Wie ein Relikt aus einer anderen Zeit: Das Braunkohlebergwerk in der Ukraine (Anatoliy Babiychuk, "Bergwerk", 2008-2010) ist aber nach wie vor in Betrieb. 

Foto: Babiychuk

"Industrie" in Zeiten der Deindustrialisierung in der Fotogalerie Ostlicht.

Wien - Die Fliesen sind abgeschlagen, die Mühlen verschwunden, und statt der öligen Spuren der Maschinen am Estrich blitzen frisch versiegelte Böden. Loft statt Laugenbrezeln, Kultur statt Kaisersemmel lautet die Devise auf dem Areal der alten Ankerbrotfabrik bzw. auf jenen Flächen, die heute nicht mehr für die Backwarenerzeugung gebraucht werden.

Stätten der Produktion wandeln sich, werden kleiner, wandern ab oder verschwinden sogar völlig und lassen Freiräume entstehen, die in der Vergangenheit häufig Kulturschaffende anzogen. Was lockte, waren große Räume und vergleichsweise günstige Mieten. Das neue Kulturgrätzel unterhalb des Böhmischen Praters ist jedoch kein langsam gewachsenes, hier wurde die Gentrifizierung durch Immobilieninvestment schnell vorangetrieben. Zum Glück ist jedoch die Chicness dieses Unternehmens den kulturellen Ambitionen nicht abträglich. Erst recht nicht, wenn das, was diese Orte geformt und geprägt hat, zum Thema wird: die Industrie.

So wie einige Biennalen ihre postindustriellen Diskurse zuletzt an lokalen Begebenheiten und ehemaligen Produktionsorten aufgehängt haben, knüpft man nun auch in der Fotogalerie Ostlicht an die Geschichte des Ortes an: Denn nicht nur, dass Favoriten historisch zu den wichtigsten Arbeiterbezirken Wiens zählt, auch wichtige Arbeitskämpfe wurden in der 1891 gegründeten Ankerbrotfabrik ausgetragen; in der NS-Zeit fanden auf dem Betriebsgelände sogar einige Widerstandsaktionen statt.

Es sind daher die politischen Dimensionen des Themenspektrums "Fabrik" und nicht etwa ihre romantisierende Ästhetik, die für die Werkauswahl der Schau Industrie relevant waren (Kuratorin: Karin Jaschke).

Umformung von Natur und Gesellschaft durch industrielle Produktion zeigen etwa Edward Burtynskis Manufactured Landscapes. In seinen Fotografien wirkt der Industrieapparat kolossal und übermächtig, während Anatoliy Babiychuk die Prägung des ukrainischen Braunkohlebergwerks für Region und Menschen in ein, auch mit der eigenen Biografie verwobenes, sensibles Narrativ bettet. Ernst Logars Fotos von angeschwemmtem Plastikmüll sind nur Stellvertreter für seine komplexen Recherchen zum Rohstoff Öl. Und auch die Bäckerinnen von Ankerbrot, die für Birgit Graschopf alltägliche Handgriffe performten, stehen für das Optimieren von Arbeitsabläufen in der Massenproduktion.

Um Kontexte und historische Industriefotografie bereichert die gut sortierte Bibliothek. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 14.2.2013)