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Geiz ist geil - auch bei den Universitäten?

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Gert Bachmann.

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Es steht hoffentlich außer Frage, dass es sinnvoll ist, für den Notfall gute Feuerlöscher zu haben, es aber wichtiger ist, gute Häuser zu konstruieren, bei denen das Löschen von Bränden eine Notfallmaßnahme bleibt, deren Anwendung nicht zur zähneknirschend akzeptierten Tagesordnung gehört.

Jedoch: Unsere Universitäten werden unübersehbar sowohl in baulicher als auch organisatorischer Hinsicht zu Orten, an denen die akute Brandgefahr und andere Mängel rasch zunehmen. Anstatt diese Gebäude beziehungsweise Fächer rechtzeitig zukunftsgerecht zu sanieren, werden sie im allerletzten Moment abgerissen und dann anderenorts, hinterfragenswert jenseits der Zweckmäßigkeit verkleinert, neu errichtet. Dann, wenn alles wertanalytisch verschlimmbessert und zu klein ist, wird wieder nach einer Notfallmaßnahme (STEOP) gerufen. Unendlich viel Energie geht bei der Ausgestaltung der Notsanierungen verloren, während die Konstruktion adäquater Gebäude in Vergessenheit gerät.

Nicht zufällig meinen einige Vordenker aus dem Dunstkreis des industriellen Consultings ja auch, dass wir nicht so viele Architekturstudierende benötigten. Dass dieser Fehler derzeit in vielen ehemaligen Industrienationen gemacht wird, in denen neomerkantilistische Unbildung um sich greift, ist absolut keine Rechtfertigung für dieses rückwärtsgewandte Krisenmanagement.

Austerität als fragwürdiges Zukunftskonzept

In einem ausgezeichneten, in die Tiefe gehenden, sich keinesfalls in Geldforderungen erschöpfenden Bericht hat Alexander Van der Bellen die Chance Österreichs, aus der Provinzialität herauszutreten und im universitären Umfeld in Europa eine zentrale Rolle zu spielen, herausgearbeitet. Es befremdet, dass die Uniko dies in einer Aussendung ins Skurrile zieht, indem sie den Inhalt negiert, dafür aber nicht unsüffisant auf das "bekannte Phlegma", das "Seufzen" und eine gewisse Amtsmüdigkeit "AVBs" anspielt.

Man muss daraus folgern, dass die Rektoren mit Universitäten ohne Wachstumsperspektive offenbar gut leben können. Auch die letztliche Zufriedenheit bei den vergangenen Leistungsvereinbarungen - "dass man wie gewohnt weitermachen könne" - könnte zu einem solchen Schluss führen.

Man kann auch nicht umhin zu bemerken, dass ein zentraler Punkt des Universitätsgesetzes 2002, nämlich die Verbesserung der Betreuungsverhältnisse, bisher offenbar ungenügend erfüllt worden ist. Gerade die zielgerichtete Verwendung der Mittel war aber ein zentrales Argument der "Reformrektoren" für dieses Universitätsgesetz. Der Ruf der Politik nach einer stärkeren Kontrolle der Verwendung universitärer Budgets ist da mitunter durchaus nachvollziehbar.

Die Universitäten sind entgegen dem häufigen Gestus der Universitätsleitungen eben keine Privatbetriebe, die Staatsmittel unhinterfragt verwenden und sich "die besten Studierenden aussuchen" können. Geiz ist geil, und sich an Austerität zu begeilen, während man selbst Managergehälter einstreicht, ist in Europa in. Denn: "Jeder muss etwas beitragen, nichts ist umsonst!" Und: "Ich habe ja nichts zu verschenken!"

Österreichs tertiäres Bildungswesen verhungert durch falsch verstandene Austerität in Kombination mit reaktionärem Dominanzbedürfnis alter "Old Boys' Networks" und neuer Strickleitersysteme vor dem Füllhorn der traditionellen Fächervielfalt und der gottlob steigenden Anzahl der jungen Menschen, die sich in zukunftsrelevanten Fächern weiterbilden wollen.

Bildungsdiskont in Österreich?

Damit kommen wir zur zentralen Frage: Gibt es denn wirklich objektiv zu wenig Geld für die tertiäre Bildung in Österreich, oder handelt es sich hier eher um eine probates Totschlagargument der eigenwillig priorisierenden politischen Akteure?

In der Datensammlung "Education at a Glance 2012" der OECD aus dem Jahr 2009 über die Gesamtaufwendungen des BIP in Prozent für den tertiären Bildungssektor rangiert Österreich auf einer Skala zwischen maximal 2,8 (USA) und minimal 0,95 (Slowakei) mit 1,44 auf Platz 18 von 30. Die Schweiz liegt bei diesem Vergleich mit 1,28 auf Platz 25. Bei den BIP-Gesamtaufwendungen kommen Österreich und die Schweiz übrigens beide auf rund 4,5 Prozent. 

Aber BIP-Prozente gestatten wegen der stark unterschiedlichen BIPs und Bevölkerungszahlen der verglichenen Länder sicher keinen objektivierbaren Vergleich. So liegt das BIP der Schweiz bei 395.744 Millionen Euro, das Österreichs bei 284.002 Millionen Euro, also bei rund 75 Prozent der Schweiz.

