Mit Leichen aufgepeppte Thrillereffekte: Michal Hvorecky.

Foto: Marko Lipus

Péter Esterházy hat einmal ein gutes Prinzip für das Romanschreiben verraten: ,Wenn ich dabei einen guten Gedanken habe, gehe ich so lange spazieren, bis ich ihn vergesse.'

Kreuzfahrten sind offensichtlich nicht gut fürs Romanschreiben. Schon Pavel Kohouts im Jahr 2000 erschienener Roman Die lange Welle hinterm Kiel ist in der Luxusschiffatmosphäre hoffnungslos untergegangen, und jetzt legt der slowakische Autor Michal Hvorecky den Roman einer Donau-Kreuzfahrt vor, dessen Intentionen in der Luxusreise-Parodie absaufen; und im Wunsch des Autors, aus dem Ganzen einen trendigen Krimi zu machen.

Er lässt seinen Erzähler genau analysieren, welche Literatur heute Konjunktur hat und welche nicht - und entscheidet sich für erstere, auch wenn er sich damit unter sein Niveau begeben muss. So hat er zwar ein intelligentes Buch, doch zugleich einen trivialen Roman geschrieben.

Ein kluges Buch, das wegen der differenzierten Informationen über die Donau und die Landschaften, die sie durchfließt, überaus lesenswert ist. Von den Juden in Hainburg zur Zeit des Anschlusses bis zur letzten Lepra-Kolonie Europas in Rumänien erfährt man Dinge, die man nicht so schnell irgendwo findet. Und natürlich ist Bratislava besonders detailreich porträtiert, denn von dort stammt der Autor wie auch seine Hauptfigur Martin Roy - ursprünglich ein Intellektueller und vor allem ein ambitionierter Übersetzer, aber weil er sich trotz eines renommierten Preises finanziell nicht durchschlagen konnte, ließ er sich zum Reiseleiter ausbilden und heuerte bei einer amerikanischen Company an.

Also muss er Amerikaner von Regensburg bis zum Donaudelta schleusen. Und diese Amerikaner (Durchschnittsalter 73 Jahre) sind, wie es das Klischee will, alle reich, fett (durchschnittliches Gewicht der Männer 130 Kilogramm) und blöd. Und was ihnen vorgesetzt wird, ist billigster Fake: Das "Österreichische Symphonieorchester" besteht aus drittklassigen Musikern aus Ungarn und der Slowakei, und in Serbien tritt ein speziell dafür trainierter Bettler als Titos ehemaliger Leibkoch auf; natürlich sind auch die einfachen Familien in Rumänien, auf die die Schiffsgesellschaft für ein Abendessen aufgeteilt wird, Neureiche, die sich durch ihr Dienstpersonal vertreten lassen, und die Kost kommt aus dem Tiefkühlschrank. Das globalisierte Tourismus-Business (inklusive seiner Arbeitsbedingungen) weiß Hvorecky mit grellen Übersteigerungen trefflich zu parodieren.

Praktischerweise hat sein Protagonist Martin Roy auch den großen Donau-Essay von Claudio Magris und den Donau-Roman von Jules Verne übersetzt. So kann das Buch neben historischen auch literarische Hintergründe seines Stoffes einspielen. Und immer wieder bringt der Autor seinen analytischen Blick nicht nur auf das eigene Land, sondern auch auf die mittelosteuropäischen Reformstaaten ein - etwa auf die rumänische Lokalpolitik.

Für intelligente Diskussionsforen über die Donauregion, die sich nicht mit generellen Aussagen begnügen, sondern in die politischen und historischen Details gehen sowie individuelle Biografien und Physiognomien mit einbeziehen, hat sich Hvorecky mit diesem Buch wahrlich qualifiziert. Nur leider nicht für die erste Liga des europäischen Romans. Denn dazu müssten zumindest die beeindruckenden Recherchen und Analysen besser in die Romanstruktur integriert sein. Dann dürfte der Erzähler eben nicht in den Ton eines Reise-Essays verfallen, während er bald danach wieder die mit Leichen aufgepeppten Thrillereffekte transportiert. (Die erste Leiche gibt es schon auf der Höhe von Linz, die zweite in Budapest - als Präludium für das Finale furioso, die Schiffskatastrophe im Donaudelta.) Und, ach ja, die Krimielemente sind noch mit einer tragischen Liebesgeschichte garniert - auf dem Schiff begegnet Martin Roy seiner Jugendliebe Mona wieder, aber die findet nichts dabei, einem vor Übergewicht nahezu bewegungsunfähigen Amerikaner für etwas Kleingeld zu einem Orgasmus zu verhelfen.

Und es lässt sich nicht leugnen: Dieser Roman verfügt weder für Liebe noch für Sex über eine Sprache abseits der gängigsten Klischees. Irgendwo zwischen Reise-Essay und Thriller plätschert er dahin und bleibt, um es mit Paul Nizon zu sagen, ein Stück "Handlungsliteratur, die wie ein Wassertropfen an der Scheibe abläuft" - wie das Wasser der Donau am Bullauge der America. In der Übersetzung stören nur wenige falsche Ausdrücke wie "zerflossen einem nur so durch die Finger", und gelegentlich hätte ein Korrektor die Satzzeichen kontrollieren sollen.

Das Grundproblem liegt im Original. Der Autor hätte wie Claudio Magris die neue "Biographie eines Flusses" schreiben oder wie Péter Esterházys Donau abwärts den Fluss als Band benutzen können, das eine überbordende Fiktion zusammenhält. Aber er wollte beides, und das angepasst an den Trend, den er selbst scharfsinnig analysiert. Esterházy hat übrigens einmal ein gutes Prinzip fürs Romanschreiben verraten: "Wenn ich dabei einen guten Gedanken habe, gehe ich so lange spazieren, bis ich ihn vergesse." Hvoreckys Roman enthält - zwischen den Thrillerelementen - viele gute Gedanken. (Cornelius Hell, Album, DER STANDARD, 19./20.1.2013)