Kakao-Ernte in der Dominikanischen Republik.

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Für Hartwig Kirner stehen die Landwirte im Mittelpunkt des Interesses.

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STANDARD: Zur 30-Jahr-Feier von Global 2000 hieß es im Vorjahr, es sei "zum Kotzen, dass es Global immer noch gibt" - weil diese Organisation noch nötig ist. Ist es auch zum Kotzen, dass es Fairtrade immer noch gibt?

Hartwig Kirner: Ja, sicher. Aber es ist auch nicht realistisch, dass sich wirtschaftliche Strukturen binnen kurzer Zeit ändern. Was wir anstreben, sind große Veränderungen, die längere Zeit brauchen. Das heißt, Fairtrade wird es noch länger geben - aber besser wäre es natürlich, wenn es uns nicht mehr geben müsste.

STANDARD: Global 2000 wurde 1982 gegründet, Vier Pfoten 1988, Fairtrade 1993: Da wurde alle fünf Jahre eine idealistische Organisation nach der anderen gegründet ...

Kirner: ... davor waren ja auch die zwei Erweckungserlebnisse der Zivilgesellschaft in Österreich: Hainburg und Zwentendorf. Danach wurden zahlreiche Initiativen aus der Taufe gehoben. Und das ist auch sehr wichtig: Dass Fairtrade aus der Zivilgesellschaft heraus entstand - und als Organisation für die Bauern da ist. Genau das muss das Maß der Dinge sein: Pragmatische Entscheidungen, die das Optimum für die Bauern herausholen. Und da die Produzenten in den Entscheidungsgremien sitzen, ist das auch gewährleistet. Wir sind gerade dabei, ihnen die Hälfte der Stimmrechte im System einzuräumen.

STANDARD: Stehen wir wieder vor einer derartigen Wende?

Kirner: Das weiß man ja immer erst nachher. Derzeit sieht es nicht danach aus, als ob es schon so weit wäre. Denn in Wirklichkeit ist die Krise an uns ja noch relativ spurlos vorübergegangen. Das heißt, wir hatten keine wirklich gravierenden wirtschaftlichen Auswirkungen in Österreich. Aber nicht in Griechenland, nicht in Spanien, nicht in Italien.

STANDARD: So gesehen kommt es von Krise zu Krise näher.

Kirner: Die Frage ist, ob man positiv oder negativ eingestellt ist. Der optimistische Weg wäre etwa: Wir weisen endlich die Finanzmärkte in die Schranken und führen eine Finanztransaktionssteuer ein, die diesen Namen wirklich verdient, und versuchen wieder etwas zu produzieren - und nicht nur Geld an fiktiven Finanzmärkten zu verdienen. Der pessimistische Weg wäre: Weiterwursteln wie bisher.

STANDARD: Wann gibt es das erste fair produzierte Handy?

Kirner: Fairtrade ist in erster Linie in rohstofflastigen Produktgruppen tätig, also Lebensmittel, Baumwolle, Blumen. Industrielle Produktion müsste man ganz anders zertifizieren - da gibt es auch ganz andere Probleme.

STANDARD: Trotzdem werden für Handys Rohstoffe gebraucht, mit deren Produktion Bürgerkriege finanziert werden. In Smartphone-Fabriken gab es Selbstmordserien. Da hat man doch ähnliche Probleme wie im Textilbereich?

Kirner: In der Textilproduktion stehen wir ja auch noch vor sehr vielen Problemen. Solange die noch nicht gelöst sind, sehe ich keinen Weg in Richtung industrieller Produktion. So leid es mir tut. Ich hätt's natürlich gern.

STANDARD: Bei der Textilproduktion hört man von Katastrophen wie jenem Brand im Sweatshop in Bangladesch - da ist dann kurz die Betroffenheit groß. Aber gekauft wird dann wieder das Schnäppchen.

Kirner: In manchen Bereichen können Systeme für einen fairen Umgang leider erst an der Oberfläche kratzen. Es gibt noch große Bereiche in der Wirtschaft, an denen dieses Thema spurlos vorbeigegangen ist. Und da gehört sicher auch der Textilbereich dazu. Da wird nach wie vor auf Billigstproduktion hingearbeitet.

STANDARD: Zu aktuellen Werbeslogans: Wie geil ist Geiz? Haben wir wirklich nichts zu verschenken?

Kirner: Also Geiz ist definitiv nicht mehr geil. Geiz und Gier haben uns in die Situation gebracht, in der wir heute sind: Die Gier, noch mehr rauszuquetschen aus Finanzmärkten, die Gier, über Börsen noch mehr Geld aus der Wertschöpfungskette zu pressen und das Ganze auf Luft aufzubauen. Das Zeitalter der Gier ist zu Ende.

STANDARD: Und welches beginnt?

Kirner: Das Zeitalter der Unsicherheit - und hoffentlich jenes, in dem über die Zukunft nachgedacht wird.

STANDARD: Was sind für Sie die wichtigsten Zukunftsthemen?

Kirner: Ökologische, zukunftsfähige Entwicklung. Und unser Wirtschaftsmodell auf eine gerechte Basis zu stellen: dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können, dass alle Teilhabe am Wohlstand bekommen. Ein Traum, den wir uns nach dem Krieg weitgehend erfüllt haben - das wäre jetzt auf globaler Ebene gefragt.

STANDARD: Umwelt und Fairness gehen ja Hand in Hand: Die ersten, die den Klimawandel spüren, sind jene, auf deren Kosten wir leben.

Kirner: Wenn man sich durchschnittliche Fairtradebauern ansieht: Da gibt' s kein Auto, kaum Fernseher, keine Haushaltsgeräte - nein, diese Menschen sind ganz sicher nicht jene, die den Klimawandel vorantreiben. Auf der anderen Seite spüren sie den Klimawandel bereits massiv: Wenn sich Niederschlagsmuster verändern - und sie haben nicht die finanziellen Mittel gegenzusteuern, etwa mit Bewässerungsanlagen.

STANDARD: Wird die Bioproduktion bei Fairtrade wichtiger werden?

Kirner: Die naturnahe Produktion. Bioproduktion ist nicht überall möglich. Und grundsätzlich stehen bei uns die Landwirte im Mittelpunkt des Interesses.

STANDARD: Andererseits werden etwa im indischen Raum die Bauern über Saatgut- und Düngemittelkäufe buchstäblich in den Selbstmord getrieben. Der dortige Fairtrade-Regionalmanager kennt aber keinen einzigen Biobauern, der Selbstmord begangen hätte.

Kirner: Das stimmt. In Indien müssen die Bauern für gentechnisch manipuliertes Saatgut 25 Prozent ihres Einkommens ausgeben. Und für konventionelles Hybridsaatgut 15 Prozent. Daher gibt es Fairtrade-Kooperativen, die nun versuchen, ihr Saatgut selbst zu ziehen. 25 Prozent sind nicht unbeträchtlich - da braucht es nur eine Missernte, und es ist vorbei.