Regisseur Oleg Soulimenko bringt mit "Made in Austria" Geschichten auf die Bühne, die nur das Leben schreiben kann.

 

 

Foto: Jelena Gučanin

Vetscheslav Seniugov kann in Wien wieder frei atmen: "Meine sexuelle Orientierung war in Moskau ein Tabu. Ich bekam deshalb keine Jobs und hatte ein schwieriges Leben."

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Die Musikerin Lana Michelson wuchs in San Francisco auf und lebt heute in Wien. „Als ich hierher kam, fühlte ich diesen Frieden. Ich hatte den Mut und den Raum, das zu machen, was ich immer wollte."

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Die Premiere im Donauturm-Café im Rahmen der Wiener Festwochen 2012 war bereits ein voller Erfolg. Jetzt geht es für Oleg Soulimenko und seine bunte Truppe ein zweites Mal auf die Bühne: Am 1. und 2. Februar ist die Performance "Made in Austria" im brut Wien zu sehen. Eine philippinische Krankenschwester, ein indischer Parfümeur, eine türkische Lehrerin und viele mehr erklären darin, warum Österreich ihre Wahlheimat wurde. Der künstlerische Leiter Soulimenko und zwei PerformerInnen erzählen uns vorab schon ihre Geschichten über Ankunft und Leben in Österreich.

Neue künstlerische Heimat

"Vom Arbeiter zum Künstler" - so beschreibt sich Oleg Soulimenko selbst. Der gebürtige Russe, der seit 20 Jahren in Wien lebt, entschied sich nach seinem Ingenieursstudium in Moskau und kurzer Zeit im Beruf doch für die Kunst. "Bereits in der Schule merkte ich, dass ich kreativer war als die anderen. Ich sang gerne, spielte Theater und Kabarett", erzählt er. Als Tänzer und Performer stand er dann in Moskau auf der Bühne und gründete schließlich sein eigenes Theater - das Saira Blanche Theatre. Aufgrund eines Tanzfestivals verschlug es ihn später nach Wien. Die Leute hier wurden aufmerksam auf seine Arbeit. Immer öfter kam er danach hierher, da die Umstände in seinem Heimatland schwieriger wurden: "Wir hatten in Moskau keinen Raum mehr zum Üben. Die Dinge wurden kommerzialisierter. Und hier hatten wir mehr Möglichkeiten."

Bei Tanz und Performance blieb es aber nicht: Vor einigen Jahren wurde sein Interesse für das Geschichtenerzählen geweckt. "Made in Russia" hieß ein Stück, das er im Jahr 2012 gemeinsam mit Andrei Andrianov zeigte. Es beschäftigt sich mit ihren Biografien und mit Kunst zwischen Ost und West. "Danach hat mich die Situation hier stark interessiert. Ich wurde neugierig, wie Leute, die aus anderen Ländern nach Österreich kommen, sich hier verwirklichen", erzählt er. Das war der Startschuss für "Made in Austria". Soulimenko suchte monatelang nach ausdrucksstarken Menschen mit unterschiedlichen Geschichten und Sichtweisen. „Sie alle repräsentieren Menschen, die hier ihr zweites Zuhause gefunden haben. Auf ironische und leichte Weise wollte ich der Frage nachgehen: Was bedeutet Österreich für diese Menschen? Wie sehen sie dieses Land?"

Schubhaft und Celine Dion

Einer dieser Menschen ist Vetscheslav Seniugov. Der gelernte Tänzer und Choreograph wuchs in Moskau auf. Er verließ seine Heimatstadt, weil er sich dort nicht mehr frei fühlte: "Meine sexuelle Orientierung war in Moskau ein Tabu. Ich bekam deshalb keine Jobs und hatte ein schwieriges Leben." Warum er gerade nach Wien gekommen ist? „Über Österreich hat man in den Medien nie etwas Schlimmes gehört. Für mich war es ein ruhiges Land mit guter Musik und guten Museen." Seine Ankunft in Wien war jedoch alles andere als das: „Direkt vom Flughafen wurde ich in Schubhaft gesteckt. Warum eigentlich? Ich bin kein Krimineller", fragte er sich damals. Nach einem Hungerstreik erhielt er eine Aufenthaltsgenehmigung und wartete dann fünfeinhalb Jahre auf Asyl.

