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Flüchtling in der Wiener Votivkirche: Wie erklärt sich die Hartnäckigkeit des Protests unter unwirtlichen Umständen?

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Wien - Bisher hatten die protestierenden Flüchtlinge in der Votivkirche den Vorschlag klar abgelehnt, aus dem kalten Gotteshaus in passendere Quartiere zu übersiedeln. Wer einem der 63 Männer, die laut Liste der Erzdiözese ins Matratzenlager in die Kirche dürfen - und der rund 45, die dort übernachten -, die Umzugsfrage stellte, erntete ablehnende Blicke.

"Denn das Leben ist wichtiger"

Am Donnerstag nun, dem Tag nach dem Erhalt des Briefes von Bundespräsident Heinz Fischer, der erläutert, warum es keine Bleibelösung für alle Protestierenden geben könne, und ihnen dringend zum Umzug rät, schien sich das Kategorische an diesem Nein abgemildert zu haben: "Wir überlegen, ob wir den Schritt gehen, wenn wir die Garantie bekommen, zusammenbleiben zu können", sagte Jahangir Mir, Flüchtling aus Pakistan, zum STANDARD: "Denn das Leben ist wichtiger."

Tatsächlich mussten in den vergangenen 48 Stunden 15 jener Flüchtlinge, die seit einer Woche zum zweiten Mal im Hungerstreik sind, von den diakonischen Johannitern, die in der Votivkirche medizinisch helfen, notversorgt werden: "Wegen Unterzuckerung, Schwächeanfällen und Kreislaufzusammenbrüchen", zählt Caritas-Sprecher Klaus Schwertner auf. Die Caritas betreut die Flüchtlinge - derzeit 48 Pakistani, sieben Afghanen und acht Nordafrikaner - seit ihrem Auftauchen in der Kirche am 18. Dezember.

Anfang kommender Woche werde die Gruppe die Übersiedlungsfrage entscheiden, sagte Mir am Donnerstag: Zur Diskussion stehen Räume im Wiener Servitenkloster. Am Mittwoch, bei einer Pressekonferenz der Flüchtlinge und Unterstützer, hatte sich Mir noch anders geäußert: Die Gruppe werde in der Votivkirche bleiben, denn bisher sei niemand ernsthaft auf Motive und Forderungen des Protests eingegangen.

Demo am Samstag

Damit lieferte er anderen das Stichwort, die mit politischen Ansagen auftraten: jenen unter den Unterstützern, die seit Beginn der Proteste die Flüchtlingsselbstbestimmung hochhalten, aber ihnen ihre Sicht der Dinge überstülpen. Vor der Presse kündigten sie eine - wie sie sagten - "Großdemo" am Samstag an. Denn, so etwa Di-Tutu Bukasa von "SOS Sans Papiers", beim Flüchtlingsprotest handle sich in Wahrheit um "Protest der Mitte der Gesellschaft", um ein "zweites Lichtermeer".

Während Sonja Grusch, eine der Demo-Anmelderinnen von der Sozialistischen Linkspartei (SLP), ein "Ende der Repression" forderte - und damit etwa die Eingangkontrollen der Caritas und Erzdiözese in die Kirche meinte. "Das ist nicht unsere Kritik. Gegen die Caritas sind wird keineswegs", sagte dazu Flüchtling Mir am Donnerstag.

Besagter SLP, einer antikapitalistischen Partei, kommt laut Arno Tausch, Dozent an der Uni Innsbruck, eine negative Rolle zu. Sie stehe "linksextremen Gruppen" nahe, denen international vernetzt auch "Hauptakteure der Votivkirchen-Bewegung" angehörten. Grusch bestreitet das. Auch Livia Klingl, langjährige Außenpolitikjournalistin mit Pakistan-Erfahrung und seit Wochen Helferin in der Kirche, kann das nicht nachvollziehen.

Trotz Taliban-Terrors kein Asyl

Die Hartnäckigkeit des Protests habe "nichts mit Kommunismus", aber viel mit dem Umstand zu tun, "dass manche Pakistani aus dem Grenzgebiet zu Afghanistan kommen, wo die Taliban die Macht ergriffen haben und Terror säen. Dennoch gibt ihnen der Asylgerichtshof kein Asyl - meiner Meinung nach ein Fehler". Mit den Machtstrukturen in Österreich seien die Männer zudem nicht vertraut. Das bestätigt Caritas-Sprecher Schwertner: "Wir versuchen seit Dezember, den Flüchtlingen einzeln klarzumachen, dass es für sie keine Gruppenlösung gibt." (Irene Brickner, DER STANDARD, 15.2.2013)