Die Sprache gibt konkrete Hinweise auf körperliche Phänomene und psychische Hintergründe.

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Etwas geht an die Nieren, liegt wie ein Stein im Magen, bereitet Kopfzerbrechen oder bringt die Galle zum Überlaufen – Redewendungen wie diese verwendet jeder Mensch alltäglich im Sprachgebrauch.  Die scheinbaren Floskeln repräsentieren das Zusammenspiel zwischen Körper und Seele und sind für Mediziner ein wichtiges Hilfsmittel in der Diagnostik.

"Redewendungen beinhalten Informationen, die der Patient geballt zur Verfügung stellt. Einerseits beziehen sich diese auf körperliche Phänomene und andererseits bietet der Patient selbst bereits ein Erklärungsmodell für seine Beschwerden an", so Christian Fazekas, Vorstand der Gemeinsamen Einrichtung für Klinische Psychosomatik und Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie an der Medizinischen Universität in Graz.

Keine Zeit

Mit der Sprache bringt der Mensch also oft schon unbewusst vieles auf den Punkt. Für den Mediziner heißt es im Grunde nur zuzuhören. Problematisch ist, dass die Rahmenbedingungen dafür in der medizinischen Praxis  nicht gegeben sind. Der Bedarf danach wäre jedoch groß. Das konnte auch Fazekas  mit seinem Team in einer Studie  unter österreichischen Allgemeinmedizinern aufzeigen: "Eine repräsentative Stichprobe österreichischer Ärzte für Allgemeinmedizin hat uns mitgeteilt, dass es bei 20 bis 30 Prozent ihrer Patienten notwendig wäre, sich psychosozialen Themen zuzuwenden, also auch zuzuhören, damit eine Behandlung überhaupt erfolgreich verlaufen kann".

Soviel zur Theorie, die gängige Praxis ist eine andere. 85 Prozent der Mediziner wussten im Rahmen der Befragung auch zu berichten, dass sie die  Zeit zum Zuhören schlichtweg nicht haben, weil das Gespräch von den Krankenkassen kaum oder gar nicht honoriert wird.

Krankheiten mit nachweisbarer organischer Schädigung, die in Zusammenhang mit psychischem Leid stehen, werden daher nur körperlich therapiert. Dem Patienten ist damit oft nur kurzfristig geholfen. Die allergrößte Herausforderung für den Arzt sind funktionelle Störungen. Ein organischer Befund lässt sich nicht finden, Zeit um auf den psychischen Hintergrund einzugehen, ist nicht da.

Vegetative Brücke

Als Psychosomatiker tut sich Fazekas hier etwas leichter.  Er weiß die Hinweise seiner Patienten schneller zu erkennen: "Oft steckt eine hohe Gesamtbelastungssituation hinter den körperlichen Beschwerden. Ist eine bestimmte Körperregion oder ein bestimmtes Organ davon betroffen, ist es möglicherweise das bevorzugte Stressorgan dieser Person".

Die Brücke zwischen Seele und Körper ist das vegetative Nervensystem. Es kommuniziert unter Belastung mit den verschiedenen Organen. Der Sympathikus ist bei Stress für die Anspannung im Körper verantwortlich, der Parasympathikus sorgt im Normalfall für die anschließende körperliche Erholung und Regeneration. Ist der Mensch im Gleichgewicht, dann funktioniert dieses System perfekt.

Ist der Mensch jedoch im Dauerstress, dann kommt es zur sympathischen Überaktivität, die sich über kurz oder lang in körperlichen Symptomen widerspiegelt. Wo sich diese manifestieren ist wie erwähnt eine Frage der Persönlichkeit.

Psychosomatisches Wesen

"Der Mensch ist ein psychosomatisches Wesen", betont Fazekas. Nicht jeder Mensch besitzt jedoch gleichermaßen Zugang zu seinen Gefühlen, um das zu erkennen. Beschwerden werden von Patienten selbst daher gerne auf die körperliche Ebene reduziert. Dass der Körper jedoch zweifelsohne auf die Psyche reagiert, zeigt sich bereits in dem einfachen Symptom des Errötens: "Man braucht es nicht zu messen, man sieht es den Menschen an, dass sie unmittelbar auf eine konflikthafte Situation psychophysiologisch reagieren", so Fazekas.

Es liegt daher am Mediziner eine tragende therapeutische Beziehung aufzubauen, damit auch für den Patienten ein differenziertes Erleben und Benennen seiner emotionalen und körperlichen Abläufe möglich wird. Eine ärztliches Zusatzfach für Psychosomatische Medizin könnte das Diagnostikum Sprache zukünftig wieder verstärkt in die Medizin integrieren.  "Viele Mediziner, wie Allgemeinmediziner, Kinderärzte und Gynäkologen sind daran sehr interessiert", sagt Fazekas und hofft dass dieses Projekt bald zur Realität wird. (Regina Walter, der Standard.at, 2.2013)