Aus den zahlreichen Einsendungen unserer Lesergemeinde aus dem Ausland haben wir zum Schluss noch ein paar Perlen ausgesucht. Im Rennen sind diesmal Mexiko, Irland, Kanada, Deutschland, Finnland und Tansania. Wir danken allen für die rege Beteiligung an unserem Aufruf und die außergewöhnlichen Geschichten. (red, daStandard.at, 8.2.2013)

Alexander Wostry führt in Tansania eine Organisation für nachhaltige Landwirtschaft:

Ein Praktikum war es, was mich veranlasst hat, unterhalb des Äquators zu reisen - nach Tansania. Dort hat es mir dann die nachhaltige Landwirtschaft angetan. Mittlerweile bin ich mit einer Tansanierin verheiratet und wir beide führen nicht nur erfolgreich die Organisation Sustainable Agriculture Tanzania, sondern haben auch gemeinsam eine Tochter, die nun mit gut eineinhalb Jahren anfängt, im Dorf herumzuspazieren. In aller Herrgottsfrüh ist sie meist schon auf und davon und klappert ihre Freunde und Freundinnen ab. Ja, in Tansania geht das, da sind es nicht nur die Eltern, die sich um das Kind sorgen, sondern das ganze Dorf. 

Solch ein soziales Klima lässt es zu, Wurzeln zu schlagen. Dann noch hin und wieder ein Schäufelchen Kompost, und wir kommen einer nachhaltigeren Gesellschaft ein paar Schritte näher. Der einfache Lebensstil, zum Beispiel die Kübeldusche, regt zum Denken an, nicht nur weil sie einen abkühlt. Nein, auch einfach weil es einen wissen lässt, dass man mit gut zehn Litern Wasser schon zweimal am Tag duschen kann. Das macht wieder Mut in einer Welt, in der Ressourcen immer knapper werden. Ich gebe es ja zu, wenn ich dann hin und wieder in Österreich bin, lasse ich mir manchmal gemeinsam mit meiner Frau die Wanne ein. Nur muss ich jedes Mal darüber grübeln, wie viele Kübel Wasser es wohl für diese Freude braucht.

Foto: privat

Manfred Pirchner und seine Familie leben seit 2004 in Finnland - ein Einblick ins hoch gepriesene Schulsystem:

Österreich (Tirol) verlassen haben wir mit unseren zwei Kindern wegen der räumlichen und politischen (schwarz-blauen) Enge und weil wir überzeugt waren, in Finnland für uns eine höhere Lebensqualität zu finden. Beruf und Einkommen - oder weil in Finnland der einzig gültige Weihnachtsmann wohnt - waren hingegen keine Gründe fürs Auswandern.

Wir leben im Wald, im Niemandsland leben wir deshalb nicht. Obwohl wir nicht Finnisch sprachen, waren wir schon nach ganz kurzer Zeit Teil des Geschehens in unserer Gemeinde. Sehr bald unterrichtete meine Frau an der Grundschule, nur vier Jahre nach unserem Ankommen wurde sie in den Gemeinderat gewählt, nach nur sechs Jahren wurde ihr ein Preis für herausragendes Engagement in der Gemeinde verliehen, ihr frischer mitteleuropäischer Wind gelobt. Wir sind in ein Land gekommen, in dem innovative Ideen nicht einfach weggewischt werden (wie ich das in Österreich oft genug in meiner Arbeit als Lehrer erleben musste). Auch nicht, wenn diese Ideen Menschen aus dem Ausland haben (obwohl das manchmal den Stolz der FinnInnen berührt).

In Finnland bemüht man sich um gute Bedingungen für die Balance zwischen Arbeit, Familie und Freizeit. Solidarisch, gleichberechtigt und immer mit nordischer Gelassenheit. Alle sind per Du, Titel zählen nicht vordergründig, die Sprache ist geschlechtsneutral. Wir sehen hier im Vergleich mit Österreich Forderungen nach Gerechtigkeit und Ausgleich weniger gleichgültig behandelt. Auch geht man im täglichen Leben immer selbstverständlich von der Ehrlichkeit des Gegenüber aus, dieses Vertrauen ist von gegenseitiger Achtung bestimmt. Als das Formular einer misstrauischen österreichischen Behörde nach einer Stampiglie einer finnischen Behörde verlangte, löste das beispielsweise Unverständnis und Heiterkeit aus.

