Es gibt vielerlei Hinweise darauf, dass im ehemaligen Kinderheim auf dem Wilhelminenberg fremden Männern Zutritt zu den Schlafsälen gewährt wurde. Ob Geld im Spiel war, wird derzeit geprüft.

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Wien - Die Wilhelminenberg-Kommission sei dabei, einiges in Bezug auf Verbindungen zwischen dem Rotlichtmilieu und der ehemaligen Erziehungsanstalt zu beweisen. Auf diese Andeutung, die Reinhard Sieder, Leiter der Historikerkommission zu Wiener Kinderheimen, im STANDARD-Interview gemacht hat, reagierte Barbara Helige als Leiterin der Wilhelminenberg-Kommission am Dienstag zurückhaltend.

"Wir sind noch mitten in der Phase der Berichtsverfassung, aber ja: wir recherchieren auch in diese Richtung", sagt die Richterin. Allerdings sei es nicht der zentrale Auftrag der Kommission über die Rekrutierungsmaßnahmen im Rotlicht zu forschen, sondern den Missbrauch im Heim zu dokumentieren.

Verdacht der organisierten Prostitution

"Man stößt auf vieles bei den Nachforschungen", räumt Helige ein. Das Thema Rotlicht sei jedoch eine andere Baustelle. "Es ist ein wichtiges Thema und alles ist interessant für uns, um den Lebensweg der Kinder nachzuzeichnen." Bereits in einem Zwischenbericht im Oktober war vom Verdacht des "vielfachen, organisierten sexuellen Missbrauchs von Heimkindern" die Rede.

Bei der Opferschutzorganisation Weißer Ring haben sich bisher rund 1500 Personen im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen Heime, in welche die Stadt Wien eingewiesen hat, gemeldet. Rund 1200 davon wurden bereits behandelt. Darunter seien auch Einzelfälle gewesen, die auf mögliche organisierte Prostitution hinwiesen, bestätigt Marianne Gammer, Geschäftsführerin des Weißen Rings.

"Schreckensnächte"

Derartige Vorwürfe hätten immer das Heim am Wilhelminenberg betroffen, in Bezug auf andere Kinderheime sei diesbezüglich nichts bekannt, sehr wohl aber sexuelle Übergriffe heiminterner Personen.

Auch Erika T. war als Kind im Heim am Wilhelminenberg. Sie kommt in dem Buch "Der Kindheit beraubt" von Historiker Sieder und Co-Autorin Andrea Smioski zu Wort und schildert darin "Schreckensnächte, in denen die großen Türen (...) des Schlafsaals ständig knarrten, dunkle Gestalten hereinschlichen und sich über die Betten der Mädchen warfen. Schreie, Ohrfeigen, Stöhnen und Weinen mischten sich mit rauen schimpfenden Männerstimmen. Hier fanden brutale Vergewaltigungen statt!"

"Ungeklärt, ob Täter von außen kamen"

T. war damals acht Jahre alt. Bei der Betroffenen handelt es sich übrigens nicht um eine der beiden Schwestern, die schon bei Aufkommen des Wilhelminenberg-Skandals im Herbst 2011 mit derlei Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen sind.

Sieder und Smioski schreiben, es sei "bislang ungeklärt, ob die Täter von außen" kamen. Es sei aber auch "völlig verfehlt", die diesbezügliche Erzählung T.s mit dem Argument entkräften zu wollen, dass bekannt sei, dass sich "die meisten" Mädchen im Heim sich prostituiert hätten.

Kooperation zwischen Erziehern und Zuhältern

Auch in der Szene wird zunehmend lauter geraunt, dass Fälle von Zusammenarbeit zwischen Erziehern im Kinderheim und und Zuhältern bekannt sind. "Der ein oder andere hat da gut mitverdient", sagt ein Mitarbeiter einer Schutzorganisation für Prostituierte, der anonym bleiben möchte.

Auch der Wiener FP, die mit einigen Betroffenen Gespräche geführt hat, seien die Vorwürfe bekannt. "Das ist nicht nur der Verdacht: Auch Täter haben sich bei uns gemeldet und gestanden, sie haben sich Mädchen im Heim gegen Geld ausgeborgt", sagt der Parteisprecher. Nach Aufzeichnungen der Wiener FP hätten Heimmitarbeiter die Kinder, auch Buben, an Zuhälter "vermietet". (Julia Herrnböck, Gudrun Springer, DER STANDARD, 16.1.2013)