"Stets um Verständnis bemüht, aber in der Sache kompromisslos ging sie ihren Weg, beruflich wie privat": Barbara Coudenhove-Kalergi hat ihre Memoiren "Zuhause ist überall" veröffentlicht.

Foto: Heribert Corn

"Ich habe ein paar kleine Texte geschrieben, und mein Bruder Jakob ermutigte mich, sie an die Tageszeitung 'Die Presse' zu schicken." So unspektakulär beginnt nach einer langen Kette von prekären Gelegenheitsjobs im Wien der Fünfzigerjahre eine journalistische Laufbahn, die zunächst durch die Zeitungslandschaft der Stadt mäandert und an deren Ende eine  Osteuropa-Korrespondentin des ORF steht, deren Berichte stets gültige Maßstäbe der Fernseh berichterstattung setzten und bei denen, die sie erleben durften, noch immer unvergessen sind.

Davor die Jahre einer behüteten Kindheit in Prag und auf dem großväterlichen Schloss, heranwachsend zwischen drei Brüdern in einer adeligen Familie, ohne Luxus, umgeben von Personal. Es begegnen die Mitglieder der Familie auf ihren verzweigten Lebenswegen, so Großvater Heinrich, der sich in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts als österreichisch-ungarischer Gesandter in Japan in Mitsuko, die Tochter eines japanischen Geschäftsmannes, verliebte, sie heiratete und nach Böhmen mitbrachte. Oder Onkel Richard, der die Paneuropa-Union begründete. Die Eltern betrachten sich als Deutschböhmen und loyale Bürger der Tschechoslowakischen Republik. Welche Nationalität haben die böh mischen Aristokraten eigentlich? Sie sind keine Tschechen, sie sind keine Sudetendeutschen - Ungewissheit als Erbe der Monarchie.

Erst als in Deutschland Hitler an die Macht kommt, scheiden sich auch unter den böhmischen Adeligen die Geister, und nach dem Einmarsch müssen die Aristokraten wählen zwischen deutsch und tschechisch. Kein Nazi, aber auch kein Antinazi - so der Kurs des Vaters. Als der Krieg ausbricht, meldet er sich zur Wehrmacht. Barbara sammelt als deutsches Jungmädel für das Winterhilfswerk. Die Folgen des Krieges für die Zivilbevölkerung bekommt sie zu spüren, das Massensterben an den Fronten und den Holocaust bekommt sie nicht mit. Mit dem Zusammenbruch des Naziregimes verspürt die Familie die Feindseligkeit der Tschechen. Rasch heizt sich die Stimmung auf. Eine Wolldecke und ein Taschenmesser in den Rucksack gestopft, ehe "die Deutschen" für eine Nacht in einer Straßenbahnremise zusammengetrieben werden. Am Morgen setzt sich der Zug zur Flucht in Bewegung. Nach langem Fußmarsch über Bayern in Salzburg angekommen, bleibt der Familie zu konstatieren: Wir sind Bettler. Doch das Netzwerk der Standesgenossen funktioniert.

Gesprächspause

Ausgestoßensein und Vertreibung am eigenen Leib zu ver spüren kann zu unterschiedlichen Reaktionen führen. Die einen werden ewige Revanchisten, andere entwickeln eine besondere Sensibilität, wenn Menschen wo auch immer Verfolgung und politischem Druck ausgesetzt sind. Ihre Arbeit als Journalistin ließ nie einen Zweifel offen, auf welcher Seite Barbara Coudenhove steht. Stets um Verständnis bemüht, aber in der Sache kompromisslos, ging sie ihren Weg, beruflich wie privat. Die Presse verlässt sie, nachdem ihr empörter Bericht über die neonazistische Schillerfeier 1959 zusammengestutzt im Lokalteil erscheint. Die SPÖ verlässt sie nach einem Stück des Weges mit Bruno Kreisky in der Arbeiter Zeitung wütend, als Arbeiter gegen die Besetzer der Hainburger Au aufgeboten werden sollen. Und sie heiratet die Liebe ihres Lebens, den jüdischen Reformkommunisten und Herausgeber des Tagebuch Franz Marek, was Papi aus dem Gotha-Almanach erfahren muss und zu einer jahrelangen Gesprächspause zwischen ihm und dem "rosaroten Kerzlweiberl" führt.

Es sind die Tage von Danzig, Barbara Coudenhove arbeitet  inzwischen beim ORF, zunächst beim Hörfunk, schon bald beim Fernsehen. In der "größten Orgel des Landes" erhält sie endlich die Möglichkeit, ihre journalistischen Fähigkeiten voll auszuspielen - Berichterstattung aus Osteuropa wird sehr wichtig genommen. Es sind historische Ereignisse, über die sie, unter der Drohung eines russischen Einmarsches, aus der Kantine der Lenin-Werft berichtet, Ereignisse, die in ganz Europa atemlos verfolgt werden. Das sollte sie 1989 in den Tagen der Sanften Revolution vom Prager Wenzelsplatz aus tun, als Václav Havel jeden Abend die Forderungen nach Demokratie, Ende der Zensur und einem Rechtsstaat erhob, und später vom Fall der Berliner Mauer. Dem Schicksal der polnischen Juden galt ihr Film Abschied vom Schtetl, und auch den Spuren  jüdischen Lebens im Burgenland ging sie nach. Als der ORF in Prag ein Korrespondentenbüro eröffnet, kehrt sie für länger in ihre geliebte Heimatstadt zurück, um zu erkennen: Der Traum ist vorbei, die Vertreibung war endgültig.

Nicht so ihr Engagement für Menschlichkeit und gegen Fremdenfeindlichkeit. Jetzt unterrichtet Barbara Coudenhove Deutsch für Migranten und Asylwerber. Die Privatperson setzt den Einsatz der Journalistin fort - für ein "Land der Menschen", wo auch immer. Danke, dass sie auch noch dieses zutiefst menschliche Buch geschrieben hat. (Günter Traxler, DER STANDARD, 9./10.2.2013)