Kinder erfahren bestmögliche Unterstützung, unabhängig vom Einkommen und der Nationalität der Eltern, alle haben gleiche Bildungschancen, in jedem Kind wird ein Talent gesehen. Im Bildungsbereich gibt es hier seit bald vierzig Jahren all das uns Wichtige, in Österreich wird dasselbe etwa gleich lang im Parteienstreit ergebnislos diskutiert, als ob es nicht um die Kinder ginge.

Im Vergleich mit anderen Länder werden die Kinder hier später eingeschult, beginnen den Unterricht später am Tag, haben kürzere Unterrichtszeiten, bekommen nach drei Unterrichtsstunden ein warmes Mittagessen, müssen deutlich weniger Hausaufgaben machen. Es sind weniger Kinder in den Klassen, schwache Kinder werden möglichst im regulären Unterricht durch zusätzliche LehrerInnen besonders gefördert. Es gibt nur wenige schriftliche Tests und keine mündlichen Prüfungen, verstehen sollen die Kinder durch Anwenden, nicht durch Auswendiglernen. Immer bestimmt die Zusammenarbeit das Geschehen, nicht Leistungsdruck und Konkurrenz. 

Die Rolle des Schulhofes ist von zentraler Bedeutung für den Erfolg. Eine Unterrichtsstunde dauert 45 Minuten, dann gibt es 15 Minuten Pause. Nach jeder Stunde! Und diese Pause verbringen die Kinder bei jedem Wetter (bis minus 15 Grad) im Hof. Außerhalb des Klassenzimmers haben sie mehr Selbstvertrauen, beim Spielen fühlen sie sich wohl und sicher, gleichzeitig wächst die soziale Kompetenz. Und viel von dem bringen sie dann zum Unterricht in die Klasse mit. Die Qualität des Unterrichts hängt auch nicht von der Zahl der Unterrichtsstunden ab. Während der neun Jahre Gesamtschule, die man einfach Grundschule nennt, werden sich unsere Kinder gegenüber Kindern in Österreich mehr als 1.100 Schulstunden erspart haben, das ist mehr als ein Schuljahr. Das bedeutet ein Jahr länger Kind sein dürfen. Und dennoch ist Finnland bei Studien zur Bildung immer weit vor Österreich. Aber Hauptsache, man hängt sich am Wort Gesamtschule auf. 

In den ersten neun Schuljahren entstehen keinerlei Kosten für die Eltern, sogar die Auslandsreisen werden von der Schule (Gemeinde) bezahlt. Bildung gilt in der finnischen Gesellschaft als wesentlicher Akt sozialer Gerechtigkeit. Ein österreichischer Staatssekretär meinte einmal, in Finnland müssten fremdsprachige Kinder zunächst 900 Stunden Finnisch büffeln, ehe sie in den Klassenverband aufgenommen werden. Dem muss ich widersprechen.

Unser Sohn sprach kein Wort Finnisch, war vom ersten Tag an im Klassenverband, eine eigene deutschsprechende Hilfslehrerin saß unterstützend neben ihm, nach vier Monaten konnte er dem Unterricht nahezu eigenständig folgen. Die Hilfe hatte er dennoch insgesamt zwei Jahre. Und als ein thailändisches Mädchen in die Klasse kam, es aber niemanden gab, der Finnisch und Thai sprach, hat man einfach die Mutter des Mädchens als Hilfslehrerin angestellt. Die konnte zwar auch kein Wort Finnisch, aber das Mädchen fühlte sich in Begleitung der Mutter sicher, und letztlich haben damit beide die Sprache gelernt.

Natürlich überdenkt man immer wieder den Entschluss, nach Finnland gezogen zu sein. Auch wenn sich einiges in den Jahren des Hierseins (nicht nur zum Besseren) verändert hat, entspricht sehr vieles weiterhin unseren Erwartungen. An eine Rückkehr nach Österreich denken wir folglich nicht. Unseren Kindern fehlt manchmal die Nähe zu den Großeltern, unserem Sohn fehlen manchmal die Berge zum Snowboarden, aber sonst ... 

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Thomas Bubendorfer, ein "Deutscher" aus dem irischen Südwesten:

Ich bin 1995 aus Österreich ausgewandert. Meine damalige Freundin kam aus Irland, und wir haben uns praktisch in der Mitte getroffen und ein paar Jahre in London gelebt. Dann kamen Hochzeit und Kinder, und schlussendlich sind wir in ihre Heimat übersiedelt.

