufs Gramm genau standardisiert. Als Draufgabe und weil die meisten Menschen nur wenig rohes Fleisch essen können, haben wir die Pferderostbraten-Reste als Steak verspeist: kurz scharf angebraten, mit einer Zwiebelfond-Rotwein-Dijonsenf-Pfannensauce.

Das Pferd war zwar optisch leicht vom Rind zu unterscheiden, es war deutlich dünkler und hat ein wenig nach Leber ausgesehen. Geschmacklich aber konnten wir kaum einen Unterschied ausmachen. Gut, es war beide Male recht stark gewürzt – ich bin mir aber recht sicher, man könnte mir jederzeit Pferd als Rind verkaufen. Das Tatar war vielleicht etwas intensiver, das Steak vielleicht ein wenig süßer, aber der Unterschied hielt sich in äußerst engen Grenzen. Roh war das Pferd ganz köstlich. Gebraten kommt es nicht an gut gereiftes Rind heran – mit normalem, nicht übermäßig abgehangenem Fleisch hält es aber locker mit.

Steak Tatar (von welchem Tier auch immer)

Steak Tatar hat mich immer schon beeindruckt, gut abgeschmecktes Tatar auf einem Buttertoast gehört zu meinen erfreulichsten frühkindlichen Ess-Erinnerungen. Eine elegante Vorspeise, nur aus rohem Fleisch, rohem Gemüse und rohem Ei – das ist fast asiatischer Mut zur Schlichtheit und Vertrauen auf wirklich gute Zutaten. Das Ergebnis ist trotz der Einfachheit erstaunlich komplex und vielseitig: knackig knusprig, cremig, scharf, mild, sauer, süß, grün, rot und noch vieles mehr in nur einem kleinen Haufen.

Das Um und Auf des guten Tatars ist, dass es mit der Hand geschnitten wird. Das gibt dem Koch die Möglichkeit, die Konsistenz selbst zu bestimmen.

Foto: Tobias Müller

Ich bevorzuge kleine Würfel gegenüber dem im Fleischwolf unvermeidlichen Brei. Zudem kann man es so wirklich frisch verzehren: Vorfaschiertes hat eine drastisch größere Oberfläche und bietet Bakterien und Sauerstoff damit viel mehr Angriffsfläche für ihr zerstörerisches Werk. Weil Fett im Fleisch nur gut ist, wenn es erhitzt wird, sind hier sehr magere Stücke wie Rostbraten und Beiried ideal. Filet geht natürlich auch, ist aber unnötig teuer.

Neben dem Fleisch sind die Zutaten eines guten Tatars höchst umstritten. Paul Bocuse hat dafür eine salomonische Lösung: Er serviert das Fleisch ungewürzt und reicht alle potenziellen Erweiterungen extra – so kann sich jeder Gast sein eigenes Tatar basteln.

Foto: Tobias Müller

Ich habe mich beim Würzen an die klassischen Zutaten gehalten und nur ein wenig mit den verschiedenen Mischungen experimentiert. Meine ideale Würzung: Schalotten, Essiggurkerln, Kapern, Petersil und Dijonsenf. Erstere sorgen für Crunch, Frische und Säure, Letzterer für Tiefe und die gewisse Hintergrundschärfe. Sardellen brauche ich persönlich nicht, in kleinen Mengen finde ich sie eher unnötig, in großen eher störend. Gleiches gilt für die in vielen Rezepten verwendete Worcestershiresauce.

Das Fleisch eine Stunde vor der geplanten Verarbeitung ordentlich mit Salz bedecken und wieder kalt stellen. Das desinfiziert und würzt es gleichzeitig ein wenig.

Abwaschen, trocknen und in die gewünschte Würfelgröße schneiden.

Foto: Tobias Müller

Salzen und pfeffern und mit den ebenfalls klein gehackten Schalotten, Kapern, Gurkerln, Petersil und Senf vermischen.

Foto: Tobias Müller

In eine als ästhetisch empfundene Form bringen, ein rohes Eigelb darauf platzieren (ohne fehlt einfach die Cremigkeit, und Öl ist meiner Meinung nach kein Ersatz) und mit den Kohlehydraten Ihres Vertrauens, idealerweise mit Pferdefett-Pommes, servieren.

Foto: Tobias Müller

(Tobias Müller, derStandard.at, 17.2.2013)