Sportreporterinnen stehen unter besonderer Aufmerksamkeit. "Jeder Fehler wird bestraft", sagt Kommentatorin Christina Graf.

Foto: Sky

Frauen und Fußball - noch immer ein Widerspruch? Wohl eher nicht. Am vergangenen Sonntag wagte sich eine 27-jährige Reporterin auf neues Terrain und schrieb als erste weibliche Kommentatorin im deutschsprachigen Raum bei der Zweitliga-Begegnung zwischen Jahn Regensburg und Hertha BSC Fußballgeschichte. Wer hätte das gedacht? Die letzte Männerbastion im deutschen Fernsehen fällt.

Christina Graf saß für den Pay-TV-Sender Sky auf dem Kommentatorenplatz und machte ihre Sache richtig gut. Trotz verschärfter Beobachtung ("Die Welt" hatte eigens einen Liveticker eingerichtet) präsentierte sich die deutsche Sportjournalistin 90 Minuten lang fachlich kompetent. Ohne Pannen. Ohne Versprecher.

Gelungenes Debüt

"Mir fehlt zwar noch die Routine, aber für mein Debüt war das ganz okay", zeigt sich Graf im Gespräch mit derStandard.at zufrieden. Auch dem Publikum gefiel's. "Glückwunsch an Christina Graf für ein gelungenes Debüt! Damit steckt sie schon paar männliche Kollegen in die Tasche", schrieb ein User auf Twitter.

Gegen 1.200 Kandidatinnen durchgesetzt

Sky und "Sport Bild" hatten im September zu dem Kommentatorinnen-Casting "Wir suchen deine Stimme" aufgerufen. Mehr als 1.200 Kandidatinnen hatten sich daraufhin gemeldet, von denen Ende Oktober die besten elf zu einem dreitägigen Workshop mit Sky-Kommentator Kai Dittmann eingeladen wurden. Im Finale der letzten drei fiel die Wahl der Jury - Bärbel Schäfer, "Sport Bild"-Chefredakteur Matthias Brügelmann und Sky-Chefkommentator Marcel Reif - auf Graf.

Sky-Sportchef Burkhard Weber ist von ihrem Talent überzeugt: "Christina Graf bringt alles mit, was man in diesem Job braucht: Fachwissen, sprachliche Fertigkeit, eine gute Stimme und echte Begeisterung für den Fußball."

Vom Rasen in die Kommentatorenkabine

Fußball war schon immer ein großer Bestandteil von Grafs Leben. "Ich bin mit diesem Sport groß geworden. Ich liebe Fußball, weil dieses Spiel so abwechslungsreich, spannend und emotional sein kann." Bereits im Alter von vier Jahren begann sie ihre Karriere beim VfL Heinsberg in der Nachwuchsmannschaft. Später spielte Graf in der deutschen Bundesliga für den FFC Heike Rheine und den SC Bad Neuenahr.

Doch der Aufenthalt in der höchsten Spielklasse dauerte nur vier Jahre, eine schwere Verletzung am Sprunggelenk beendete Grafs Karriere vorzeitig. Die Ex-Bundesligaspielerin begann ein Medienwissenschaftsstudium an der Universität Siegen und tauschte ihre Fußballschuhe gegen Headset und Mikrofon. Für Radio Siegen kommentierte sie regelmäßig die Spiele der Sportfreunde Siegen. Außerdem arbeitete die Studentin für die Sportredaktion des Nachrichtensenders n-tv. Doch Fußballspiele kommentieren, das war schon immer ihr Traumberuf: "So nah bei einem Spiel dabei zu sein ist ein Privileg."

Berufsziel trotz vieler Vorurteile

In Deutschland drängen immer mehr Frauen in den Sportjournalismus, auch wenn sie mit vielen Vorurteilen zu kämpfen haben. "Man steht mehr unter Druck, weil die öffentliche Aufmerksamkeit höher ist, jeder Fehler wird bestraft", sagt Graf. Dass Sportreporterinnen vom Publikum kritischer betrachtet werden als ihre männlichen Kollegen, zeigt auch ein Experiment der Technischen Universität München. Die Teilnehmer sahen Ausschnitte verschiedener Fußballspiele mit identischem Kommentar, jeweils von einem Mann und einer Frau eingesprochen. Die Mehrheit war danach überzeugt, dass die Kommentatorin mehr Fehler gemacht habe.

"Sportreporterinnen sehen hübsch aus, haben ansonsten aber keine Kompetenz", meinte einst der frühere Werder Bremen- und Nationalspieler Michael Schulz im Gespräch mit der "Welt". Diese Wahrnehmung hat sich über die Jahre gewandelt. Sportmoderatorinnen haben im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Deutschlands eine lange Tradition. Vor 40 Jahren stand Carmen Thomas als erste Frau für das ZDF-"Sportstudio" vor der Kamera. Obwohl sie mit ihrem "Schalke 05"-Versprecher für negative Schlagzeilen sorgte, ebnete sie den Weg für Kolleginnen wie Doris Papperitz, Katrin Müller-Hohenstein (beide ZDF) und Jessica Kastrop (Sky).

Herren-Bundesliga bisher tabu

Bundesliga-Kommentatorinnen aber fanden bisher keinen Platz in den TV-Anstalten, Sky nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Zwar kommentierte Claudia Neumann die Frauen-WM 2011 für das ZDF, die Herren-Bundesliga war allerdings tabu. Bis jetzt. Laut einer Studie der Universität München begrüßen männliche Zuseher diesen Schritt. In einer Umfrage gaben 55,3 Prozent der befragten Männer an, dass Frauen in dieser Sparte "längst überfällig" seien. Nur jeder Zehnte hielt sie für "absolut unnötig". Lobende Worte fand auch Rekordnationalspieler und Sky-Experte Lothar Matthäus: "Ich finde es gut, dass nun auch eine Frau live kommentiert. Fußball ist längst keine reine Männerdomäne mehr."

Österreich hinkt hinterher

Während in Deutschland der Frauenanteil im Sportjournalismus bei 17 Prozent liegt, sieht die Lage in Österreich noch anders aus. Laut einer Studie von Minas Dimitriou und Gerold Sattlecker von der Universität Salzburg sind es hierzulande nur zehn Prozent. Beim ORF arbeiten laut Pressestelle etwa 20 Sportjournalistinnen, doch sie agieren eher im Hintergrund. Einzig Daniela Soykan und Katrin Buchebner treten als Moderatorinnen für den "Kurzsport" und das "Sport-Bild" in Erscheinung.

International liegt die Frauenquote bei rund sieben Prozent. Laut wissenschaftlichen Studien liegen die Gründe dafür in der Unvereinbarkeit von Familie und Beruf sowie der extremen Ellbogenmentalität. Für Graf war das aber nie ein Problem: "Ich habe diesbezüglich keine negativen Erfahrungen gemacht. Wenn man das Fachwissen und die Begeisterung besitzt, werden dir keine Steine in den Weg gelegt." Der Sportreporterin bleibt nicht viel Zeit zum Verschnaufen. Bereits am kommenden Wochenende nimmt sie wieder hoch oben auf den Rängen im Stadion Platz. Dann kommentiert sie das Zweitliga-Spiel Duisburg gegen 1860 München. "Aber irgendwann will ich auch die erste Bundesliga kommentieren." (Stefanie Riegler, derStandard.at, 8.2.2013)