Reichenau - Einen Moment lang steht Arthur Schnitzlers etwas verschlungen stoffreiche "Komödie" Professor Bernhardi sozusagen auf Seziermessers Schneide: Eine Ansammlung von Göttern in Weiß zieht Zähne fletschend, Messer wetzend gegen einen der ihren blank.

Sie stürzt den jüdischen Klinikleiter Bernhardi (Peter Matic) in ein Malheur: Er habe einen katholischen Priester an der Sterbebegleitung einer Abtreibungspatientin gewaltsam oder doch unduldsam gehindert, was eine herbeihalluzinierte, klerikalkonservative "Öffentlichkeit" weder zu dulden gewillt noch zu übergehen imstande sei.

Weswegen gegen ihn, den Juden, eine Untersuchung erhoben werde, an deren Ende Bernhardis mutmaßlicher Ruin steht. Und im Theater Reichenau hatte man doch bloß einen innerlich frierenden Priester (Günter Franzmeier) gesehen, der wie ein moderner Heiland das Kreuz in zusehends gottloser Zeit trägt, während sein "Widersacher", Peter Matic als Bernhardi, die Sache der Vernunft wie ein etwas bitteres Bonmot vorträgt. Als rachenputzendes Wahrheitsbonbon.

Aus lauter Ahnungen und Wirrungen ist dieser famose Reichenauer Professor Bernhardi haarfein zusammengesetzt. Und das Gesellschaftsparkett der Parademediziner ist, wie in einer unsichtbaren Überblendung, ein Shakespeare-Schlachthaus: die Internisten, Gynäkologen, Laryngologen eine Meute von Kriegsvögten - mit gesträubten Brauen (Bernd Birkhahn) und barschen Manieren (Herbert Föttinger). Northumberlands, Buckinghams also. Ihr Opfer Bernhardi dagegen ist der gute, aufgeklärte Friedenskönig. Also muss er fallen.

Bernhardi (Peter Matic), der wie ein spindeldürrer, etwas obenhin und überkorrekt regierender Doktor Gottvater durch das kalkweiße Klinikum geeilt ist - der Dummheit seiner Kollegen in Schlachterschürzen nachschmeckend wie einem hauchfeinen Verwesungsgeruch -, fällt aus allen Wolken.

Verzichtsleistung

Beverly Blankenships so erlesene wie handverlesene Bernhardi-Inszenierung interessiert sich nur am Rande auch für Schnitzlers schalkhaftere Wendungen und Endungen: Die Lächerlichkeit eines schönschwätzenden Ministers (Dietrich Mattausch) taugt wenig zur Erhellung der trüben Gemüts- und Gemengelage bei, an deren Ende Bernhardi den etwas müden, abgeklärten Verzichter gibt.

Davor aber kann man vor Peter Loidolts praktikablen Fotostellwänden den Shylock ahnen: den zuinnerst gekränkten Pragmatiker als Sachwalter einer Vernunft, dem die aufgezwungene Wahl der Waffen keinen Schmutz, keine Winkelzüge, keine drohende Lächerlichkeit erspart.

Der die assimilierten jüdischen Ärzte in ihren lächerlichen Trachtenjankern und völkischen Deckmäntelchen wie von weiter Ferne entgeistert anstarrt - kaum jemals war Matic, der sonore Vernunftredner, kühner, wahrhaftiger, redlicher als in diesem verknappten, verbissenen, verwegenen - und nur manchmal ein klein wenig verwackelten - Schnitzler-Untergangsspiel.

Es bleibt der Eindruck eines merkwürdig verbogenen Königsdramas im Zivilisationsgewand: der quasi kabinettspolitischen Ranküne, an deren Ende, kaum erahnbar noch, der Massenmord an den Juden steht. - Ein beklemmender, so ganz und gar nicht sommerfrischer Abend. (DER STANDARD, Printausgabe vom 14.7.2003)