STANDARD-Schwerpunktausgabe
Digitale Demokratie

Viele Leser wollten wissen: "Welche Bedeutung haben Transparenz und Open Data im Politikbereich für die Demokratie?"

Foto: Der Standard

Wien - Sie werden meist in einem Atemzug genannt, quasi als Problem-Lösung-Kombination: Der "Krise der Demokratie" folgt ziemlich sicher auch der Ruf nach "Transparenz". Mehr davon. Möglichst viel davon. Vielleicht sogar totale Transparenz, wenn es etwa nach der Piratenpartei geht. Oder den Enthüllungsabsolutisten von Wikileaks. Die Hoffnung, die dabei mitschwingt: "Durchsichtige", offene Prozesse würden aus irritierten, wütenden oder schlicht demokratiemüden Bürgern wieder vertrauensvolle Mitspieler im politischen Spiel machen. Transparenz würde gleichberechtigte Teilhabe aller ermöglichen und düstere, uneinsehbare Winkel für Korruption grell ausleuchten.

Und dann wäre alles gut? Nein, warnt der Philosoph Byung-Chul Han in seiner Streitschrift Transparenzgesellschaft (Matthes & Seitz Berlin 2012) vor der Fetischisierung der Transparenz und einer Reduktion nur auf Demokratie und Korruption. Der gebürtige Südkoreaner, der an der Universität der Künste Berlin lehrt, sieht im anschwellenden Transparenzgesang nämlich einen "systemischen Zwang", der alle Lebensbereiche verschlingt. In einem Interview mit dem SZ-Magazin sprach er sogar von "Transparenzterror".

Die berechtigten Wünsche nach Einsicht in politische Vorgänge, zum Beispiel auch im Dienste der Menschenrechtswahrung, begrüßt Han natürlich auch. Davon abgesehen aber meint er sinngemäß: Transparenz frisst Vertrauen auf. Ja, der Ruf nach ihr sei ein Symptom für eine Vertrauenskrise, nicht aber die Therapie dafür. Im Gegenteil. "Die Transparenzgesellschaft ist eine Gesellschaft des Misstrauens, die aufgrund des schwindenden Vertrauens auf Kontrolle setzt."

Radikal zu Ende gedacht sei in einer transparent durchdrungenen Gesellschaft gar kein Vertrauen mehr nötig, ja nicht möglich. Weil jedes noch im Verborgenen bleibende Etwas Anlass für Zweifel und Misstrauen wäre. Ihrer Logik nach sei Transparenz maßlos.

Selbst wenn die Politik jeden ihrer Schritte absolut offenlegen würde, wäre das nicht genug, das beschädigte Vertrauen in ihre Repräsentanten wiederherzustellen. "Vertrauen ist nur möglich in einem Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen. Vertrauen heißt, trotz Nichtwissen gegenüber dem anderen eine positive Beziehung zu ihm aufzubauen", heißt es bei Han. Und Vertrauen ist konstitutiv für soziale Kommunikation jeder Art - zumindest in einer freien Gesellschaft.

Mehr oder totale Transparenz führe auch nicht automatisch zu Veränderungen oder politischen Reformen. Sie ist per se noch keine Kritik an bestehenden Systemen.

Lob des Geheimnisses

Anmerkungen zum aktuellen Transparenzdiskurs und seiner Ausstrahlung in andere Lebenssphären liefert auch die Soziologie. Spätestens seit Erving Goffman, also seit fast 90 Jahren, wissen wir, dass gesellschaftliches Interagieren auch uneinsehbare, geschützte "Hinterbühnen" braucht - das gilt auch für gewisse politische Prozesse. Das Geheimnis als "bewusst gewolltes Verbergen", so nannte es der Soziologe Georg Simmel 1908, erfüllt auch gesellschaftlich wichtige Funktionen. Angefangen von geheimen Wahlen bis zum Informantenschutz im Journalismus.

Was das Private anlangt, hält sich Transparenzkritiker Han an Schriftsteller Peter Handkes Zitat: "Von dem, was die anderen nicht von mir wissen, lebe ich." Völlig transparent sei nur die Maschine - oder das Tote. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 19.1.2013)