Verkörperlichtes Sehen: Gustav Metzgers "To Crawl Into - Anschluss, Vienna, March 1938".

Foto: Galerie König

Wien - Auch Kunst kann zum Kniefall zwingen, zur Bildbetrachtung auf allen vieren. Es ist Gustav Metzger, der den Betrachter darum bittet, unter das gelbe Laken zu krabbeln, welches das große SW-Foto am Boden der Galerie bedeckt. Unter dem Tuch entsteht ein Moment der Intimität, eine Art von Privatheit im Akt der Demut. Nun ist man nicht mehr der abgeklärte Kunstbetrachter, sondern nur noch Mensch. Hier am Boden kann die böse Vorahnung sich vollenden: im Bild der straßenwaschenden Juden.

To Crawl Into - Anschluss, Vienna, March 1938 heißt diese Arbeit des Künstlers, die ebenso wie andere Teile der Serie Historic Photographs (1995-1998) schon einmal in Wien zu sehen war: 2005 in Metzgers großer Retrospektive Geschichte Geschichte in der Generali Foundation. Metzger geht es in der Werkgruppe, die mehr räumliche Anordnung als Fotokonvolut ist, darum, den massenmedial vervielfältigten und dadurch entleerten Fotos ihre Bedeutung zurückzugeben. Der Akt des Sehens soll erneuert werden. Den Aufstand im Warschauer Ghetto versteckte der Künstler hinter einem Bretterverschlag, den Selektionsprozess in Auschwitz inszenierte er auf einer Rampe. Das Sehen wird zur körperlich verinnerlichten Erfahrung.

Metzger, der 1926 in Nürnberg als Sohn orthodoxer Juden geboren wurde und den Holocaust nur durch eine Rettungsaktion des Refugee Children Movement überlebte, hat seine Kunst nie als Ausdruck seines Schicksals gesehen. Dennoch sind Verschwinden und Auslöschung - von Metzgers Manifest zur Autodestruktiven Kunst (1959) einmal ganz abgesehen - zentrale Motive seines Oeuvres.

Teil von Metzgers politischer Haltung ist auch die Unverkäuflichkeit seiner Arbeiten. Er behält diese auch bei seiner ersten Ausstellung in einer kommerziellen Galerie bei. Erwerbbar sind in der Schau lediglich die Arbeiten von Gerhard Rühm, der - so wie der in London lebende Avantgardekollege - Zeitungen als Material für Kritik und Zertrümmerung von Wirklichkeiten nutzt. Neben zeitungsrissbildern sind es in geistliche gesänge Liedfragmente, die in Kombination mit Zeitungsfotos ihre Pointen gewinnen. Besonders gelungen ist sein "Radiomelodram" Wintermärchen (WDR, 1976), das einen Zeitungsbericht über einen Mann verarbeitet, der einen Raub überlebt, nicht aber die fehlende Misericordia der Mitmenschen.   (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 31.1.2013)