Appell zur Rettung der zum Tode verurteilten Li Yan.

Foto: Standard/Erling

Bild nicht mehr verfügbar.

Eine zum Tode verurteilte Chinesin wird auf diesem Archivbild aus dem Jahr 2001 zu ihrer Hinrichtung geführt. Menschenrechtler kämpfen dafür, dass Li Yan dieses Schicksal nicht widerfährt.

Foto: APA

Doch in China ist ein Proteststurm gegen das Urteil ausgebrochen – und eine Debatte über weitverbreitete häusliche Gewalt.

Ein schwarzer Trauerrand umrahmt den Online-Appell, als ob er schon ein Nachruf wäre. Das beigestellte Foto zeigt die 42-Jährige Li Yan. Sie wartet in einer Todeszelle der Sichuaner Stadt Ziyang auf ihre Hinrichtung, als Strafe dafür, dass sie ihren Mann umgebracht hat. Die Leiterin der Pekinger Gleichberechtigungs-Initiative Gad und Frauenrechtsanwältin Guo Jianmei fordert mit ihrem Appell chinesische Bürger auf, im dramatischen Wettlauf gegen die Zeit Li „in allerletzter Minute vor ihrer Hinrichtung zu retten".

Überall im Land verbreiten chinesische Webseiten das ungewöhnliche Plädoyer für Nachsicht für eine rechtskräftig verurteilte Mörderin. Rund 400 Personen, darunter viele Anwälte, haben den Aufruf unterschrieben. Auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights China stehen dahinter. Sogar die EU-Vertretung in Peking bittet im Namen aller EU-Länder den Volkskongress um einen Gnadenakt.

Denn es geht nicht nur um einen Mord, den Li Yan zweifelsfrei verübt hat. Es geht auch um die Umstände, wie es zu der Bluttat kam. Sie rücken das gesellschaftliche und juristische Tabuthema häuslicher Gewalt gegen Frauen in den Mittelpunkt öffentlicher Debatten.

Die im März 2009 geschlossene Ehe der Frau Li mit dem Arbeitslosen Tan Yong, dessen drei frühere Ehen wegen gewalttätigen Jähzorns geschieden worden waren, setzte sie 20 Monate einem Martyrium aus. Anzeigen, welche die wiederholt brutal misshandelte Frau bei Polizei, lokalen Behörden und Frauenverbänden erstattete, blieben erfolglos. Niemand wollte sich in einen Ehe- oder Familienstreit einmischen. Weil es keine amtlichen Ermittlungen gab, lagen später den Gerichten auch keine Beweise für häusliche Gewalt vor, die die Angeklagte Li vom Vorwurf des kaltblütigen Mordes hätten entlasten können.

Am 3. November 2010, als der betrunkene Mann wieder einmal seine Alltagswut an ihr ausließ und auch noch mit einem Luftgewehr Erdnüsse auf sie verschoss, rastete sie aus. Sie entriss ihm das Gewehr und schlug ihm damit den Schädel ein. Sie zerstückelte ihn danach, um seine Leiche loszuwerden, bevor sie sich selbst stellte. Ihre Anwältin Guo sagt: Es „war kein Mord, sondern Totschlag im Affekt und in totaler Panik".

Nach Chinas Rechtspraxis müsste Frau Li schon seit Anfang Februar durch Giftinjektion hingerichtet worden sein. Im August 2011 hatte sie das Gericht in Ziyang aufgrund der Schwere und Grausamkeit der Tat zur Todesstrafe ohne Bewährungsaufschub in erster Instanz verurteilt. Im August 2012 bestätigte das nächsthöhere Gericht das Urteil. Im Jänner überprüfte die Pekinger Appellationskammer des Obersten Volksgerichts als letztmögliche Instanz das Urteil. Die höchsten Richter senkten ihren Daumen. „Das ist jetzt gut 20 Tage her", sagte Anwältin Guo am Freitag. „Nach Chinas Vorschriften hätte die Todesstrafe innerhalb von sieben Tagen auch exekutiert werden müssen." Ihre Mandantin lebe aber noch. „Das ist ein gutes Zeichen." Chinas obersten Richtern seien wohl doch noch Zweifel gekommen.

Der Grund könnte im landesweiten Aufschrei der Bürgerinitiativen und Juristen gegen eine Rechtsprechung liegen, die häusliche Gewalt nicht als gerichts_relevant ansieht und Opfer nicht schützt. Wie verbreitet das Problem generell und ohne Einberechnung der Dunkelziffer ist, stellte der allchinesische Frauenverband 2011 in einer Untersuchung fest. Jede vierte verheiratete Frau klagte über Gewalt zu Hause.

Keine Rechtsgleichheit

Die Todeskandidatin Li Yan kommt vielleicht auch deshalb mit dem Leben davon, weil das Thema unter Chinas obersten Richtern neu diskutiert wird. Richterin Xue Shulan, Vizeleiterin einer Strafkammer am Obersten Gerichts, sagte Mitte Jänner der Justizzeitung Fazhi Ribao, es dürfe nicht sein, dass es in China keine einheitliche Urteilssprechung für das gleiche Delikt häuslicher Gewalt gebe. Chinas Justiz müsse zu einer juristischen Definition finden, was häusliche Gewalt sei und wie sie bestraft werden müsse, um Rechtsgleichheit herzustellen.

Zu oft werden Übergriffe als Ehezank oder Familienstreit verharmlost, in den sich die Behörden nicht einmischen, sodass keine strafrechtliche Verfolgung aufgenommen wird. Bürgerinitiativen haben inzwischen offene Briefe an den Volkskongress, Chinas Parlament, gerichtet, um häusliche Gewalt zum Straftatbestand zu machen.

Auch Anwältin Guo will Chinas Abgeordnete dafür gewinnen, die Debatte auf die Tagesordnung des Volkskongresses zu setzen, der am 5. März beginnt. Dazu passt ein spektakulärer Abfindungsprozess wegen häuslicher Gewalt, der erste derartige Prozess in China. Die US-Amerikanerin Kim Lee gewann ihn in Peking gegen ihren berühmten chinesischen Mann und Unternehmer Li Yang, der sie jahrelang brutal geschlagen hatte. Nach vier Anhörungen verurteilte ihn ein Gericht Anfang Februar zu umgerechnet 1,5 Millionen Euro Schadenersatz.

„Wir kämpfen für ein neues Recht für die Frauen. Wir haben nun zwei Präzedenzfälle, um es durchzufechten", sagt Guo. Aber zuerst müsse sicher sein, dass das Todesurteil gegen Li Yan in eine Haftstrafe umgewandelt werde. Noch bangen alle Beteiligten um ihr Überleben. (Johnny Erling aus Peking /DER STANDARD, 9.2.2013)