Die Landschaft hier in Kerry, im irischen Südwesten, ist wunderschön, weshalb ich Tirol nicht allzu sehr vermisse. Skifahren ist das Einzige, was mir fehlt - aber man kann halt nicht alles haben. Kochen können wir selber, da braucht man nichts Kulinarisches zu vermissen. Meine ältere Tochter zählt die österreichische Küche sogar zu ihren Favoriten.

Das Leben ist, was man daraus macht. Es gibt überall sowohl nette als auch böse Zeitgenossen. In Irland ist die Gastfreundschaft jedenfalls bemerkenswert. Wir haben uns hier eingelebt, die Kinder fühlen sich als Iren, auch wenn sie einen komischen Nachnamen haben. Ich habe mich längst daran gewöhnt, als Deutscher bezeichnet zu werden, den Unterschied werden die Einheimischen eben nie checken.

Foto: privat

Thomas aus Berlin hat einen "austronostalgischen Germknödel im Selbstversuch" geschickt - und der spricht für sich:

Von Wien nach Berlin zu gehen - das ist kein großer Schritt. Besonders nicht, wenn man es 2010 tut, wenn die Reaktion schon nicht mehr "Oh mein Gott, wie cool", sondern eher "Berlin ist aber schon so vorbei!" ist. Trotzdem sagte eine Freundin, die in Süddeutschland lebt, kurz vor meinem Umzug: "Unterschätze es nicht, es ist ein anderes Land." "Anderes Land, anderes Land, was soll das heißen!", dachte ich und zog, ob vorbei oder nicht, ziemlich fröhlich nach Berlin.

Durch Auslandssemester und Reisen hielt ich mich für abgehärtet gegenüber Kulturschock-Erfahrungen aller Art. Besonders in einem Land, das Österreich so lächerlich ähnlich ist wie Deutschland. Erkenntnis Nummer eins, kurz nach Ankunft: Berliner können keinen Schnee räumen. Im kalten Winter von 2010 eine bittere Erfahrung. Kopfschüttelnd schaute ich den Café-Betreibern in meiner Straße zu, wie sie mit Kinderplastikschaufeln die Schneeberge zu beseitigen versuchten - dann kämpfte ich mich weiter zur S-Bahn, die sowieso nicht fuhr. Nie wieder werde ich über Wiener Schneechaos schimpfen, dachte ich.

"Ach, dann kommen Sie wohl aus dem Süden!", das war in den ersten Wochen an meiner neuen Uni ein oft an mich gerichteter Satz, vor allem von Dozenten und Dozentinnen. "Nein, aus Österreich", sagte ich dann und verstand immer erst in dem Moment, in dem ich es aussprach, dass sie genau das meinten. Aber als "aus dem Süden kommend" hatte ich mich, im nicht besonders südlichen Oberösterreich geboren, noch nie definiert.

Nach meiner ersten Stunde Sprechtraining, das zu meinem neuen Studium gehörte, bat die Trainerin meine philippinische Kollegin, meine ungarische Kollegin und mich zu sich, um sich mit uns über unsere Akzente zu unterhalten. Die Sprechtrainerin, eine überaus kompetente und sympathische Frau, sah uns drei besorgt an und meinte: "Sie werden Extratraining brauchen, Akzente sind im Moment leider überhaupt nicht gefragt."

"Äh, das ist meine Muttersprache, das wissen Sie aber schon?", wollte ich fragen, aber dann kam es mir arrogant gegenüber meinen Kolleginnen vor, die, nebenbei gesagt, natürlich ausgezeichnet Deutsch sprachen und ein mehrstufiges Aufnahmeverfahren an dieser deutschsprachigen Uni bestanden hatten.

Ein paar Tage später wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich mich für ein Stipendienprogramm für Menschen mit Migrationshintergrund bewerben könne. Erst dachte ich, es handle sich um einen Irrtum, weil ich schwarze Haare habe. Aber es war ein ernst gemeinter, freundlicher Rat von einem deutschen Kollegen, der in meinen Augen im Gegensatz zu mir "tatsächlichen Migrationshintergrund" hatte. "Du kommst doch aus Österreich", sagte er. Er hatte ja recht. Beworben habe ich mich dann allerdings um das Stipendium der gleichen Stiftung, das für alle Studierende offen war.

