Vom Saulus zum Paulus. Josef Weghaupt verkauft anstatt industriell gefertigter Backmischungen nun hochwertiges Bio-Brot.

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Erich Kasses ist Bäcker in der dritten Generation. Das Handwerk macht ihm Spaß, der Börsehandel mit Getreide weniger: "Das ist total fatal."

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Brot ist über die Jahre nicht teurer geworden als andere Produkte oder Dienstleistungen. Eine Fahrt mit dem Bus etwa hat genauso im Preis zugelegt.

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Schlechte Nachrichten für viele Bäcker. Nur noch jeder zweite Österreicher kauft bei ihnen ein. Die Branche sucht nun Wege, wie man den Gang in die Bäckerei wieder zum Erlebnis machen kann. Die Zugänge sind unterschiedlich, eines freilich ist allen Firmen gemein: Sie wollen wieder lukrativ wirtschaften. Erreichen werden dieses Ziel aber nur wenige.

Richtig zu knabbern haben die Bäcker an den Supermärkten und Diskontern. An sie verliert die Branche kontinuierlich Kunden. Seit Brot in den Filialen frisch aufgebacken wird, hat sich das noch verschärft. "Diesen unverwechselbaren Duft hat man uns weggenommen", klagt etwa Erich Kasses von der gleichnamigen Waldviertler Bäckerei. Dabei geht es Kasses gut. Von Thaya aus liefert er mit über zwanzig Mitarbeitern sein hochwertiges Gebäck - frei von chemischen Zusätzen - an so illustre Wiener Adressen wie Meinl am Graben oder Hans Staud am Yppenplatz. Seine Kollegen aber, die mit fertigen Backmischungen arbeiten, hat es hart erwischt.

Fragliches Heilsversprechen

Fertige Backmischungen sind ein zweischneidiges Schwert. Sie helfen dem Bäcker dabei, ein Brot konstant gleich schmecken zu lassen und weniger Rohstoffe zu verschwenden. Der Archetyp dafür ist der Kornspitz. Entwickelt von der oberösterreichischen Firma Backaldrin, wird er heute täglich Millionen Mal gebacken. Auch das Qualitätsversprechen, das ein Haus- oder Bauernbrot im Namen trägt, ist oft auf Fertigmischungen gebaut. Dass es dadurch bei jedem Bäcker das gleiche gibt, ist freilich ein Nachteil.

Der geschmackliche Einheitsbrei fällt vielen Bäckern nun zur Last. Sie müssen zusehen, wie ihre Kunden in die Supermärkte abwandern. Die dort aufzubackenden Teiglinge - von Großbäckereien gefroren geliefert - haben sich zu einem großen Geschäft entwickelt.

Zunehmend treibt diese Entwicklung den erfolgsverwöhnten Großbäckern wie Kuchen Peter, Fischer oder Haubi's aber Sorgenfalten auf die Stirn. Sie machen oft ihren gesamten Umsatz mit der Belieferung der Supermärkte. Letztere haben dadurch an Macht gewonnen und begonnen, die Bedingungen zu diktieren. Das kann von Preisvorstellungen bis zur Vorgabe von Rohstoff-Bezugsquellen gehen. Oft wird gleich im Ausland bestellt. Spar tut das etwa bei Laugenstangerln. Die kommen des "Know-hows" wegen aus Bayern.

Kein Geld von der Bank

Vor diesen Zwängen fliehen, das war das Ziel von Josef Weghaupt. Der Gründer von Joseph Brot hat selbst jahrelang bei einem der heimischen Tiefkühl-Kaiser gearbeitet und es bis zum Vertriebsleiter gebracht. Irgendwann wollte er bei der Qualität keine Kompromisse mehr eingehen. Brot sollte wieder etwas Besonderes sein, sowohl in der Herstellung als auch in der Vermarktung. 2009 hat der mittlerweile 32-jährige Lebensmitteltechnologe damit begonnen, Brot auf eigene Rechnung zu backen.

Der Weg dorthin war steinig. "Ich habe kein Geld von der Bank bekommen. Jeder hat gesagt, dass es in dieser sterbenden Branche nix zu holen gibt", so Weghaupt. Die für die Bäckerei und das Verkaufslokal nötigen Investitionen, die in mehrere Hunderttausende Euro gingen, habe er mit seinem Ersparten gestemmt.

Kunden suchen Nähe

Dass er dafür in den 1. Wiener Bezirk gegangen ist und bei Einrichtung und Werbung nicht gespart hat, bereut Weghaupt nicht. Dem Kunden müsse ein Einkaufserlebnis geboten werden. So habe er im Verkaufsraum einen echten Ofen, das gebe eine bessere Wärmeentwicklung und trockne das Gebäck nicht aus. Auch bei Beleuchtung und Materialien - vom Terrazzo-Boden bis zur Verpackung der selbstgemachten Joghurts - will er nicht sparen.

Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben. Seine Filiale in der Wiener Naglergasse ist bei einem Lokalaugenschein sehr gut besucht. "Seitdem wir hier kaufen, werfen wir nichts mehr weg", bekundet Kunde Michel. Für die Qualität ist er bereit, mehr Geld auszugeben. Während ein Kilogramm Bio-Mischbrot hier rund sechs Euro kostet, sind es im Supermarkt - etwa bei der Billa-Marke Ja! Natürlich - knapp fünf Euro. 

Der Natur auf die Sprünge helfen

Sparen ist aber das, was viele Österreicher tun müssen. Als die Bäcker vor einem halben Jahr über Kostensteigerungen geklagt und die Preise angehoben haben, war die Aufregung bei den Konsumenten groß. Der Großteil der Menschen sprach vom "unberechtigten Gejammer" der Unternehmer, für viele stecken die "Spekulanten", für einige sogar die Geldpresse der EZB dahinter. Es gebe eben zu viel Mittel im Umlauf, das treibe die Preise.

Die Bäcker selbst geben mehrheitlich dem Getreidepreis die Schuld. Dieser Meinung sind etwa die Firmenchefs von Kasses und Joseph Brot, aber auch Felber und Spar. Franz Felber, der sich mit Ströck, Mann und Anker den Wiener Filialmarkt aufteilt und über 50 Standorte betreibt, macht die Natur dafür verantwortlich. Russland und die USA kämpften in den letzten Jahren mit Mangelernten. Ein Grund, warum die Rohstoffpreise gestiegen sind.

Erich Kasses hingegen schiebt dem Börsenhandel den Schwarzen Peter zu. "Total fatal" sei der für die Bäcker, da er den Getreidepreis "instabil" mache. Er vermisse das Eingreifen der Politik, schließlich sei das Phänomen schon einige Jahre bekannt.

Lohnkosten als Preistreiber

Personal und Energie nennt die Vollkorn-Bäckerei Gradwohl als Preistreiber. Und liegt damit am nächsten bei der Wahrheit. Denn laut KMU Forschung Austria machen die Löhne und Gehälter fast die Hälfte der Kosten für ein Weckerl aus. Die Rohstoffe selbst zeichnen nur für gut 30 Prozent verantwortlich. Und selbst dabei entfällt nur ein Drittel auf das Getreide, der Rest muss für Butter, Zucker oder Eier aufgewendet werden. Transport und Strom für die Back- und Kühlvorgänge machen dann noch einmal 20 Prozent aus.

Dabei ist Brot nicht teurer geworden als andere Produkte oder Dienstleistungen. Bäcker Kasses bemüht etwa den Vergleich mit einer Straßenbahnkarte. Und er hat Recht: Im Preis zugelegt hat Brot seit den 1980er Jahren nicht in größerem Ausmaß als eine Fahrt mit den Öffis.

Brot in Fußball-Form

So oder so wird Brot auf absehbare Zeit das Nahrungsmittel Nummer eins bleiben. Das wissen auch die Bäcker und suchen ihr Heil in der Expansion. Ob Felber, Kasses, Gradwohl oder Joseph Brot, sie alle wollen ausbauen. Den Schlüssel dazu sehen sie in der Spezialisierung. Während Gradwohl auf Dinkel- und Allergiker-Produkte setzt, sehen Joseph Brot, Kasses und Felber ihre Stärken in alten Roggensorten. Spar will neben dem Aufbacken von Tiefgefrorenen das Brot lokaler Bäcker verstärkt verkaufen.

Die Tiefkühl-Bäcker wiederum wollen nicht völlig von Supermärkten und Diskontern abhängig sein. So beteiligt sich Backaldrin-Chef Peter Augendopler an der Firma Eat the Ball. Diese fertigt Brot in Form von Fuß- oder Volleybällen und will damit über die Lifestyle-Schiene gehen. Und kräftig Geld verdienen. Der 90-Gramm-Ball kostet mit zwei Euro fast drei Mal so viel wie ein Kornspitz.

Kaum Zusammenarbeit

Ob mehr Filialen oder mehr Lifestyle. Ändern wird das nichts daran, dass es immer weniger Bäcker geben wird. Die dazu befragten Unternehmen gehen allesamt davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren 25 bis 50 Prozent ihrer Kollegen aufgeben.

Damit droht ein Teil heimischer Backkultur zu verschwinden. Mehr Zusammenarbeit könnte das verhindern. In Österreich hapert es aber daran. Mit "Berührungsängsten" erklärt sich das Kasses. Die hat Joseph-Brot-Chef Weghaupt zwar nicht, aber auch er sucht "nicht aktiv" den Kontakt mit seinen Kollegen. Dabei liegt Österreichs Gebäckvielfalt darin begründet. Die wanderfreudigen Bäcker der k. und k. Monarchie haben so mancher duftenden, knusprigen Kostbarkeit über die Grenzen geholfen. (Hermann Sussitz, derStandard.at, 19.02.2013)