Ein mehrschichtiges Implantat: So könnte der Knorpelersatz aussehen, den die Wissenschaftler des Forschungsverbunds HydroZONES entwickeln wollen.

Foto: University Medical Center Utrecht/Forchungsverbund HydroZones

Wenn Jürgen Groll die Eigenschaften von Knorpel aufzählt, ist die Bewunderung kaum zu überhören. "Knorpel ist im Prinzip ein Hightech-Komposit", sagt er. Was für den Laien nach einer einheitlich weißlichen Substanz aussieht, erweist sich bei genauer Betrachtung als raffiniertes Schichtwerk unterschiedlicher Strukturen. "Beispielsweise sind die Kollagenfasern in der Knorpelschicht, die dem Knochen anliegt, senkrecht orientiert und sorgen somit für eine feste Verbindung", erklärt Groll. In höheren Schichten liegen die Fasern hingegen quer und können damit besonders gut Scherkräfte absorbieren.

Ein besonderes Material

Tiefere Schichten ähneln einem Gel, das stark negativ geladen ist. Auf diese Weise zieht es massiv Wasser an. Wasser, das entweicht, wenn Druck auf das Gewebe ausgeübt wird, wie beispielsweise beim Laufen auf das Knie. Damit dämpft Knorpel die Erschütterung. Sinkt der Druck, kehrt das Wasser von alleine wieder zurück.

Groll ist vor allem von den Eigenschaften der Knorpeloberfläche fasziniert. Damit Bewegungen im wahrsten Sinne des Wortes möglichst reibungslos verlaufen, ist Knorpel dort "so glitschig, wie man es technisch nicht erreichen kann", sagt er. Der Reibungskoeffizient erreiche dort einen Wert "ähnlich wie Wasser auf Eis."

"Es gibt kein anderes Material, das über die Eigenschaften von Knorpel verfügt", sagt Groll. Seit August 2010 hat er an der Universität Würzburg den Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe in der Medizin und der Zahnheilkunde inne. Er forscht dort an neuen Materialien, die am Patienten zum Einsatz kommen sollen. Seit Anfang dieses Jahres leitet er einen neuen, europaweiten Forschungsverbund, in dessen Mittelpunkt Knorpelgewebe steht. Mit 9,75 Millionen Euro wird die EU die Arbeit der Wissenschaftler in den kommenden fünf Jahren finanzieren. Etwas mehr als zwei Millionen davon werden nach Würzburg fließen.

Ein Volksleiden

Knorpelschäden sind eine der Hauptursachen für chronische Schmerzen, eingeschränkte Beweglichkeit und einem Verlust an Lebensqualität. Arthrose ist die häufigste aller Gelenkerkrankungen. Weltweit sollen mehr als 151 Millionen Menschen davon betroffen sein. Sportverletzungen können die Ursache sein, aber genauso ein altersbedingter Verschleiß. Am Anfang steht häufig nur ein kleiner Defekt, der weiter wächst, weil der Körper nicht in der Lage ist, Knorpelgewebe selbst neu zu bilden. Ist die Knorpelschicht großflächig zerstört, ist ein operativer Eingriff in der Regel unumgänglich. In schweren Fällen bleibt dann der Einsatz eines künstlichen Gelenks einzige Alternative.

Das könnte sich ändern, wenn der Forschungsverbund sein Ziel erreicht. "Wir verfolgen die Hypothese, dass es mit speziell konstruierten Implantaten möglich ist, den Körper dazu zu bringen, Knorpeldefekte mit eigenem Gewebe wieder zu schließen", erklärt Groll. Der Trick dabei: Die Wissenschaftler wollen Implantate entwickeln, die in ihrem mehrschichtigen Aufbau möglichst exakt dem Vorbild aus der Natur entsprechen.

Regenerieren statt reparieren

Mehrere Lagen eines Hydrogels, stabilisierende Lagen aus Kunststoffgeweben und dazu Botenstoffe, die spezielle Zellen anlocken, oder die entsprechenden Zellen gleich selbst: So könnte der Knorpelersatz aussehen. Aufgabe des Implantats ist es, das körpereigene Gewebe zum Wachsen zu bringen: "Regenerieren statt reparieren", lautet nach Grolls Worten das Motto. Und weil der Knorpel dazu von allein nicht in der Lage ist, müsse man ihm eben helfen. Das Implantat selbst soll vom Körper im Laufe der Zeit in dem Maße abgebaut werden, in dem dieser neues Knorpelgewebe selbst aufbaut.

Zwar gibt es auch heute schon Implantate, mit denen Mediziner defekte Knorpelstellen ausbessern können. Die sind aber nicht dazu fähig, natürlichen Gelenkknorpel mit all seinen Eigenschaften in vergleichbarer Weise zu ersetzen. Und das Ersatzgewebe, das durch die derzeit in der Klinik verwendeten Materialien induziert wird, hält dem Einsatz an hoch belasteten Stellen wie beispielsweise dem Knie nicht für lange Zeit stand. Der Grund dafür liegt nach Ansicht der an dem Forschungsverbund beteiligten Wissenschaftler auf der Hand: Weil diese Implantate nicht wie natürlicher Knorpel in Schichten aufgebaut sind, können sie auch nicht die Bildung echten Knorpelgewebes induzieren.

Produktion im Drucker

Die Technik für die Produktion der Implantate ist vom Prinzip her einfach: Wie bei einem Tintenstrahldrucker bauen kleine Biofabriken die künstlichen Knorpelscheiben Schicht für Schicht auf. Mit dem Unterschied, dass die Druckköpfe in diesem Fall nicht Tinte enthalten, sondern je nachdem, welche Schicht gerade aufgetragen wird, Hydrogele unterschiedlicher Dichte, Wachstumsfaktoren, Hormone, Knorpel bildende Zellen - Chondrozyten genannt - und anderes mehr. Der ganze Prozess soll vollautomatisch ablaufen und natürlich unter sterilen Bedingungen.

"Wenn alles optimal läuft, haben wir in fünf Jahren ein Konstrukt, das in klinische Tests gehen kann", beschreibt Jürgen Groll das Ziel des Forschungsverbunds. Wenn dort keine Probleme auftauchen, dauere es noch einmal mindestens fünf Jahre, bis ein Implantat existiert, das tatsächlich in der Klinik am Patienten zum Einsatz kommen kann, schätzt der Wissenschaftler. Aber auch wenn dies hochgesteckte Ziel nicht erreicht wird, werde die Arbeit nicht umsonst gewesen sein. Verbesserungen an den bereits heute existierenden Verfahren werde es auf jeden Fall geben, ist sich Groll sicher. Wie weit diese Verbesserungen gehen, müssen die kommenden Jahre zeigen. (red, derStandard.at, 24.1.2013)