Claudia Daeubner (Executive Councelor), Günther Tengel (Managing Partner Amrop Jenewein), Andreas Bierwirth (CEO T-Mobile Österreich) mit Karin Bauer zum aktuellen Führungs- und Machtthema im neuen STANDARD-Haus am Wienfluss.

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Haben wir zu viele schlechte, unreflektierte, überforderte Chefs? Arbeiten sie nur für ihre Karriere, für ihre Vertragsverlängerung, statt zum Wohle des Unternehmens?

Lassen die Bedingungen in Unternehmen keine anderen Typen zu - oder ist es gerade umgekehrt so, dass jene Führungskräfte für ebendiese Bedingungen verantwortlich sind, die organisationale und individuelle Erschöpfung, Frustration und Rückzug verursachen? Handfestes dazu bieten die Zahlen der so stark zunehmenden psychischen Erkrankungen ebenso wie Umfragen, wonach maximal ein Drittel der Belegschaften ihrer Führung gute Noten gibt.

Die Ursachen- und Wirkungsforschung zu all diesen Fragen erscheint im aktuellen Karrierenforum, gestaltet von Claudia Daeubner (Executive Councelor), Andreas Bierwirth (CEO T-Mobile Österreich) und Günther Tengel (Managing Partner Amrop Jenewein), als Teufelskreis. Allerdings nicht als ein unentrinnbarer.

Zunächst die Analysen des Status quo: Je angespannter die Situation - und das ist sie in den meisten Unternehmen -, desto stärker trete der Effekt von "des Kaisers neue Kleider" auf, sagt Top-Management-Beraterin Claudia Daeubner. Das bedeute: Je krisenhafter die Bedingungen, desto weniger offen werde an das Spitzenmanagement Feedback gegeben. Kurz: Es gilt, sich seine(n) Spiegel suchen und sich mit dem tatsächlichen Widerschein zu beschäftigen. Das zahle schon einmal einen nachhaltigen Teil der Miete in den höchsten Status-Räumen der Wirtschaft und nütze der Belegschaft. Denn: Genau das Fehlen dieses Abgleichs zwischen Eigen- und Fremdbild wird so oft als eine große Wurzel des Übels schlechter Führung kategorisiert.

"Sehnsucht nach Visionen"

Im Gegensatz dazu unbestreitbar: "Es besteht eine große Sehnsucht nach Visionen, nach Leuten an der Spitze, die wissen und sagen, wo es langgeht. Das fehlt aber so oft. Acht Prozent weniger Personalkosten ist keine Vision", so Günther Tengel. Nachsatz: Es sei beängstigend, nun immer wieder zu lesen, dass sogenannte High Potentials zu 70, 80 Prozent auf dem Sprung weg vom Unternehmen sind. Die gesammelten Beobachtungen dazu: Wer in seiner Belegschaft Ängste hervorrufe - sei es durch autoritären, unberechenbaren Führungsstil, durch die Vorgabe einer Null-Fehlerkultur oder schlicht durch eigene Unsicherheit und Überforderung -, der erzeuge statt Gefolgschaft für notwendige Veränderungen "Ja-Sager, Nein-Meiner und Nichts-Tuer, denn das erscheint dann am sichersten", so Daeubner. Und dieses Phänomen dürfte kein Einzelfall sein.

"Explodierende Komplexität, die auslaugt, und ungeheure Volatilitäten", so Tengel, auf Basis der Tatsache, dass sehr viele Unternehmen seit Jahren mit sich selbst beschäftigt seien (statt mit Kundenbeziehungen), das habe sehr verunsicherte Führungskräfte hervorgebracht. "Zwei Drittel der Manager, die bei mir sitzen, sind verunsichert." Das sei natürlich ein riesiges Problem in den Firmen. Es bestehe "enormes Nichtwissen - man hatte noch nie solche Situationen, noch nie so viele Themen in Überlagerung."

Vorstandsteams mit Bruchlinien

Dass sich jeder Fehler derzeit enorm räche, Ausweichen und Verstecken kaum mehr möglich sei, trage seinen Teil zu den Befindlichkeiten in den Vorstandsetagen bei, so Daeubner. Zudem ortet sie sehr häufig zerstrittene Vorstandsteams mit Bruchlinien - oft zwischen CEO und Marketingvorstand - inklusive Silo-Verhalten. Die Belegschaften würden dies ganz genau beobachten und wahrnehmen. "Auch wenn die Vorstände glauben, man merke es außerhalb ihrer Türen nicht."

Tengel stimmt zu: "Es prallen immer öfter drei Generationen mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen von Führung in Führungsteams aufeinander - das geht sich nicht aus." Wenn dann auch noch der Aufsichtsrat Fronten-Botschaften in die Belegschaft schicke, dann sei die Lähmung perfekt, die Machtpolitik laufe auf Hochtouren.