Wie seltsam das Wort "Migrationshintergrund" wirklich ist, ist mir dann aber erst ein Jahr später aufgefallen. Thilo Sarrazin hatte "Deutschland schafft sich ab" geschrieben, und ich interviewte den Schriftsteller Deniz Utlu, der am "Manifest der Vielen", einem Buch mit Texten gegen Sarrazins Thesen, mitgeschrieben hatte. Da saßen wir in seinem WG-Zimmer und unterhielten uns über Migrationshintergründe. Laut Medien hatte ich keinen, obwohl ich erst vor einem Jahr in dieses Land gezogen war. Und viele Menschen behaupteten, er habe einen, obwohl er hier geboren und aufgewachsen war und als Hannoveraner natürlich viel besser "Hochdeutsch" sprach als ich. "Ich habe keinen Migrationshintergrund", sagte er dementsprechend auch. Das habe ich mir gemerkt.

Österreichische Politik verfolge ich von hier aus so angestrengt und emotional wie immer. Die meisten Entwicklungen bekomme ich aber peinlicherweise nicht aus den Tageszeitungen mit, sondern weil sich meine in Österreich lebenden FreundInnen auf meinem Facebook-Newsfeed zu immer neuen Protestgruppen formieren. Irgendwie finde ich es aber angenehm, in letzter Zeit weniger auf Nazis und schreckliche Missbrauchsfälle und dafür mehr auf Korruption angesprochen zu werden.

Mentalitätsmäßig - auch so ein schwieriges Wort - habe ich mich schnell meiner ungarischen Studienkollegin näher gefühlt als "den Deutschen". Irgendwie ja auch logisch, Wien und Budapest sind sich näher als Wien und Hamburg. Aber vielleicht ist das nur die traditionelle österreichische Deutschenfeindlichkeit, die dann doch auch ein bisschen in mir steckt. Lieber möchte ich mich mit einer genussfreudigen, kulturbeflissenen Ungarin identifizieren als mit straighten Norddeutschen.

Aber mittlerweile habe ich eine brandenburgische Schwiegermutter, bin beim Fußball sowieso immer für Mesut Özil, und auf meinem Uni-Abschlusszeugnis stand sogar "Geburtsort: Linz, Deutschland". Dagegen habe ich dann doch protestiert.

Ein paar Sachen werde ich trotzdem niemals tun, egal wie lange ich hier noch lebe. Kaffee auf der ersten statt auf der letzten Silbe betonen zum Beispiel. Vermissen tue ich, abgesehen von Familie, FreundInnen und der Donau, vor allem kulinarische Dinge. Und da nicht einmal die gehobenen: die leichte Muh-Frühstücksmilch, alle Bio-Produkte von Hofer (Aldi Nord kann wirklich nichts), österreichischen Rotwein, Mühlviertler Kräutertee. Vielleicht auch nur, weil es eben doch meine Heimat ist, ein Begriff, den ich nur sehr vorsichtig in den Mund nehme. Und am meiste vermisse ich, "Es geht sich nicht aus" zu sagen. Berliner verstehen das nicht und müssen stattdessen zugeben: "Das schaffe ich nicht mehr." Die Ärmsten. 

privat

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Sepp Schluiferers typische Migrantenprobleme aus dem französischsprachigen Teil Kanadas:

Vor sieben Jahren bin ich mit meiner Frau, die in Österreich selbst Zuwanderin war, nach Montreal gegangen, um dort für ein Jahr zu arbeiten, während sie ihr Studium beendete. Für mich war es eine willkommene Gelegenheit, endlich dem in meinen Augen provinziellen Wien zu entfliehen. Dort angekommen habe ich viele Erfahrungen gemacht, die mir ein wesentlich besseres Verständnis für die Schwierigkeiten von Zuwanderern allerorts ermöglichten. Von Wohnungssuche bis Jobsuche war alles ein wenig anders als in Wien und nichts davon einfach mit dem Handicap, noch keinerlei Kontakte mit Einheimischen vorweisen zu können. Mit der tickenden Uhr eines begrenzten Budgets im Nacken in einem fremden Land auf Arbeitssuche zu gehen, ohne Hilfe oder moralische Unterstützung von Freunden oder Familie, bildet den Charakter. In dieser Zeit war ich gezwungen, die österreichische Lethargie, die mir an mir selbst schon immer verhasst war, endgültig abzulegen.

