Tunesiens Ministerpräsident Hamadi Jebali reagiert, aber leider zu spät. Der Generalsekretär der islamistischen Ennahda verspricht angesichts des Mordes an dem Oppositionspolitiker Chokri Belaid eine Regierungsumbildung. Es sollen nur noch Technokraten in der neuen Exekutive sitzen, die das Geburtsland des Arabischen Frühlings so schnell wie möglich zu Wahlen führen soll. Jebali nimmt sich freilich selbst aus. Er will bleiben.

Eine solche Lösung wäre noch vor wenigen Wochen mit Anerkennung von der säkularen Opposition angenommen worden. Doch monatelang forderte diese vergebens einen nationalen Dialog, um eine unpolitische, aber effektive Regierung auszuhandeln. Zuletzt gab die mächtige Gewerkschaft UGTT Jebali die Chance, seinen Kurs zu ändern. Nach mehreren Übergriffen auf Gewerkschaftshäuser und Oppositionelle durch ebenjene radikalen Milizen, die jetzt auch hinter dem Mord an Chokri Belaid stecken dürften, hatte die UGTT im Dezember einen Generalstreik angesetzt, um ihn als eine Art Vertrauensvorschuss an die Regierung dann wieder abzusagen. Es kam nicht zur erwarteten Annäherung zwischen Islamisten und weltlichem Lager.

Schlimmer noch, Jebali traute sich nicht, den Hardlinern in seinen Reihen die Stirn zu bieten. Allen voran ist da der Parteichef und spirituelle Vater des tunesischen Islamismus, Rachid Ghannouchi, zu nennen. Er verteidigt die Milizen der sogenannten Liga zum Schutz der Revolution, traf sich mit radikalen Salafisten, die in den letzten Monaten Ausstellungen, Theater, Synagogen, Mausoleen und gar die US-Botschaft überfallen haben.

Jebali hatte seine Chance, all das zu unterbinden und die Liga zu verbieten. Er tat es nicht. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, wenn er jetzt als Mitverantwortlicher am politischen Mord an Belaid gesehen wird und auch sein Rücktritt gefordert wird. (Reiner Wandler, DER STANDARD, 8.2.2013)