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In Deutschland werde, wie hier in einer Schokoladenfabrik, genug gearbeitet meinen rund 100 Unterzeichner eines offenen Briefes. Sie fordern eine Verkürzung der Arbeitszeit.

Foto: APA/dpa/Endig

Weniger Arbeit bei gleichem Verdienst. In Deutschland hat sich eine Initiative formiert, die der "Massenarbeitslosigkeit" den Kampf ansagen möchte. Wie die Initiatoren in einem offenen Brief schreiben, soll dies "höchste wirtschaftliche und politische, soziale und humanitäre Priorität" haben. Der offene Brief ist an Gewerkschaften, Politiker, Verbände und Kirchenleitungen adressiert. Also praktisch an alle. Als Absender fungieren ebenso Gewerkschafter, Politiker, Professoren und Wissenschaftler, die als "Arbeitsgruppe alternative Wirtschaftspolitik" auftreten. An Bord sind mehr als 100 Proponenten, wie deutsche Medien berichten. Die Kernforderung ist eine kollektive Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche – bei vollem Lohn und einer jährlichen Abgeltung der Inflation.

"Kurz-Jobs" und Arbeitslose

In Deutschland sei zwar die Zahl der Jobs in den letzten Jahren gestiegen, schreiben die Initiatoren, sie kritisieren aber im gleichen Atemzug, dass es sich dabei überwiegend um "Kurz-Jobs" handle, die als Lebensgrundlage nicht ausreichten. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse seien zur Normalität geworden. Neben den über drei Millionen Arbeitslosen gebe es in Deutschland noch drei Millionen, die mit Teilzeitarbeit über die Runden kommen müssen. Nicht immer freiwillig, nicht immer schaffen sie es. Das Überangebot am Arbeitsmarkt drücke das Lohnniveau.

Eine 30-Stunden-Woche würde dazu führen, dass viele zusätzliche Jobs geschaffen werden, so die Argumentation der Befürworter. Jene, die weniger arbeiten, würden bei vollem Lohnausgleich trotzdem mit dem Einkommen auskommen. Dass es in Deutschland fast wieder Vollbeschäftigung gebe, wie viele behaupten, grenze "angesichts der Realität von Massenarbeitslosigkeit an Zynismus" und "Propaganda". Durch Vollbeschäftigung, die den Namen auch verdient, könne auch der "Umverteilung von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen" ein Riegel vorgeschoben werden, heißt es.

Unterwürfigkeit und Zugeständnisse

Die Befürworter der Arbeitszeitverkürzung füttern ihre Argumentation mit Ergebnissen aktueller Studien, die psychische Erkrankungen aufgrund steigender Belastungen am Arbeitsplatz auf dem Vormarsch sehen: "Während viele Menschen unter psychologischen Folgen der Arbeitslosigkeit in Form von Depressionen, Minderwertigkeitsgefühlen etc. leiden, müssen Beschäftigte in den Betrieben die Folgen von Mehrarbeit auf sich nehmen." Die ständige Angst, den Job zu verlieren, resultiere in Unterwürfigkeit gegenüber den Unternehmen und Zugeständnissen wie Lohnkürzungen, Mehrarbeit und Arbeitsverdichtung. Eine Spirale, die den Wert einer Arbeitskraft stetig nach unten nivelliere, meint die "Arbeitsgruppe alternative Wirtschaftspolitik".

Nach dem Konzept der Unterzeichner soll die Arbeitszeit nicht auf einmal, sondern über mehrere Jahre hinweg reduziert werden – und zwar kontinuierlich. Das Modell erklärt Heinz-Josef Bontrup, Professor für Wirtschaftsrecht an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen und Mitinitiator des Briefes, gegenüber der "taz" so. Bei einer Inflation von zwei Prozent müssten die Löhne ebenfalls um zwei Prozent angehoben werden. Im Gegenzug könnte die Arbeitszeit um zwei Prozent gekürzt werden. Die Produktivität würde gesteigert. "Damit bleiben die Lohnstückkosten konstant, den Unternehmen enstehen keine Wettbewerbsnachteile", sagte Bontrup.

"Ware Arbeitskraft verknappen"

Dass die Forderungen bei den politisch Verantwortlichen auf Gehör stoßen, gilt als unwahrscheinlich. Mit dem Brief soll aber wenigstens eine breite Debatte in Gang kommen. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, das wünschen sich zumindest die Initiatoren. Sie möchten zuerst die Gewerkschaften ins Boot holen. Selbst mancher Gewerkschaftsvorstand "kapiert Dinge aus dem ersten Semester Ökonomie nicht. Man muss die Ware Arbeitskraft verknappen, sonst bekommt man die Löhne nicht hoch", so Bontrup gegenüber der "taz". (om, derStandard.at, 11.2.2013)