Mit der Zeit kamen Bekanntschaften und Freundschaften, die den Aufenthalt wesentlich angenehmer machten. Was mir schnell besonders angenehm auffiel, waren die scheinbar völlige Absenz von Rassismus und die ethnisch bunt gemischten Gruppen von Freunden, die die Innenstadt bevölkerten.

Diejenigen Freunde in Montreal, die uns bei Bedarf immer hilfreich zur Seite standen, waren selbst Migranten oder Auslandsstudenten. Die einheimischen Bekanntschaften zogen sich eher still zurück, wenn es um freundschaftliche Hilfeleistungen ging. Worte können das dankbare Gefühl nicht beschreiben, wenn man in einem fremden Land auf Hilfe angewiesen ist und diese bedingungslos von einer Person angeboten bekommt, mit der man sich vielleicht fünfmal auf einer Party unterhalten hat. Dieses Gefühl werde ich mein Leben lang nicht vergessen, und ich habe es mir seither zum Ziel gemacht, Zuwanderern, die in meiner eigenen Heimat auf Hilfe angewiesen sind, selbst dieses Gefühl zu schenken.

Foto: reuters/christinne muschi

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Claudia Steinkogler ist vor zweieinhalb Jahren beruflich nach Mexiko gegangen:

Ich muss gestehen, anfangs war alles so wunderbar schön hier in Mexiko: Die Leute haben ständig gute Laune, das Wort "Stress" scheint völlig unbekannt, alles ist so wunderbar flexibel, man hat immer ein Witzchen auf den Lippen, die Sprache ist so melodisch, das Essen ist wunderbar exotisch und scharf, es scheint 360 Tage im Jahr die Sonne, alles ist so schön bunt.

Aber: Die Realität hatte uns sehr schnell im Griff. Die wunderbar flexiblen mexikanischen Mitarbeiter kamen und gingen, wie es ihnen passte - fixe Arbeitszeiten werden hier nicht großgeschrieben -, was natürlich ein Problem darstellt für einen seriösen europäischen Produktionsbetrieb. Von den bürokratischen Hürden möchte ich erst gar nicht anfangen - einfach unglaublich und unvorstellbar.

Für uns als Führungskräfte hieß das: umdenken. Wir stellten unsere ganze europäische Strategie infrage und schafften es nach circa 18 Monaten, den scheinbar richtigen Mix zwischen dem entspannten, flexiblen Mexiko und dem perfektionistischen, gestressten Europa herzustellen. Mittlerweile sind wir Europäer etwas entspannter und die Mexikaner tatsächlich professioneller. Meiner Meinung nach eine perfekte Mischung!

Privat hat Mexiko natürlich auch seine guten und schlechten Seiten. Das Wetter ist fantastisch - kein Vergleich zu dem nebeligen Oberösterreich, aus dem ich komme. Das Essen schmeckt fantastisch, aber nach zweieinhalb Jahren kann man einfach keine Maisfladen mehr sehen. Mit frischem Gemüse und abwechslungsreicher Kost ist hier im Norden Mexikos leider nicht zu rechnen. Die Landschaft unterscheidet sich sehr von der österreichischen. Obwohl ich von Bergen umkreist bin, darf man diese offiziell nicht besteigen (zumindest nicht ohne Genehmigung und kostenpflichtigen Guide), was für einen Österreicher eine ziemliche Provokation darstellt. Freizeitgestaltung in Mexiko ist zu hundert Prozent Shoppen und Essen.

Durch die steigende Kriminalität im Norden wird das nächtliche Fortgehen leider auch ziemlich beschränkt, und die meisten Partys sind privater Natur im Garten von Freunden mit Grillfleisch und ein paar Dosen Bier. Das dafür elf Monate im Jahr - 2013 haben wir die Grillsaison bereits am 19. Jänner eröffnet. Durch die steigende Gewalt im Land haben wir uns Ende 2011 auch entschlossen umzuziehen und wohnen nun in einer eingezäunten "colonia" - einem "Dorf" mit rund 300 Häusern, das rund um die Uhr von Securitypersonal überwacht wird. Sicherer ist es jetzt mit persönlichem Zutrittscode, aber von Freiheitsgefühl keine Spur. Ein Spaziergang im Park? Vorstellbar - jedoch nur in männlicher Begleitung und bei Tageslicht.

Foto: reuters/stringer