Trotz dieser schwierigen Zeit, bleibt für Vetscheslav ein anderes Ereignis unvergesslich: „Als ich durch die Stadt spazierte, sah ich auf Plakaten, dass meine Prinzessin nach Wien kam - Celine Dion." Die Sängerin war nie in Russland aufgetreten, weil es ihr zu gefährlich war. Vetscheslav fehlte jedoch Geld für das teure Ticket. "Viele tolle Menschen hier haben mir dann Geld geborgt." Ein Traum ging für ihn in Erfüllung, er konnte das Konzert besuchen. Dass Vetscheslav glücklich ist, in Wien seine zweite Heimat gefunden zu haben, merkt man ihm an. "Ich habe hier meine Ruhe und kann wieder frei atmen", sagt er.

"In Wien sind alle seltsam, nicht nur ich"

Dieses Gefühl der Freiheit spürte auch Lana Michelson, die in San Francisco, Kalifornien, aufgewachsen ist. Ihre Mutter ist Amerikanerin, ihr Vater Österreicher. Mit 14 Jahren kam sie nach Wien in ein Internat, arbeitete später als Model und reiste herum. Lana liebte die Offenheit der Menschen. "In amerikanischen High-Schools sind alle sehr fies. Ich wurde ständig gemobbt, weil ich größer war als die Jungs. In Wien aber hatte ich das Gefühl, dass alle seltsam sind, nicht nur ich." Sie war erstaunt, dass Cliquen hier keine große Rolle spielen: "Hier redet das schickste Mädchen mit dem Typen mit den Dreadlocks. Das war wie ein Zoo für mich, denn in Amerika würden diese beiden sich nie über den Weg laufen."

In dieser Schule lernte sie auch einen Jungen kennen, in den sie sich Hals über Kopf verliebte. "Ich nahm das viel ernster als er", erzählt sie heute. "Zehn Jahre später sah ich ihn dann bei einem Klassentreffen in Wien wieder und seitdem sind wir ein Paar. Bald heiraten wir." Die Liebe war aber nicht der einzige Grund, warum sie geblieben ist: "Ich konnte mich wieder auf meine Musik konzentrieren", erzählt die junge Künstlerin, die derzeit an ihrem ersten Album arbeitet. "Als ich hierher kam, fühlte ich diesen Frieden. Ich hatte den Mut und den Raum, das zu machen, was ich immer wollte."

Kritik mit Augenzwinkern

An den hohen Lebensstandard in Österreich musste sich Lana aber erst gewöhnen. "Als ich einen Bandscheibenvorfall hatte, kam der Notarzt mitten in der Nacht - und alles hat die Krankenkassa gezahlt! Ich habe dann meine Freundin in Amerika angerufen und ihr das erzählt. Sie konnte es nicht glauben." Ein bisschen etwas würde sie dennoch gerne aus ihrer Heimat mitnehmen, erzählt sie: "Die Leute hier sollten mehr lächeln. Auch wenn in Amerika immer alle aufgesetzt gut drauf sind, vermisse ich das hier. Oft frage ich mich: Habe ich etwas im Gesicht, warum schauen mich alle so grimmig an?"

Es sind die Kritik mit Augenzwinkern, die Ironie und die persönlichen Geschichten, in denen Humor und Ernst zugleich steckt, die die Performance "Made in Austria" ausmachen. Glück und Leid zeigen sich hier in Details und kleinen Alltagsgeschichten. Eine dieser Geschichten erzählt Regisseur Soulimenko heute oft: "In Wien warte ich auf die Straßenbahn, drücke den Knopf, die Tür öffnet sich und ich gehe hinein. In Russland drücke ich den Knopf, die Türe öffnet sich - und ist gleich wieder zu, bevor ich drinnen bin." (Jelena Gučanin, 1.2.2013, daStandard.at)