Wien - Der Protest der rechtsgerichteten Gruppe "Wiener Identitäre Richtung" (W.I.R.) in der Votivkirche gegen die Flüchtlinge, die dort ihrerseits seit Wochen gegen die österreichischen Asylpolitik und -praxis demonstrieren, war zwar harmlos. Doch die sonntägliche Aktion der neun jungen Männer, deren Bekleidung eher zur ländlichen denn zur städtischen Identität passte, bringt alle bisher Beteiligten unter Druck. Denn so wie die gelb beflaggten, selbsternannten "Gegner von Multikulti" (siehe Wissen) könnten auch gewaltbereite Personen zu Messe-Zeiten in die Kirche beim Sigmund-Freud-Park nahe der Universität gelangen.

Offiziell hat sich am bisherigen Szenario der Deeskalation nichts geändert. Dies vor allem deswegen, weil die im Hungerstreik befindlichen Flüchtlinge auf die Provokation nicht nur mit Gleichmut reagierten, sondern den unfreundlich gesinnten Besuchern sogar Tee anboten. Doch die Erzdiözese Wien als Hausherrin, die Caritas als Betreuungsorganisation und die Wiener Polizei müssen die Situation in der dreischiffigen Basilika neu bewerten. Wobei das Szenario für einen ernsten Zwischenfall längst fest steht. Hätte die Polizei den begründeten Verdacht, dass es in der Kirche zu gewalttätigen Zusammenstößen kommen könnte, müsste sie - auch ohne einen Hilferuf der Erzdiözese - einschreiten. "Bei Gefahr im Verzug hat die Exekutive die Pflicht dazu", heißt es bei der Wiener Polizei. Gleichzeitig wird betont, dass ein derartiges Szenario derzeit nicht erwartet werde.

Umstritten ist, ob die Polizei im Ernstfall neben möglichen Randalierer-Festnahmen auch gleich fremdenrechtliche Überprüfungen durchführen darf. Das war bereits einmal der Fall, als die Polizei auf dem Gelände der Universität einschritt und dabei auch gleich Aufenthaltstitel von Asylwerbern kontrolliert hat. Deswegen wurden auch schon drei Flüchtlinge, die ursprünglich bei der Besetzung der Votivkirche dabei waren, abgeschoben.

Die gewaltfreien W.I.R.-Aktivisten sollen eigentlich vorgehabt haben, länger in der Votivkirche auszuharren. Manche hatten auch Schlafsäcke dabei. Sie hatten am Sonntag aber schon nach ein paar Stunden das Gotteshaus wieder verlassen. Offenbar war es ihnen doch zu ungemütlich. Ihre Identitäten wurden laut Polizei nicht überprüft, dafür habe es keinen Grund gegeben. Laut Homepage will W.I.R. verhindern, dass sich die "kulturelle Identität Wiens (...) in der Zugluft von Globalisierung und Multikulti auflöst". "Was ist mit uns echten Wienern?", fragt der Medieninhaber der Seite, der laut Impressum im burgenländischen Lackendorf zu Hause ist.

SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak wies am Montag darauf hin, dass sich die Flüchtlinge schon seit fast zwei Monaten "in der dunklen und kalten Kirche" aufhalten. Er forderte erneut "eine Abkehr von der menschenfeindlichen Festungs- und Ausschlusspolitik" in Österreich und in Europa. (simo, DER STANDARD, 12.2.2013)