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Joseph Ratzinger tritt mit Ende Februar als Papst zurück.

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Papst wollte Joseph Ratzinger nie werden. Doch er fügte sich diszipliniert in seine Rolle. Sein Amt als Kirchenoberhaupt empfand der zögerliche Bayer stets als Bürde, die ein gehorsamer Gottesmann zu tragen hat. Ein geduldiger "Packesel Gottes“, wie sich der 1927 in Marktl am Inn geborene Sohn eines Gendarmeriemeisters und einer Köchin selbst definierte. Am erzbischöflichen Studienseminar in Traunstein fiel der Schüler durch besonderen Lerneifer auf - eine Charaktereigenschaft, die ihn seither begleitet.

Schon als 31-Jähriger wurde er an der philosophisch-theologischen Hochschule von Freising zum Professor für Dogmatik bestellt. Seither galt die Reinheit der Lehre als sein oberstes Gebot. Als Kirchenlehrer war Joseph Ratzinger stets ein ängstlicher Bewahrer der geschlossenen katholischen Welt, in der er sich geborgen fühlte und deren starre Regeln er als Grenzen seines Handlungsspielraums betrachtete. 1977 ernannte ihn Paul VI. zum Erzbischof von München, 1981 bestellte ihn Johannes Paul II. zum Präfekten der Glaubenskongregation.

Wiederholt bat Joseph Ratzinger seinerzeit den Papst um seine Entlassung, um sich in seiner bayerischen Heimat der Schriftstellerei widmen zu können. Die Gesuche wurden stets abgelehnt. Im April 2005 wurde der damals 78-Jährige vom Konklave zum neuen Papst gewählt. Dem Charisma und kraftvollen Auftreten seines polnischen Vorgängers hat sein zaudernder Nachfolger nur eine unbeholfen wirkende Herzlichkeit entgegenzusetzen. Seinem ehemaligen Tübinger Kollegen Hans Küng gilt Ratzingers Amtszeit als "Pontifikat der verpassten Gelegenheiten, was die großen Herausforderungen unserer Zeit betrifft". 

Theologe mit wenig Führungsqualität

Gegen den Widerstand vieler Bischöfe ließ Benedikt XVI. die alte lateinische Messe und das Karfreitagsgebet für die bekehrung der Juden wieder zu. Sein Versöhnungsangebot an die erzkonservativen Piusbrüder werteten viele Gläubige nicht als Verhinderung einer Kirchenspaltung, sondern eher als Preisgabe wichtiger Konzilsreformen. Die folgenschwere Islam-Schelte seiner Regensburger Rede, die anfängliche Zögerlichkeit im Missbrauchsskandal und die durch die Vatileaks-Affäre aufgedeckten Intrigen in der römischen Kurie festigten den Eindruck eines intellektuellen Theologen mit wenig Führungsqualität. Der gebildete Theologe blieb stets ein Mann der Worte, nicht der Taten.

Ein Gelehrtenpapst, dessen Botschaft weitgehend unverstanden blieb und unzeitgemäß anmutete. Als rigoroser Theologe kämpfte Joseph Ratzinger energisch gegen den Relativismus der Moderne und blieb gleichzeitig ein Gefangener rigider Prinzipien. Benedikt XVI. war ein liebenswürdiger, gebildeter und frommer Papst, doch zu hermetisch und weltfremd - ein Unverstandener, der in einer Ära radikaler Änderungen im bangen Festhalten an der Tradition den einzigen Ausweg ortete und dem für einen mutigen Blick in die Zukunft die Kraft fehlte. Seine Worte waren liebenswert, aber selten kraftvoll und wirksam. Leere Kirchen, akuter Priestermangel und wachsende Abkehr der Gläubigen bewegten ihn weniger als weltfremde Dogmatik. So vermittelte der milde, schlohweiße Pontifex zunehmend den Eindruck eines einsamen Papstes, der sich selbst im Wege stand. (Gerhard Mumelter, derStandard.at, 11.2.2013)