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"Man nennt sie zwar Schneeleoparden, aber sie mögen überhaupt keinen Schnee", sagt der Forscher Brad Rutherford über die graupelzigen Großkatzen.

Foto: AP

Im Süden der Mongolei, am Rande der Gobi-Wüste, erhebt sich der Tost-Gebirgszug. Kahle Hänge, schroffe Täler, felsiger Boden, und in dieser Einöde lebt eines der scheuesten Raubtiere unserer Erde: der Schneeleopard, Panthera uncia. "Es ist eine fürchterlich trockene Region" , erklärt der Wildökologe Örjan Johansson von der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften, Forschungsstation Grimsö. Die jährliche Niederschlagsmenge beträgt nur etwa 130 Millimeter. Das ist hart an der Grenze zu echten Wüstenbedingungen mit weniger als 100 Millimetern pro Jahr.

Auch die Temperaturunterschiede machen den Tost zu einer unwirtlichen Gegend. Im Sommer wird es extrem heiß mit Temperaturen deutlich über 35 Grad, im Winter fällt das Quecksilber auf bis zu minus 30 Grad, berichtet Johansson. Doch trotz solch harscher Bedingungen beherbergt das Gebiet eine reiche Fauna, darunter Huftiere, diverse Vogelarten und eben auch den Schneeleoparden. Was ist die Nahrungsgrundlage dieses Ökosystems?


Video: Erstmals gelang es Forschern, Schneeleoparden in ihrer Kinderstube zu filmen. Mehr zu den Hintergründen der Aufnahmen gibt es hier. (Quelle: Youtube/Snow Leopard Trust)

Auf den ersten Blick, sagt Örjan Johansson, wirkt die Landschaft völlig kahl. "Wenn man dann aber genauer hinschaut, findet man Gras und andere Pflanzen." Die spärliche Vegetation bietet vor allem Sibirischen Steinböcken und Argali-Wildschafen offenbar ausreichend Futter. Und diese wiederum sind die Beute der graupelzigen Räuber.

Unbekannte Lebensweise

Johansson studiert die Schneeleoparden des Tost seit knapp fünf Jahren. Der schwedische Wissenschafter arbeitet dabei im Auftrag zweier US-Artenschutzorganisationen, der Panthera in New York und des Snow Leopard Trust in Seattle. Ziel ist es, die Ökologie und Lebensweise von Panthera uncia genauer zu erforschen und auf Basis dieser Kenntnisse effektivere Schutzprogramme zu entwickeln. Schneeleoparden gelten als gefährdete Spezies. Niemand weiß genau, wie viele dieser prächtigen Tiere noch durch die Gebirgszüge Zentralasiens streifen - vielleicht nur noch ein paar Tausend.

Der Tost ist für die Samtpfoten gar kein so untypisches Revier. "Man nennt sie zwar Schneeleoparden, aber sie mögen überhaupt keinen Schnee," sagt Brad Rutherford, Direktor des Snow Leopard Trust. Auch in anderen Teilen ihres Verbreitungsgebiets scheinen die Raubkatzen eher trockene Regionen zu bevorzugen, erklärt der Artenschutzexperte. "Wir dachten früher, dass das Randgebiet der Gobi-Wüste eine Art Abfluss für Schneeleoparden-Populationen war." Demnach wären dort jüngere Tiere eingewandert, die anderswo kein Revier gefunden hätten. In der Südmongolei hätten sie aufgrund schwieriger Lebensbedingungen kaum eine Chance auf erfolgreiche Fortpflanzung gehabt.

Die Annahme war offensichtlich falsch. Seit 2008 wurden 19 Tost-Schneeleoparden mit einem Funkhalsband ausgestattet, darunter neun Weibchen. Vier davon brachten allein im letzten Jahr insgesamt sechs Welpen zur Welt. Der Tost ist also eindeutig eine Populationsquelle, betont Rutherford. Wahrscheinlich ist das gute Angebot an Beutetieren entscheidend. Dementsprechend wichtig ist es auch, den Raubkatzenbestand und das Ökosystem nachhaltig zu schützen.