Jedenfalls konstatiert Daeubner, dass es derzeit "sehr langer Beine für den Spagat" bedürfe. Gemeint sind die Dilemmata hinsichtlich des Erwartungsmanagements der verschiedenen Anspruchsgruppen (Stakeholder), der Aufsichtsräte, die um ein neues, professionelleres Selbstverständnis ringen und daher neue Rollen einnehmen, und der Performance auf den relevanten, ebenfalls meist äußerst volatilen Märkten.

Der zuvor geforderte regelmäßige selbstkritische Blick in den Spiegel komme da ebenso leicht zu kurz wie die Antenne nach innen, das Achten auf die innere Stimme.

Dilemma der Entscheidungsfindungen

Aus diesem Gemenge heraus ortet Andreas Bierwirth, Vorstandschef der T-Mobile in Österreich, eine "mangelnde Bereitschaft, Risiken einzugehen" - einen Mangel an allseits gefordertem unternehmerischem Denken. Er beschreibt konkret das große Dilemma der Entscheidungsfindungen: Oft seien Erfolge kurzfristig nicht zu feiern, langfristig in der Wirksamkeit nicht zu erklären. Dies in äußerst nervösen Umfeldern.

Das wiederum führe, so die Runde, zu einem "Tanz zwischen Extrempolen". " Und zu abnehmendem Markt-Fokus", so Bierwirth, was aufgrund übergroßer Innenorientierung folglich Probleme dort bringe, "wo die Gehälter herkommen - von den Kunden".

Zusätzlichen Druck bringe widersprüchliche Erwartungshaltung in Belegschaften, so Bierwirth: Einerseits der Ruf nach klarer Führung, andererseits jener nach maximaler Selbstentfaltung. Dies im Zusammenhang mit neuer Transparenz auch dank Social Media: "Führungskräfte stehen unter permanentem Druck, sich zu legitimieren, sie werden viel mehr hinterfragt", sagt Tengel. Das sei auch einer der wesentlichen Unterschiede zu Führungsansprüchen "früher" und jetzt. Denn die Führungsaufgaben der Prioritätensetzung und der Verantwortung für Aktionspläne hätten sich ja nicht geändert.

Interne Gesprächskreise

Umso mehr brauche es mehr interne Gesprächskreise "face to face". Genau da hätten aber Vorstände Schwierigkeiten, zwischen dem Tun für ihre persönliche Zukunft und der Wirksamkeit im Job zu entscheiden: "Ich nehme persönliche Netzwerkpflege auch als Fluchtoption vor unternehmerischem Handeln wahr." Da gehe man lieber mit dem "Netzwerk" essen, statt intern Mitarbeiter zum Innovationsmeeting zu treffen.

Konkret bedeute das, es bedürfe eines offenen, ehrlichen und greifbaren Dialogs seitens der Führungsspitze, sagt Bierwirth. "Und zwar als tatsächlich berührbare Menschen, nicht als Befeuerung via E-Mail." So sei Gefolgschaft als Voraussetzung für erfolgreichen Wandel, für Zukunftsfähigkeit, zu erlangen. Auf Basis fachlichen Könnens nennt er persönliche Integrität ("irgendwann kommt es links oder rechts als Skandal oder Skandälchen raus, wenn krumm agiert wird") und die eben genannte Kommunikationsfähigkeit.

Den Führungsteams empfiehlt er bewusstes "Offsite", also sich aus dem Spiel zu nehmen, das Handeln zu reflektieren. Da allerdings nur allzu oft ein "Mini-Me"-Syndrom in den Führungsteams herrsche, sich die Obersten allzu oft Kollegen holten, die noch ein bisschen weniger können, statt Bessere an den Tisch zu lassen, fange das Problem wohl in der Zusammensetzung der Führungsteams an. Tengel: "Das sind dann defensive Bewahrer mit Ideenmangel."

Meetingkultur

Abgesehen von übereinstimmender Kritik an überbordender Meetingkultur empfiehlt Claudia Daeubner, den Fokus in solchen Teams auch auf das zu legen "was gut funktioniert", und "nicht immer nur alles verbessern" zu wollen".

Somit klingt das Resümee einfach: Es geht um die richtigen Menschen "da oben", die der Aufsichtsrat stabil arbeiten lässt, die das Vertrauen der Gremien besitzen und als echte Vorbilder auf Gefolgschaft ihrer Belegschaft bauen können. Um solche, die auch wissen "dass ihre Macht geliehen ist, die nicht Person mit Funktion verwechseln und sich unabhängig halten", sagt Andreas Bierwirth.

Um solche Vorstände, "die an etwas glauben und denen man glaubt", so Günther Tengel, die in anhaltend unsicheren Zeiten einen "Teil Sicherheit für sich gestalten und das auch ausstrahlen".

Und um solche - um zu Claudia Daeubners Bild vom Kaiser mit den neuen Kleidern zurückzukommen -, die sich von Macht-, Status- und Jobverlust nicht in Flucht- oder Angriffsmodus versetzen lassen, sondern den Blick in den Spiegel als Voraussetzung für ihre Dienstleistung erkennen.

Das dient bestimmt auch dem Selbstschutz - nackt geht man dann nicht so schnell raus. (Karin Bauer, DER STANDARD, 2./3.2.2013)