Asylgerichtshof in Wien: Laut seinem Präsidenten Harald Perl ist Kritik unangebracht, die Richter und Richterinnen seien in ihrer Beweiswürdigung frei.

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Wien/Salzburg - Laut den beiden Asylrichterinnen gab es bei den Schilderungen der Familie G. zu viele Ungereimtheiten: Die Anträge des tschetschenischen Ehepaares und ihrer drei Kinder lehnten sie im Dezember 2012 ab.

Kein Abschiebehindernis sah der Frauensenat des Asylgerichtshofes (AGH) - eine Abteilung mit weiblichem Richter und Beisitzer, die über Vorbringen sexueller Gewaltanwendung an Frauen entscheidet. Laut der Wiener Rechtsanwältin Nadja Lorenz skandalös: Der Mann, Ivan G., (33, Vorname geändert) sei nach Folter in Tschetschenien schwer traumatisiert und zeitweise psychotisch. Seit 2011 habe er zweimal versucht, Selbstmord zu begehen.

Frau G. wiederum leide nach sexuellen Misshandlungen durch Verfolger ihres Mannes an Hepatitis C, und ihr jüngster Sohn werde bald eine Herzoperation brauchen, die in der Herkunftsregion nicht möglich sei. "Eine Abschiebung wäre für die Familie existenz- und lebensbedrohend", meint Lorenz. Am Montag hat sie beim AGH Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt.

Richterinnen an Frauensenaten nicht für Fälle geschult

Angesichts dieses "Extremfalles" spricht Lorenz von einem prinzipiellen Problem: Die Frauensenate des Asylgerichtshofs seien mit Asylanträgen nach Vergewaltigungen und anderen Formen sexueller Gewalt an Frauen beschäftigt. Aber eigens geschult, "so wie etwa Strafrichterinnen", würden die dort tätigen Richterinnen nicht. Asylwerberinnen könnten daher nicht mit demselben Verständnis wie österreichische Gewaltopfer rechnen.

Asylgerichtshof-Präsident Harald Perl sieht das anders: "Schulungen der Frauensenate sind nicht nötig. Das Asylgericht verfügt über langjährige Erfahrung im Umgang mit Traumatisierten."

Auch Kritik an der Spruchpraxis einzelner Senate lässt Perl nicht gelten: Etwa an jener des im Fall G. zuständigen Frauensenates, der laut einer dem Standard vorliegenden Auswertung bis Ende 2012 in 166 behandelten Fällen kein einziges Mal Asyl und nur drei Mal subsidiären Schutz gewährte.

Im Vergleich dazu hat der zweite, für Russland-Fälle zuständige, Frauensenat von 678 Erkenntnissen 127 Mal Asyl und 36 Mal subsidiären Schutz erteilt. "Der Vergleich zeigt es: Die Beweiswürdigung des strengeren Senats ist grundsätzlich höchst problematisch", kommentiert dies Anwalt Wilfried Embacher. Die Rechtsberaterin Judith Ruderstaller schildert: "Die Verhandlungsatmosphäre in diesem Senat ist sehr angespannt." Dazu AGH-Präsident Perl: "Richter und Richterinnen sind in ihrer Beweiswürdigung prinzipiell frei."

Abschiebung nach Frankreich

In Salzburg kämpft ein 38-jähriger Syrer seit April 2012 für ein Asylverfahren in Österreich. Die Behörde will den Flüchtling nach dem EU-weiten Dublin-Abkommen an Frankreich übergeben, obwohl seine Schwester in Salzburg lebt und Österreicherin ist. Laut psychologischen Gutachten ist der Mann, der schon einmal einen Rückschiebebescheid erhalten hat, schwer suizidgefährdet. (Irene Brickner/Stefanie Ruep, DER STANDARD, 13.2.2013)