Maria Wakounig beschäftigt sich mit der Geschichte Osteuropas vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Dabei kommt sie zwangsläufig mit dem Thema "Hexen" in Berührung und versucht diese Geschichte auch Kindern zu vermitteln.

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STANDARD: In der Kinderbuchliteratur ist die Hexe tendenziell die Weise. Wie gehen Sie als Historikerin damit um?

Wakounig: Bei Otfried Preußler ist die kleine Hexe positiv besetzt. Er hat generell versucht, Kindern Ängste zu nehmen. Das ist psychologisch sicherlich sehr gut. Zum Kerngeschäft von Historikern gehört es auch zu dekonstruieren. Ich erzähle Kindern vom Hexenmythos und versuche zu erklären, was hinter verschiedenen Begriffen steckt, etwa dem Wort Zauber.

STANDARD: Wie sind Sie denn eigentlich zum Thema Hexen gekommen?

Wakounig: Ich bin ja Osteuropahistorikerin und beforsche diesen Großraum vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. So kommt man automatisch mit dem Thema Hexen in Berührung.

STANDARD: Welche Rolle hat denn die Hexenverfolgung in Osteuropa gespielt?

Wakounig: Darüber gibt es derzeit keine gültigen Aussagen. Da ist für die Forschung noch einiges zu tun, vor allem im Bereich der Empirie. Der Höhepunkt der Hexenverfolgung war sicherlich im 17. Jahrhundert in den deutschsprachigen Ländern. Es kam dann zum Schneeballeffekt: Die Welle der Verfolgung ist auf Länder, die an die deutschsprachigen Gebiete des Heiligen Römischen Reichs gegrenzt haben, übergeschwappt. So kam es im damaligen Polen- Litauen zu einer sehr intensiven Hexenverfolgung. In Russland hat es wohl auch eine Verfolgung gegeben, aber nicht so intensiv: Hier können wir nicht von einem Wahn sprechen.

STANDARD: Was stand dem Hexenkult entgegen?

Wakounig: Ab dem Mittelalter hat sich in der Orthodoxie die Überzeugung durchgesetzt, dass Hexenzauber etwas ist, das aus dem Aberglauben kommt. Man hat sich also in Russland nicht so auf diese Ideen eingelassen, dass Hexen zum Beispiel einen Teufelspakt eingehen. Die Inquisition, die in kirchlichen Händen lag, hat den Hexenwahn ja eher abgelehnt. Es heißt oft, dass es den Kirchen daran gelegen gewesen wäre, Hexen in dieser Intensität zu verfolgen. Das ist nicht korrekt.

STANDARD: Aber die katholische Kirche hat diese Aktionen mitgetragen. Wurde die Hexenverfolgung nicht auch für eine Rekatholisierung eingesetzt? Und auch Martin Luther gilt als ein starker Befürworter der Verfolgung.

Wakounig: Sowohl die katholische als auch die protestantische Kirche gingen gegen den Aberglauben und die Magie vor und schufen Voraussetzungen für die Verfolgung: die Katholiken mit dem sogenannten Hexenhammer - mit dem Buch wurde die Hexenverfolgung legitimiert - und die Reformatoren mit einer modifizierten Dämonologie. Aber: Die Gerichte waren in weltlicher Hand, zu Massenverbrennungen ist es daher nicht im Namen der Kirche gekommen.

STANDARD: Zur Ursache für die Verfolgung gibt es verschiedene Ansätze: Von Machtinteresse ist genauso die Rede wie von einer Bevölkerung, die die Schuld für das damalige Elend bei den Hexen suchte. Was meinen Sie?

Wakounig: Es war damals vor allem eine Zeit, in der es eine Kleine Eiszeit, viele Kriege, verschiedene Krisen gab. Man suchte nach einer Erklärung, also nach einem Schuldigen. Ich glaube, dass zwei Ebenen mitgespielt haben: die weltliche Obrigkeit und der Volksglaube. Doch über die Zusammenhänge in der Zeit der Hexenverfolgung ist noch vieles unerforscht.

STANDARD: Auch die Frauenbewegung aus den 1980ern hat sich auf die Hexenbewegung bezogen. Nachdem auch Sie Frauenforschung betreiben: Ist das für Sie ein Ansatz?

Wakounig: Es gibt den feministischen Ansatz, dass die Hexenverfolgung gegen Frauen gegangen ist. Man muss das aber relativieren. In den nordischen Ländern und in Russland sind auch viele Hexer betroffen gewesen, das heißt es wurden auch Männer verfolgt, wenn auch bei weitem nicht so viele wie Frauen.

STANDARD: Sie haben sich schließlich auch mit Frauen in Osteuropa nach 1945 befasst. Zu welchen Schlüssen sind Sie bei Ihren Studien gekommen?

Wakounig: Nach 1945 wurden die Staaten Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas dem sowjetischen Modell folgend umgestaltet und Frauen Männern per Verfassung gleichgestellt. Die Frauen Jugoslawiens zum Beispiel durften nach dem Zweiten Weltkrieg erstmalig gleichberechtigt wählen gehen. Oder es galt gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Formal war das natürlich ein großer Fortschritt. Doch die nach wie vor vorhandenen Rollenbilder verhinderten auch hier eine umfassende Gleichberechtigung.

STANDARD: Gab es in Osteuropa eigentlich eine politische Frauenbewegung?

Wakounig: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde behauptet, die Frauenfrage sei gelöst - über die neue Verfassung; die Frauenverbände haben diese Sichtweise auch mitgetragen.

STANDARD: Und nach den Umbrüchen ab 1989?

Wakounig: Da kam es zu einem Rückschlag - auch deshalb, weil die Staaten nach den Gesetzen der Marktwirtschaft zu funktionieren begannen und viele soziale Selbstverständlichkeiten nicht mehr gegeben waren. Frauen ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wegen des Wettbewerbs am Arbeitsmarkt und wegen der nun kostenpflichtigen Kinderbetreuung zunehmend schwergefallen, und sie sind deswegen häufiger zu Hause geblieben. (Lena Yadlapalli, DER STANDARD, 23.01.2013)