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Anhänger der Ennahda-Partei protestierten am Samstag bei einer Gegendemonstration in Tunis.

Foto: REUTERS/Zoubeir Souissi

Tunis - Nach tagelangem Streit um die Regierung in Tunesien hat die sozialliberale Partei "Kongress für die Republik" (CPR) die von der islamistischen Partei Ennahda geführte Regierung verlassen. Die Bedingungen der von Präsident Moncef Marzouki gegründeten CPR-Partei seien nicht erfüllt worden, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag. Auch Ministerpräsident Hamadi Jebali hat für den Fall, dass die von ihm geplante neuerliche Regierungsumbildung scheitert, seinen Rücktritt angekündigt.

"Seit einer Woche sagen wird, dass wir uns von der Regierung zurückziehen werden, wenn der Außen- sowie Justizminister nicht ausgewechselt werden", sagte CPR-Mitglied Ben Amor. Die Entscheidung habe jedoch nichts mit der Ankündigung Jebalis, ein neues Technokraten-Kabinett gründen zu wollen, zu tun, so Amor.

Ministerpräsident droht mit Rücktritt

Auch innerhalb der regierenden Ennahda-Partei entbrannte indes ein Richtungsstreit. Der als moderat geltende Jebali drohte mit einem Rücktritt, falls Ennahda der Bildung einer Regierung aus parteiunabhängigen Experten im Wege steht. Jebali hatte am Samstag angekündigt, seine Kandidatenliste für eine Technokraten-Regierung bis Mitte der Woche vorzulegen. Sollten diese Vorschläge von den in der Verfassungsversammlung vertretenen Parteien ohne weitere Abstimmung akzeptiert werden, bleibe er im Amt. Andernfalls werde er sein Amt abgeben, sagte Jebali laut staatlicher Nachrichtenagentur TAP.

Der konservative Flügel um Parteichef Rachid Ghannouchi lehnt eine solche Regierung ab. Noch am Sonntag wollte die Shura, das höchste Parteigremium, über den künftigen Kurs entscheiden.

Trotz der angespannten Lage hält Präsident Marzouki an Parlaments- und Präsidentenwahlen noch in diesem Jahr fest. Die Wahlen könnten um zwei bis drei Monate auf einen Zeitraum zwischen Juni und Oktober verschoben werden, sagte Marzouki in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview des arabischen Fernsehsenders Al-Jazeera. Tunesien werde stabiler, wenn es eine neue Verfassung, einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament habe, so das Staatsoberhaupt. Dann könnten die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Angriff genommen werden. Gründe für die derzeitigen Probleme seien die lange Übergangsperiode zur Demokratie sowie eine schwache Regierung.

Generalstreik und Ausschreitungen

Einen Vergleich der aktuellen innenpolitischen Krise mit der Revolution von 2011, die zum Sturz von Langzeitherrscher Zine el Abidine Ben Ali geführt hatte, wies Ennahda-Chef Ghannouchi zurück. "Chokri Belaid ist nicht Bouazizi, und ich bin nicht Ben Ali", sagte er der algerischen "Zeitung Al-Khabar" (Sonntagsausgabe). Die Selbstverbrennung Mohamed Bouazizis hatte 2010 Massenproteste in Tunesien ausgelöst und schließlich zur Flucht des Diktators Ben Ali geführt. Nach der Ermordung des Oppositionspolitikers Belaïd am vergangenen Mittwoch war es in Tunesien erneut zu Unruhen gekommen. Die Opposition wirft der Ennahda vor, hinter dem Attentat zu stecken.

Ghannouchi wies die Anschuldigungen als absurd zurück. Niemand in seiner Partei profitiere von der Ermordung Belaids. "Es ist sicher nicht im Interesse der regierenden Partei, den Boden, auf dem sie steht, in die Luft zu sprengen", sagte Ghannouchi. Die Vorwürfe zielten darauf ab, die Ennahda und ihre Mehrheit zu zerstören.

Nachdem Zehntausende Menschen am Freitag dem Trauerzug mit dem getöten Oppositionspolitiker Chokri Belaid das letzte Geleit gegeben hatten, folgten am Samstag einige tausend Ennahda-Anhänger dem Aufruf zu einer Gegendemonstration. Nach einem Generalstreik und den Ausschreitungen vom Freitag herrschten in Tunesien am Wochenende aber weitgehend Ruhe und Ordnung. Geschäfte und Restaurants öffneten wieder.

Tiefe Spaltung

Marzouki beschrieb die tiefe Spaltung in Tunesien. Die größte Sorge der Ärmsten im Land sei: "Sie waren arm vor der Revolution, und sie werden nach der Revolution arm bleiben", sagte der Präsident. Der andere Teil der Gesellschaft befürchte, dass die Islamisten herrschen könnten, die Scharia (islamische Rechtsprechung) und Religionsschulen eingeführt würden und Frauen eine Burka tragen müssten. (APA, 10.2.2013)