Fjodor Lukjanow (46), Politologe und Journalist, ist Chefredakteur der Zeitschrift "Russia in Global Affairs" und Leiter der NGO "Rat für Außen- und Sicherheitspolitik".

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Ein Kämpfer der Free Syrian Army in Damaskus. Russland wirft dem Westen einseitige Unterstützung der Opposition vor.

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Mit Lukjanow sprach André Ballin.

STANDARD: Russland gilt als alter Partner des Assad-Regimes. Wann hat dieses Bündnis begonnen?

Lukjanow: Das Bündnis gibt es schon seit Sowjetzeiten, als Hafis al-Assad, der Vater des jetzigen syrischen Präsidenten, 1970 nach einem Militärputsch an die Macht kam. Er orientierte sich damals geopolitisch am Sozialismus. Mit seiner Baath-Partei lehnte er sich an die Sowjetunion an.

STANDARD: Spielte seine Pilotenausbildung in der UdSSR bei der Ideologiefindung eine Rolle?

Lukjanow: Natürlich hatte er Beziehungen zur Sowjetunion. Aber es gab auch kaum eine Wahl für ihn. Syrien stand im Konflikt mit Israel. Israel war der engste Verbündete der USA. Darum schlug sich die syrische Führung auf die andere Seite. Syriens "Sozialismus" hatte wenig mit der Sowjetunion gemein, aber das war unwichtig, solange sich Damaskus im Systemkonflikt an Moskau anlehnte.

STANDARD: Dieser Systemkonflikt ist vorbei. Welche Interessen hat Russland jetzt in Syrien?

Lukjanow: Russland hat die Beziehungen aus der Sowjetzeit geerbt, die sich in den 1990er-Jahren stark abschwächten. Aber die militärisch-technische Kooperation wurde fortgesetzt. Bis zum Bürgerkrieg war Syrien ein großer Kunde der Rüstungsindustrie. Zudem gab es bis dahin strategische Interessen, weil in Tartus ein Anlegepunkt für die russische Flotte bestand; wenn dies auch nicht wirklich ein Stützpunkt ist, so war es doch die einzige Basis außerhalb der GUS für Russland.

STANDARD: Sie sprechen in der Vergangenheitsform. Hat Russland die Interessen nicht mehr?

Lukjanow: Die Hoffnung ist gering. Es ist unklar, wie es in Syrien weitergeht, doch Business as usual wie früher mit Bashar al-Assad ist unmöglich. Selbst wenn er an der Macht bleibt, wird es schon ein anderes Syrien sein. Daher war Moskaus Position nur anfangs von eigenen Interessen geprägt. Das, was Russland jetzt vertritt, hat fast nichts mehr damit zu tun.

STANDARD: Welche Politik leitet Russland denn jetzt?

Lukjanow: Russland vertritt eine auf seine Art sehr konsequente Haltung. Viele wundern sich, dass sich Russlands Politik seit mehr als eineinhalb Jahren nicht ändert. Diese Haltung wird von dem Prinzip diktiert, dass bei einem inneren Konflikt – hier handelt es sich um einen Bürgerkrieg – die internationale Gemeinschaft nicht einseitig Position für eine Partei beziehen darf, indem sie diese unterstützt und die andere bekämpft.

STANDARD: Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat dem Westen die einseitige Unterstützung der Opposition ja auch deutlich vorgeworfen. Andererseits gibt es Informationen darüber, dass Russland Assad weiter mit Waffen beliefert.

Lukjanow: Erstens gibt es kein UN-Embargo. Das einseitig von den USA und der EU verhängte Embargo hat keinen international rechtsgültigen Status. Zweitens gab es wohl wirklich Waffenlieferungen, aber diese wurden aufgrund alter Verträge und nicht neuer Vereinbarungen durchgeführt. Russland hat klar gesagt, dass es die Sanktionen nicht anerkennt und die bestehenden Verträge erfüllt, aber zugleich keine neuen abschließt. Russland will damit sein Image als zuverlässiger Lieferant wahren, was weniger für Syrien als für andere potenzielle Abnehmer russischer Waffen wichtig ist.

STANDARD: Ist für Russland nicht ein langer Konflikt wegen der hohen Ölpreise von Vorteil?

Lukjanow: Das ist ein sehr primitiver Denkansatz. Natürlich ist es günstig, aber das bedeutet nicht, dass die russische Politik das Motiv verfolgt. Nicht Russland hat die Ereignisse im Nahen Osten provoziert – eher unterstützte der Westen die Revolutionen, wenn auch teilweise notgedrungen.

STANDARD: Putins Skepsis gegenüber dem Arabischen Frühling und Revolutionen überhaupt ist bekannt. Eine Theorie aber besagt, dass Russland, gewollt oder nicht, die Ereignisse im Nahen Osten durch den Exportstopp für Getreide forciert habe. Das führte zur Lebensmittelkrise und damit zu Revolten. Was sagen Sie dazu?

Lukjanow: Vielleicht war das ein kleiner Zusatzfaktor, aber die Ereignisse in Ägypten und anderswo sind Folge eines ganzen Buketts von Faktoren. Die wirtschaftliche Situation in Ägypten und Libyen war nicht so schlecht.

STANDARD: Hat Moskau einen Plan, wie es in Syrien weitergehen soll?

Lukjanow: Russland hat ein Ziel: Der Konflikt darf nicht so entschieden werden wie in Libyen, wo Kräfte von außen bestimmten, wer an die Macht kommt. Ohne die Nato wäre Gaddafi dort noch am Ruder. Die Aufständischen hätten ihn nicht besiegt. Russland hat damals aus noch ungeklärten Gründen die Resolution unterstützt. Die Folgen waren dann derart, dass Moskau nun klar zeigen will, dass es so ein Szenario nicht noch einmal mitmacht. Kommt es in Syrien ohne Einmischung von außen zu einem Machtwechsel, dann kann Russland damit leben. (DER STANDARD, 9.2.2013)