Wesentlich aussagekräftiger ist deshalb der Vergleich des Bildungsaufwandes in Kaufkraftstandards pro Kopf. Hier liegt Österreich bei den Gesamtbildungsausgaben auf Platz 12, die Schweiz hingegen auf Platz 8. Die Schweiz gibt pro Kopf 12,5 Prozent mehr für Bildung aus, die skandinavischen Länder im Durchschnitt 40 Prozent, auch ohne Norwegen noch 30 Prozent mehr. Das ist ein klares gesellschaftspolitisches Sittenbild.

Der Vergleich der österreichischen Staatsaugaben offenbart, dass die Ausgaben für den Gesamtbildungsbereich sich bei 8,6 Milliarden Euro (tertiäre Bildung: 2,4 Milliarden) bewegen, wovon immerhin 10 Prozent in Ministerien und Verwaltung versickern, bevor irgendetwas davon in die Bildungsstätten gelangt. Selbst die militärische Verteidigung ist in Österreich um 10 Prozent höher dotiert als die tertiäre Bildung.

In einem internationalen Vergleich sowie in den Universitätsrankings fallen immer wieder die katastrophalen Betreuungsverhältnisse der Universität Wien negativ auf. Die Schweiz schafft hier mit 12 Prozent mehr Budget einen wesentlich besseren Schnitt. Das mag teilweise an den höheren Studierendenzahlen bei uns liegen, was aber bei Leistungsvereinbarungen offenbar weder hinsichtlich der staatlichen Dotierung noch hinsichtlich struktureller Maßnahmen Berücksichtigung fand.

Fazit: Österreich ist im tertiären Bildungsbereich definitiv zu geizig und zeigt zusätzlich strukturelle Defizite in den Hochschulen selbst. Die durch finanzielle und strukturelle Säumigkeit erzwungenen oder in vorauseilender Devotion verschärften Notfallmaßnahmen (die diskussionswürdig gestalteten STEOPs) vergiften so zur Unzeit das Diskussionsklima und die Motivation der Universitätsbediensteten und Studierenden.

Unterschätzter Wirtschaftsfaktor studentischer Konsum

Ungeachtet dieser meist unvollständig berichteten Fakten gibt es in Österreich eine äußerst problematische Allianz der vorherrschenden politischen Ideologien mit einem fatalen gemeinsamen Ergebnis: Bildungsskepsis und Akademikerfeindlichkeit, die die Unterfinanzierung des tertiären Bildungssektors gesellschaftsfähig erscheinen lassen.

ÖVP: Höhere Bildung bitte nur für die Leistungsträger-Oberschicht. Da ist eine finanzielle Hürde für die Unterschicht ein probates Mittel. Es gibt genug Akademiker, da brauchen wir keine weiteren Führungskräfte, wir brauchen mehr billige Fachkräfte.

SPÖ: Die Jungen sollen nicht arrogant herumstudieren und uns auf der Tasche liegen, sondern rasch arbeiten und Steuern zahlen (wie wir) oder zumindest etwas Sinnvolles studieren (und was sinnvoll ist, sagen wir).

FPÖ: Die Ausländer sollen im Ausland studieren und den Österreichern nicht die Plätze wegnehmen oder zumindest deftig blechen.

Das österreichische Sipendienwesen ist jedenfalls seit Jahrzehnten diskutierbar, suboptimal und wenig treffsicher. Somit ist eine immer wieder auch von BeitragsbefürworterInnen monierte unabdingbare Voraussetzung für jegliche Beitrags- oder Gebührenvariante einfach nicht gegeben.

Jenseits des erst in der Zukunft lukrierbaren "Return on Investment" (Steuern der Besserverdienenden) sind Studierende aber bereits während des Studiums ein stimulierender Wirtschaftsfaktor und somit eine unmittelbare Einkommensquelle für die Gemeinden und den Staat, denn sie sind KonsumentInnen und bezahlen für Wohnung, Lebenserhaltungskosten, Unterrichtsmittel und dergleichen. Diese Aufwendungen übersteigen bei rund 350.000 Studierenden mit Lebenserhaltungskosten von rund 10.000 Euro pro Jahr immerhin die gesamten Aufwendungen für den tertiären Bildungssektor um rund 50 Prozent! Je mehr Studierende, desto besser also für die Wirtschaft. Bei internationalen Organisationen (UNO) leuchtet dies unmittelbar ein, bei Universitäten seltsamerweise nicht.

Mut zu zukunftsorientierten Investitionen in tertiäre Bildung

Es gibt in Österreich ganz sicher genug Geld für eine adäquate Finanzierung der derzeitigen Hochschulen und auch genug Geld für einen zukunftsorientierten Ausbau. Ungeachtet der derzeitigen Sachzwänge dürfen wir den Blick auf eine zukünftige Wissensgesellschaft, die ganz sicher nicht an uns vorbeigeht, aber nicht verlieren. Hier sekundiert die OECD in einer rezenten Analyse: Um den Boom der Schwellenländer zu flankieren, müsse die Politik weltweit für mehr Bildung und Produktivität sorgen.

In der gängigen Reihung (Innovators - Early Adopters - Laggers - Reluctants) zählt Österreich noch zu den "Reluctants", als zu den sich Sträubenden einer künftigen Wissensgesellschaft. Es gibt viel zu tun. (Gert Bachmann, derStandard.at, 23.1.2013)