John Kon Kelei im Interview: Kindersoldaten brauchen vorrangig Bildung und Menschen, die sie mit ihrer Geschichte ernst nehmen, ohne sie zu stigmatisieren. 

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Ein Kindersoldat der SPLA bei einer Demobilisierung 2001.

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John Kon Kelei ist ein ehemaliger Kindersoldat. Mit vier Jahren wurde er von seinen Eltern im Süden des Sudans weggeholt, um "in einer sichereren Umgebung zur Schule zu gehen". Die Realität sah anders aus. Gemeinsam mit 20.000 zwangsrekrutierten Kindern musste er bis nach Äthiopien marschieren. Einige überlebten den Gewaltmarsch nicht. Mit sechs begann seine militärische Ausbildung. Machte er etwas falsch, ließ man ihn in der Sonne stehen, bis er bewusstlos wurde. Flucht wurde mit dem Tod bestraft. Trotzdem floh John Kon Kelei - weil er seine Eltern wiedersehen und endlich die versprochene Schulbildung erhalten wollte. Und weil er das Gefühl hatte, nicht ernst genommen zu werden, als er mit neun Jahren immer noch nicht an die Front durfte. 

Knapp 20 Jahre später spricht er als Anwalt, Universitätsdozent und Schulgründer anlässlich des Internationalen Tages gegen den Einsatz von Kindersoldaten über sein Schicksal, die Kraft, die er daraus zog, und seinen Einsatz gegen den Missbrauch von Kindern in Kriegseinsätzen. derStandard.at traf ihn zum Interview.

derStandard.at: 2009 waren Sie erstmals in Wien, um Ihre Geschichte zu erzählen und auf das Schicksal der Kindersoldaten aufmerksam zu machen. Ist in dieser Zeit der Einsatz von Kindersoldaten zurückgegangen?

Kon Kelei: Es hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Zwar gibt es immer noch Kindersoldaten, aber zumindest wird es mittlerweile als Verbrechen gebrandmarkt, Kinder zu rekrutieren. Der große Unterschied ist, dass die Welt nicht mehr wegsieht und sich vor der Verantwortung für dieses Thema drückt. Vor zehn Jahren sagte man sich noch: "Das Problem sollen die betroffenen Länder selbst lösen." Heute gibt es internationale Verträge, eine UN-Konvention, nationale Gesetze und ein Problembewusstsein, was die Rechte von Kindern betrifft. Das ist zumindest ein Fortschritt.

derStandard.at: Sie selbst wurden von Ihren Eltern weggeholt, als Sie vier Jahre alt waren. Ungefähr fünf Jahre verbrachten Sie als Kindersoldat der Sudan People's Liberation Army (SPLA). Wie gelang es Ihnen zu fliehen?

Kon Kelei: Wir waren damals kurz in einem anderen Lager, in dem die Bewachung weniger streng war. Das habe ich genutzt. Es war für mich ein großes Risiko zu fliehen. Wäre ich gefangen genommen worden, wäre ich wohl exekutiert worden. 

derStandard.at: Warum flohen Sie nach all den Jahren?

Kon Kelei: Das hatte mehrere Gründe. Erstens wollte ich meine Eltern wiederfinden. Aber es lag auch daran, dass man mich all die Jahre vertröstete, wenn ich kämpfen wollte. Sie sagten, ich sei zu jung und solle zur Schule gehen. Aber es gab keinen anständigen Unterricht, und an die Front durfte ich auch nicht. All diese Gründe haben mich dann dazu bewogen, die Flucht zu versuchen. Ich habe es zwar nicht geschafft, meine Eltern wiederzufinden, aber ich habe es geschafft, in die Schule zu gehen.

derStandard.at: Haben Sie Ihre Eltern je wiedergesehen?

Kon Kelei: Ich habe meine Mutter und meine Geschwister später wiedergetroffen. Leider war mein Vater in der Zwischenzeit verstorben.

derStandard.at: Wie schafften Sie die Reintegration ins "normale Leben"?

Kon Kelei: Als ich nach meiner Flucht nach Khartum kam, war es wahnsinnig schwierig für mich, mich zu integrieren. Ich misstraute jedem, nur militärische Personen waren für mich Vertrauenspersonen. Langsam lernte ich, dass Probleme auch ohne Kampf gelöst werden können, dass ich den Menschen vertrauen kann, dass es Raum für eigene Standpunkte gibt. Am wichtigsten waren in dieser Hinsicht meine Schulkameraden. Am Tag arbeitete ich, um mir die Schulausbildung leisten zu können, am Abend besuchte ich die Grundschule. Ich sparte Geld für die höhere Schule und schaffte es auch, dort einen Platz zu bekommen.

Ich bin froh, dass ich durch keines dieser Reintegrations-Programme ging. In den meisten werden die ehemaligen Kindersoldaten wie Opfer behandelt, wie Menschen, die traumatisiert und depressiv sind, unfähig weiterzuleben. Damit ignoriert man den unglaublichen Willen, den man benötigt, um dem Ganzen zu entfliehen und die Flucht zu überleben. Das Bewusstsein, es selbst geschafft zu haben, hält diese Kinder am Leben. Behandelt man sie als Opfer, nimmt man ihnen den Willen, trotz und gerade wegen dieser Erlebnisse etwas aus sich zu machen. Und man stigmatisiert sie. Das Wichtigste, das man diesen Kindern an Unterstützung geben kann, ist Bildung. Und man muss sie als selbstständige Personen ernst nehmen und sie ermutigen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

derStandard.at: Sie selbst sind ein gutes Beispiel dafür. Sie haben in den Niederlanden Internationales und Europäisches Recht studiert, sind Anwalt, haben die Cuey Machar Secondary School Foundation im Südsudan gegründet und unterrichten. Wie kamen Sie in die Niederlande?

Kon Kelei: Ich war auf der Flucht vor dem Militärdienst. Ich wollte nicht wieder an die Front. Und ich wollte als Christ nicht für den Islam kämpfen und auch nicht gegen meine Brüder. Man darf nicht vergessen: Die Sache, für die die SPLA im Südsudan kämpfte, war eine gerechtfertigte. Also habe ich all mein gespartes Geld genommen, mir Papiere besorgt und einen Schlepper bezahlt. Ich ging in Rotterdam von Bord. Ich habe die Niederlande nicht gewählt, ich wollte einfach nur weg. Ich suchte um Asyl an, damals war ich 17. Ich habe es nie bereut, das getan zu haben. Ich fand in den Niederlanden Freunde, konnte studieren.

derStandard.at: In Wien treffen Sie in dieser Woche zahlreiche Schulgruppen, denen Sie Ihre Geschichte erzählen. Was nehmen Sie aus der Begegnung mit diesen Jugendlichen mit?

Kon Kelei: Hoffnung. Wenn ich diese jungen Leute vor mir habe, denke ich mir immer: Vielleicht ist der zukünftige Verteidigungsminister dabei oder zukünftige Parlamentarier oder Außenminister. Das hilft mir, daran zu glauben, dass die Situation sich weiter verbessert. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 12.2.2013)