Der Snow Leopard Trust verfolgt eine umfassende Strategie, die die lokale Bevölkerung komplett miteinbezieht. "Wir glauben, dass wir den Schneeleoparden nur dann dauerhaft schützen können, wenn wir mit den Menschen, die ihren Lebensraum mit den Raubkatzen teilen, zusammenarbeiten", erklärt Rutherford. Der Hintergrund: Die größten Gefahren für das Überleben von Panthera uncia sind Wilderei und Vergeltungstötungen durch Viehhalter, deren Tiere von Schneeleoparden gerissen werden. Die Bewohner der zentralasiatischen Gebirgsregionen führen meist einen harten Existenzkampf. Für sie kann auch schon der Verlust einer einzigen Ziege katastrophal sein.

Um dieses Konfliktpotenzial zu entschärfen, hat der Snow Leopard Trust ein eigenes Versicherungsprogramm entwickelt. Es bietet Bauern und Hirten eine gute finanzielle Entschädigung für den Fall, dass ihr Vieh einem Schneeleoparden zum Opfer fällt. Die Zuerkennung von Ausgleichszahlungen wird von örtlichen Komitees übernommen.

Vertrag mit der Bevölkerung

Um am Programm teilnehmen zu können, müssen die Dorfbewohner einen Schneeleoparden-Schutzvertrag mit Jagdverbot unterschreiben. Danach ist die Gemeinschaft selbst verantwortlich, und diese kontrolliert ihre Mitglieder hinsichtlich der Einhaltung des Abkommens. "Sie werden genauso überzeugte Artenschützer wie wir", sagt Rutherford. Teilnehmende Kommunen profitieren zudem von einem Impfprogramm, welches die Herden vor Viehseuchen schützt.

Extrem groß sind die von den Schneeleoparden verursachten Schäden nicht, wie eine Untersuchung zur Ernährung der Raubkatzen im Tost gezeigt hat. Ein internationales Forscherteam sammelte frischen Kot der Tiere ein und analysierte die darin enthaltenen DNA-Reste von Beutetieren. In den insgesamt 81 Proben konnten die Wissenschafter Erbgut von fünf verschiedenen Tierarten registrieren, darunter der Sibirische Steinbock und das Argali-Wildschaf, aber auch DNA von Hausziegen und -Schafen sowie vom wildlebenden Chukar-Huhn. Am häufigsten waren die Steinböcke vertreten. Ihre Gensequenzen konnten in gut 70 Prozent der Kothaufen nachgewiesen werden. Hausvieh-DNA tauchte in knapp 20 Prozent der Proben auf. Ein nicht unerheblicher Anteil.

Zu den Zukunftsaussichten für die südmongolischen Schneeleoparden äußert sich Örjan Johansson vorsichtig positiv. "Im Tost-Gebirge scheint ihre Population stabil zu sein." Im vergangenen Sommer entdeckten der Forscher und seine Kollegen dort sogar erstmalig ein Schneeleoparden-Lager mit Muttertier und Welpe. Den Wissenschaftern gelangen einzigartige Filmaufnahmen. Später fanden sie noch ein weiteres Nest mit zwei Jungen. Die Mutter war gerade auf der Jagd, das Team konnte die kleinen Raubkatzen untersuchen und mit winzigen Identitäts-Chips ausstatten. Eine Gefahr bestand nicht, weil die Bindung der Mutter an ihre Jungen wenige Tage nach der Geburt bereits so stark ist, dass sie ihren Nachwuchs auch bei menschlichen Duftspuren nicht mehr verlässt. Die jungen Schneeleoparden waren topfit und ihre Bäuche gut gefüllt. Eine gute Nachricht für den Fortbestand der Großkatzen. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 06.02.2013)